Schon vergeben?

Der Vergaberecht-Podcast von HEUKING

Unter dem Titel „Schon vergeben – Der Vergaberecht-Podcast von HEUKING“ erklärt der Podcast alle zwei Wochen praxisnah und auch für Einsteiger verständlich die Grundzüge des Vergaberechts.

14.02.2023

Folge 31: Verteidigung und Sicherheit

In der 31. Folge unseres Vergaberechts-Podcasts besprechen Daniela Kreuels und Reinhard Böhle vergaberechtliche Besonderheiten bei Aufträgen im Bereich der Verteidigung und Sicherheit.

Historische Entwicklung

Früher waren verteidigungs- und sicherheitsrelevante Beschaffungen sehr weit vom gemeinsamen europäischen Binnenmarkt und damit auch vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen. Der Europäische Gerichtshof entwickelte dann aber seine Rechtsprechung dahingehend, dass diese Ausnahme restriktiv auszulegen sei. In der Folge sind auch die verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Beschaffungen seit 2007 explizit in das Vergaberechtsregime einbezogen. Auf europäischer Ebene haben sich die Regelungen hierzu in der Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (RL 2009/81/EG) niedergeschlagen.

Anwendungsbereich

Aufgrund der Sensibilität der Beschaffungen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich sind einige Erleichterungen und Sonderregeln vorgesehen. Die Regelungen für die Beschaffungen in Deutschland im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich finden sich in der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV).

Der Anwendungsbereich der VSVgV ist eröffnet, wenn

  • ein verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufrag im Sinne des § 104 GWB vorliegt,
  • der Auftrag durch einen öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber ausgeschrieben wird und
  • der für die Anwendung des EU-Rechts bestimmte Schwellenwert überschritten ist.

Der Begriff des verteidigungs- bzw. sicherheitsspezifischen Auftrags ist in § 104 GWB legaldefiniert. Danach muss der Auftragsgegenstand mindestens eine der folgenden Leistungen umfassen:

  • Die Lieferung von Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze,
  • die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben wird, einschließlich der dazugehörigen Teile, Bauteile oder Bausätze,
  • Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der in den Nummern 1 und 2 genannten Ausrüstung in allen Phasen des Lebenszyklus der Ausrüstung oder
  • Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bau- und Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden.

Die Vorschrift enthält außerdem Definitionen für die Begriffe Militärausrüstung und Verschlusssachenauftrag.

Die Definitionen des Auftraggebers bzw. Sektorenauftraggebers entsprechen den Begriffen nach §§ 98 ff GWB. Wer hierzu noch einmal nachhören möchte, den verweisen wir gern auf unsere Folge zu den Grundbegrifflichkeiten.

Bei der Beschaffung sicherheits- und verteidigungsspezifischer Liefer- und Dienstleistungsaufträge liegt der Schwellenwert etwas höher als bei „normalen“ Beschaffungsverfahren, derzeit bei EUR 431.000 (netto) (Stand: Januar 2023).

Zielrichtung der VSVgV

Das Ziel der VSVgV ist die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse öffentlicher Auftraggeber bei Vergaben in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit. Anders als die Vergabeverordnung (VgV) sieht die VSVgV Verfahrenserleichterungen vor, die eine wettbewerbliche Auftragsvergabe bei gleichzeitiger Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen der öffentlichen Auftraggeber in diesem Bereich ermöglichen soll.

Der Fokus liegt auf dem Schutz von Verschlusssachen, der Wahrung der Informationssicherheit und dem Schutz der Versorgungssicherheit. Dafür sieht die VSVgV einige Mechanismen vor, die es in der VgV nicht in gleicher Gestalt gibt, z.B.

  • Betrifft das Verfahren Verschlusssachen, also Dokumente, die nach Geheimhaltungsgrad eingestuft sind, muss der Auftraggeber in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen die erforderlichen Maßnahmen und Auflagen benennen, die ein Unternehmen als Auftragnehmer erfüllen muss, um den Schutz von Verschlusssachen entsprechend dem jeweiligen Geheimhaltungsgrad zu gewährleisten (vgl. § 7 VSVgV).
     
  • Angabe der Zulieferer, auf die das Unternehmen zurückgreifen kann, um den Auftrag auszuführen und einen etwaigen steigenden Bedarf des Auftraggebers infolge einer Krise zu decken oder die Wartung, Modernisierung oder Anpassung der im Rahmen des Auftrags gelieferten Güter sicherzustellen, nebst Angabe des geografischen Standortes, falls diese Zulieferer außerhalb der Europäischen Union ansässig sind (vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 1 lit. i) VSVgV).
     
  • Erklärungen, ob und in welchem Umfang Sicherheitsbescheide für den Geheimschutz seitens des Bundeswirtschaftsministeriums bei dem Bewerber/Bieter vorliegen bzw. dass sie bereit sind, alle notwendigen Maßnahmen und Anforderungen zu erfüllen, die für den Erhalt eines Sicherheitsbescheides zum Zeitpunkt der Auftragsausführung vorausgesetzt werden (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 VSVgV)
  • Verpflichtungserklärungen im Hinblick auf den Geheimschutz (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 VSVgV).
     
  • Angaben zur Versorgungssicherheit, u.a. Zusage, die zur Deckung möglicher Bedarfssteigerungen des Auftraggebers infolge einer Krise erforderlichen Kapazitäten unter zu vereinbarenden Bedingungen zu schaffen oder beizubehalten oder für Wartung, Modernisierung oder Anpassung der im Rahmen des Auftrags gelieferten Güter zu sorgen (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 4, 6 VSVgV)
     
  • Im Nachprüfungsverfahren gelten besondere Geheimhaltungsvorschriften nach denen die Akteneinsicht beschränkt, die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen und die Beteiligten zur Geheimhaltung verpflichtet werden können.

Im Bereich der VSVgV gibt es deswegen auch kein offenes Verfahren. Der Angebotsphase ist grundsätzlich eine Eignungsprüfung vorgeschaltet. Die Vergabe erfolgt nur im nichtoffenen Verfahren, im Verhandlungsverfahren mit oder ohne vorangehende Bekanntmachung oder im wettbewerblichen Dialog.

Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz

Eine wichtige Neuerung im Hinblick auf verteidigungs- und sicherheitsrelevante Vergaben ist das sogenannte Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz. Der Bundestag hat das Gesetz am 07.07.2022 in Reaktion auf den Krieg in der Ukraine angenommen. Ziel des Gesetzes ist die Privilegierung der gemeinsamen europäischen Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit.

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erfährt Anpassungen, die die Verfahren einfacher und schneller machen. Die wichtigsten Änderungen sind:

  • Von dem Gebot der Losvergabe darf bei europäischen Beschaffungen auch aus zeitlichen, nicht allein aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen abgesehen werden.
  • Auftraggeber dürfen trotz Nachprüfungsverfahren den Zuschlag erteilen, wenn die besonderen Sicherheits- und Verteidigungsinteressen überwiegen und der Auftrag im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr steht. Zuvor ist ein entsprechender Antrag bei der Vergabekammer zu stellen.
  • Selbst bei vergaberechtlichen Verletzungen kann der Vertrag im Einzelfall wirksam sein, wenn die Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen sowie die Stärkung der Bundeswehr dies erforderlich machen.
  • Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb sehen neue Dringlichkeitsgründe vor, wie unmittelbar bevorstehende oder eingetretene Großschadenslagen, die Durchführung friedenssichernder Maßnahmen oder die Abwehr terroristischer Angriffe.

Links zu den besprochenen Ressourcen bzw. Gesetzestexten:

 

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