31.03.2023Fachbeitrag

Update Datenschutz Nr. 138

Grenzenlose Überwachung von Beschäftigten?! – Update zum Urteil des VG Hannover zum Tracking von Beschäftigten in einem Logistikzentrum

Bereits im Februar dieses Jahres sorgte die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts („VG“) Hannover für Schlagzeilen. Das Gericht hatte einem Unternehmen die Auswertung von Trackingdaten erlaubt, die aus dem Einsatz von Handscannern stammen, welche Beschäftigte entlang der Prozesskette vom Wareneingang bis zum Warenausgang benutzen. Mittlerweile wurde das vollständige Urteil (Az.: 10 A 6199/20) veröffentlicht. Zeit, den Sachverhalt und die Entscheidung näher zu beleuchten.

Der Fall

Das klagende Unternehmen, das sich gegen eine Untersagungsverfügung des niedersächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz wehrte, betreibt ein Logistikzentrum mit einer Arbeitsfläche von 64.000 m², in dem je nach Saison zwischen 1.700 und 2.200 Beschäftigte tätig sind. Es werden ca. 153 Pakete pro Minute versendet. Zwischen Auftragseingang und Übergabe eines Pakets an den Transporteur dürfen etwa vier Stunden liegen, damit das Unternehmen seine Lieferversprechen gegenüber den Kunden einhalten kann.

Die Beschäftigten benutzen auf den verschiedenen Prozesspfaden im Logistikzentrum Handscanner, um jeden ihrer Arbeitsschritte zu dokumentieren. Die so in Echtzeit erhobenen Daten werden gespeichert und ausgewertet. Das Unternehmen nutzt die Daten im Wesentlichen für die folgenden Zwecke:

  • Auswertung von Team- und Indiviualleistungen, um bei der Steuerung der Prozesse auf Leistungsschwankungen auf den einzelnen Prozesspfaden reagieren zu können, etwa durch Verschieben von Beschäftigten;
  • Steuerung der individuellen Qualifizierung;
  • Schaffung objektiver Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen.

Die beklagte Datenschutzbehörde untersagte dem klagenden Unternehmen per Teilbescheid die (i) ununterbrochene minutengenaue Erhebung von Quantitäts- und Qualitätsdaten ihrer Beschäftigten, (ii), die Profilerstellung aus diesen Daten sowie (iii) die Nutzung dieser Daten und der daraus erstellten Profile für Feedbackgespräche und Prozessanalysen.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die Klage.

Die Entscheidung

Das VG Hannover hält die vorgenannten Datenverarbeitungen des Unternehmens für rechtmäßig, gab der Klage statt und hob den Bescheid der Datenschutzbehörde auf. Kurz zusammengefasst, liegen diesem Ergebnis folgende Erwägungen zu Grunde:

  • Die Echtzeiterhebung der Leistungsdaten sei deshalb gerechtfertigt, weil ohne die Ableitung von Sofortmaßnahmen aus diesen Daten Warenstaus entstehen können oder Spitzenlasten in einzelnen Prozessabschnitten nicht durch Verschiebung von Mitarbeitern ausgeglichen werden könnten. Der reibungslose Prozessablauf im Logistikzentrum rechtfertigt  also nach Ansicht des Gerichts die Echtzeiterhebung und Auswertung der Trackingdaten. Mildere Mittel zur Erreichung dieses Ziels stünden nicht zur Verfügung.
  • Zur Qualifizierung der Mitarbeiter sei die Erhebung und Verarbeitung der Trackingdaten erforderlich. Nachqualifizierungsbedarfe der Mitarbeiter dürfen nach Überzeugung des VG Hannover anhand der Echtzeitdaten erhoben werden, sowohl in der Anlernphase als auch bei späteren Qualifizierungsmaßnahmen.
  • Die Verwendung der Daten für die kontinuierliche Durchführung von Feedbackgesprächen sei ebenfalls gerechtfertigt, weil nur auf Basis der vorgenannten Leistungsdaten überhaupt ein faktenbasiertes Feedback möglich sei. Nach Auffassung des Unternehmens sowie des VG Hannover sind Feedbackgespräche aufgrund von aggregierten Daten im vorliegenden Fall weder für die Beschäftigten noch für das Unternehmen von Vorteil. Der Mehrwert des Feedbacks würde ansonsten durch die schlechtere Datenlage entfallen.
  • Schließlich sei auch die Speicherung der Leistungsdaten für drei Monate nicht zu beanstanden, ebenso die Speicherung der Feedbackhistorie für maximal zwölf Monate bei einem quartalsweisen Abgleich des Leistungsstandes.

