Schon vergeben?

Der Vergaberecht-Podcast von HEUKING

Unter dem Titel „Schon vergeben – Der Vergaberecht-Podcast von HEUKING“ erklärt der Podcast alle zwei Wochen praxisnah und auch für Einsteiger verständlich die Grundzüge des Vergaberechts.

25.01.2022

Folge 16: Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit

In der sechzehnten Folge unseres Vergaberechts-Podcasts erläutern Rebecca Dreps und Moritz von Voß, wann Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit – d.h. nach Abschluss des Vergabeverfahrens – eine Neuausschreibung erforderlich machen. 

Frau Dreps und Herr von Voß sprechen in dieser Folge insbesondere folgende Punkte an:

  • Die Struktur des § 132 GWB („eine schrecklich nette Vorschrift“)
    § 132 GWB regelt die vergaberechtliche Zulässigkeit von Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit, d.h. nach Abschluss des Vergabeverfahrens. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber ausführliche Regelungen der EU-Vergaberichtlinie umgesetzt, die teilweise auf die sog. Pressetext-Entscheidung des EuGH zurückgehen. Erwägt der Auftraggeber, den Auftrag nach Abschluss des Vergabeverfahrens zu ändern, muss er anhand des § 132 GWB prüfen, ob er die Änderung ohne erneute Durchführung eines Vergabeverfahrens vornehmen darf. Bei der Prüfung sollte der Auftraggeber folgende Schritte einhalten: Zunächst sollte der Auftraggeber prüfen, ob die Auftragsänderung überhaupt die Schwellenwerte der Bagatellklausel des § 132 Abs. 3 GWB überschreitet. Ist dies der Fall, bietet es sich in einem nächsten Schritt an zu prüfen, ob einer der Ausnahmetatbestände des § 132 Abs. 2 GWB erfüllt ist. Ist keiner der Ausnahmetatbestände erfüllt, stellt sich schließlich die Frage, ob es sich um eine „wesentliche“ Auftragsänderung handelt, die ein neues Vergabeverfahren erforderlich macht (§ 132 Abs. 1 GWB). 
  • Die Bagatellgrenze des § 132 Abs. 3 GWB
    Die Prüfung des § 132 GWB beginnt mit der Bagatellklausel des Abs. 3. Nach dieser Vorschrift sollen geringfügige Auftragsänderungen keine erneute Ausschreibungspflicht auslösen. Abs. 3 enthält zwei Schwellenwerte, die hierfür kumulativ eingehalten werden müssen. Zum einen darf nicht der jeweilige Schwellenwert nach § 106 GWB überschritten werden. Zum anderen darf die Auftragsänderung bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nicht mehr als 10 Prozent und bei Bauaufträgen nicht mehr als 15 % des ursprünglichen Auftragswerts betragen (im Unterschwellenbereich gelten andere Grenzen). Bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen ist der Gesamtwert der Änderungen maßgeblich. Zusätzlich darf sich durch die Auftragsänderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändern. Sind diese Voraussetzungen eingehalten, ist die Auftragsänderung nicht ausschreibungspflichtig und eine weitere Prüfung anhand des § 132 GWB erübrigt sich. 
  • Die Ausnahmetatbestände des § 132 Abs. 2 GWB
    Hält die Auftragsänderung die Voraussetzungen der Bagatellgrenze nicht ein, sollte der Auftraggeber in einem nächsten Schritt prüfen, ob einer der Ausnahmetatbestände des § 132 Abs. 2 GWB erfüllt ist – denn in diesem Fall ist die Auftragsänderung unabhängig davon, ob sie als wesentlich oder unwesentlich einzuordnen ist, nicht ausschreibungspflichtig. Folgende Ausnahmen sind in § 132 Abs. 2 S. 1 GWB aufgeführt:
    Nach Nr. 1 ist eine Auftragsänderung ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn in den ursprünglichen Vergabeunterlagen klare Überprüfungsklauseln oder Optionen vorgesehen sind, die konkrete Angaben zu möglichen Auftragsänderungen enthalten, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert. Ein Beispiel hierfür sind Preisgleitklauseln. 
    Nr. 2 sieht eine Ausnahme von der Ausschreibungspflicht vor, wenn zusätzliche Leistungen erforderlich werden, die ursprünglich nicht vorgesehen waren, und ein Wechsel des Auftragnehmers aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht erfolgen kann und mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den Auftraggeber verbunden wäre. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen der Wechsel des Auftragnehmers zu einem erheblichen Koordinierungs- und Anpassungsbedarf führen würde.
    Der Ausnahmetatbestand der Nr. 3 umfasst Fälle, in denen die Auftragsänderung aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, und sich durch die Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert. 
    Nr. 4 betrifft schließlich einige Konstellationen, in denen der Wechsel des Auftragnehmers während der Vertragslaufzeit ausnahmsweise nicht dazu führt, dass der Auftraggeber den Auftrag neu ausschreiben muss.  
    Bei den Ausnahmen der Nr. 3 und der Nr. 4 muss der Auftraggeber außerdem zwei weitere Aspekte berücksichtigen: Erstens darf sich in diesen Fällen der Preis um nicht mehr als 50 Prozent des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöhen. Bei mehreren aufeinanderfolgenden Änderungen ist grundsätzlich jeweils der Wert der einzelnen Auftragsänderung maßgeblich – anders als bei der Bagatellklausel des § 132 Abs. 3 GWB. Zweitens sind die Auftragsänderungen gemäß Nr. 3 und Nr. 4 im Amtsblatt der EU bekannt zu machen. Ohne eine solche Änderungsbekanntmachung kann in einem Nachprüfungsverfahren gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB die Unwirksamkeit jedenfalls der Auftragsänderung festgestellt werden.
  • Der Grundtatbestand des § 132 Abs. 1 GWB
    Erfüllt die Auftragsänderung weder die Voraussetzungen der Bagatellklausel (§ 132 Abs. 3 GWB) noch die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes (§ 132 Abs. 2 GWB), ist anhand des Grundtatbestandes (§ 132 Abs. 1 GWB) zu prüfen, ob eine wesentliche Auftragsänderung vorliegt. Bei einer wesentlichen Auftragsänderung muss der Auftraggeber ein neues Vergabeverfahren durchführen. Wesentlich sind Änderungen, die dazu führen, dass sich der öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen Auftrag unterscheidet (§ 132 Abs. 1 S. 2 GWB). Um nachzuvollziehen, was darunter zu verstehen ist, hilft ein Blick in § 132 Abs. 1 S. 3 GWB. Dort ist ein nicht abschließender Katalog enthalten mit Konstellationen, in denen jedenfalls von einer wesentlichen Auftragsänderung auszugehen ist. Im Übrigen ist im Einzelfall anhand einer wertenden Gesamtbetrachtung zu prüfen, ob die Auftragsänderung „wesentlich“ ist (§ 132 Abs. 1 S. 1 GWB). Ist die Auftragsänderung nicht wesentlich, ist die Änderung ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens vergaberechtlich zulässig.
  • Der Auftragnehmer weigert sich, einen laufenden Vertrag anzupassen
    Was kann der Auftraggeber machen, wenn sich der Auftragnehmer weigert, einen Vertrag während seiner Laufzeit anzupassen? Die Antwort lautet wie so oft: „Es kommt darauf an“ – und zwar auf die vertragliche Ausgestaltung. Denn letztlich befindet man sich nach Abschluss des Vergabeverfahrens im Stadium der Vertragsabwicklung, das eher zivilrechtlich als vergaberechtlich zu betrachten ist. Möglicherweise sieht der Vertrag ausdrücklich Bestimmungen vor, wie mit der Auftragsänderung umzugehen ist. In anderen Fällen muss sich der Auftraggeber ggf. auf einen Streit einlassen oder den Vertrag schlicht kündigen und neu ausschreiben.  

In der Folge erwähnte Gerichtsentscheidungen:

  • EuGH: „Pressetext-Entscheidung“ (Urteil v. 19.06.2008, C-454/06)
  • EuGH: Wesentliche Auftragsänderung durch Vergleich (Urteil v. 07.09.2016, C-549/14)

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