Im Rahmen der Prüfung der Intensität des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten geht das VG Hannover auf weitere Aspekte, wie die Bildung von Leistungsprofilen, die Art der verarbeiteten Daten (reine Leistungsdaten) ein und prüft auch, ob die Datenerhebung bei den Beschäftigten einen permanenten Leistungs- und Anpassungsdruck auslöst, was im Ergebnis abgelehnt wird.

Interessant ist, dass die Datenverarbeitungen des Unternehmens auch von dessen Betriebsrat mitgetragen werden. Der aktuelle und die ehemalige Vorsitzende waren sogar als Zeugen im Verfahren geladen und haben bestätigt, dass es jedem Beschäftigten klar sei, dass die Trackingdaten für den Arbeitsprozess benötigt werden.

Übrigens stellte das Gericht fest, dass die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitungen durch das Unternehmen im Zusammenhang mit der Überwachung der Beschäftigten § 26 BDSG ist. Der Rückgriff auf die Rechtsgrundlagen des Art. 6 DS-GVO sei durch Art. 88 Abs. 1 DS-GVO gesperrt. § 26 Abs .1 S. 1 BDSG sei lex specialis zu Art. 6 Abs. 1 lit. b und lit. f) DS-GVO. Diese Auffassung ist angesichts der Vorlagefrage des VG Wiesbaden beim Europäischen Gerichtshof (Az. 23 K 1360/20) nicht unumstritten. Im Ergebnis stellt das Gericht jedoch fest, dass die Verarbeitung (erst recht) auch von Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO gedeckt wäre.

Einordnung und Fazit

Die Interessenabwägung zu Gunsten der unternehmerischen Interessen fällt überraschend eindeutig aus. Das VG Hannover legt einen äußert großzügigen Maßstab bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Überwachung von Beschäftigten an und stellt sich damit der Position der Datenschutzbehörden sowie der Arbeitsgerichte entgegen.
Die Datenschutzbehörden halten eine dauerhafte (Video-)Überwachung im Arbeitsverhältnis für grundsätzlich unzulässig, weil Beschäftigte während ihrer gesamten Arbeitszeit befürchten müssen, dass ihr Verhalten aufgezeichnet, später rekonstruiert und kontrolliert wird, sodass ein ständiger Überwachungs- und Anpassungsdruck erzeugt wird(vgl. Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen, abrufbar hier). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stufte beispielsweise den Einsatz einer "Keylogger-Software", mit der der Arbeitgeber heimlich und dauerhaft die Tastaturbewegungen von Mitarbeitern aufzeichnete und auswertete, für unverhältnismäßig und damit unzulässig ein (Urt. v. 27.07.2017, Az. 2 AZR 681/16).

Auch wenn im vorliegenden Fall keine Überwachung per Video erfolgte und die Beschäftigten über die Datenverarbeitung informiert waren, handelt es sich dennoch um eine eingriffsintensive Dauerüberwachung. Das Gericht hätte daher mit guter Begründung auch zu einer anderen Einschätzung kommen können.

Die liberale Haltung des VG Hannover ist mithin kein Freifahrtsschein für die Überwachung von Beschäftigten. Zum einen bleibt abzuwarten, ob das Oberverwaltungsgericht in einem etwaigen Berufungsverfahren die Auffassung des VG Hannover bestätigt. Zum anderen handelt es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt um einen Einzelfall, bei dem die besonderen Anforderungen an die Logistikabläufe des klagenden Unternehmens eine wesentliche Rolle im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung der Datenverarbeitung spielten.

Es bleibt dabei, dass jede Art der Überwachung von Beschäftigten, sei sie gezielt auf die Arbeitsleistung oder das Verhalten gerichtet, oder nicht, einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung und Interessenabwägung bedarf. Daneben sind die Einbeziehung der relevanten Beteiligten (Betriebsrat und Datenschutzbeauftragter) sowie die Anforderungen an die Dokumentation solcher Maßnahmen in jedem Fall zu beachten. Im vorliegenden Fall war das klagende Unternehmen in diesem Bereich scheinbar sehr gut aufgestellt.

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