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Der neue § 273a ZPO – Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess
Erfreuliche Aussichten für Inhaber von Geschäftsgeheimnissen: Ab dem 1. April 2025 gilt der neue § 273a Zivilprozessordnung (ZPO), mit dem ein umfangreicher Schutz von Geschäftsgeheimnissen in allen bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten vor Amts-, Land- und Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof erreicht werden kann.
Umfangreicher Schutz von Geschäftsgeheimnissen
Ab dem 1. April 2025 besteht mit § 273a ZPO für Inhaber von Geschäftsgeheimnissen die Möglichkeit, Informationen in einem Rechtsstreit durch das Gericht als geheimhaltungsbedürftig entsprechend §§ 16 bis 20 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) einstufen zu lassen. Für die Einstufung von Informationen ist ein Antrag der Partei erforderlich. Voraussetzung für die Einstufung ist, dass es sich bei den jeweiligen Informationen um Geschäftsgeheimnisse handeln kann. Dies ist glaubhaft zu machen. Die Einstufung erfolgt aufgrund einer Ermessensentscheidung durch das Gericht. Aus der Einstufung durch das Gericht resultiert ein umfassender Schutz der als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen und (potenziellen) Geschäftsgeheimnissen:
- Parteien, Prozessbevollmächtigte, Zeugen und sonstige Beteiligte müssen diese Informationen vertraulich behandeln und dürfen sie außerhalb des gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich nicht nutzen oder offenlegen.
- Bei Akteneinsicht durch Dritte sind die Informationen unkenntlich zu machen.
- Es besteht die Möglichkeit, den Zugang auf eine bestimmte Anzahl von zuverlässigen Personen zu beschränken und die Öffentlichkeit von der mündlichen Verhandlung auszuschließen.
Daraus resultierende Pflichten bestehen auch nach Abschluss des Verfahrens fort. Bei Zuwiderhandlungen gegen die Pflichten kann das Gericht ein Ordnungsgeld bis zu 100.000,00 EUR oder eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten festsetzen.
Warum ist der neue § 273a ZPO erforderlich?
Eine neue Vorschrift zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess? Das indiziert eine Regelungslücke. Der geneigte Leser wird sich fragen, ob Geschäftsgeheimnisse in einem Zivilprozess bislang nicht oder zumindest nicht ausreichend geschützt wurden. Die Antwort lautet: Nach noch geltender Rechtslage ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen in den allermeisten Zivilprozessen unzureichend.
So hatten Gerichte zwar bisher die Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen (§§ 172 Nr. 2, 173 Abs. 2 GVG) und anwesende Personen zur Geheimhaltung zu verpflichten (§ 174 Abs. 3 GVG). Ein weitergehender Schutz von Geschäftsgeheimnissen war bislang nur in Geschäftsgeheimnisstreitsachen möglich. Einer Geschäftsgeheimnisstreitsache liegt regelmäßig (nur) die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen zugrunde. Sie setzt voraus, dass Ansprüche aufgrund des Geschäftsgeheimnisgesetzes geltend gemacht werden. Dass betrifft also allenfalls einen geringen Anteil aller bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten.
Daraus folgt: In sämtlichen sonstigen bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, in denen es nicht um die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen geht, diese dennoch eine für die Rechtsdurchsetzung oder -verteidigung entscheidende Rolle spielen, bot das Prozessrecht den Inhabern von Geschäftsgeheimnissen bislang keinen ausreichenden Schutz. Welche Folgen diese – seit langem bekannte – Schutzlücke haben kann, zeigt die Begründung zum neuen § 273a ZPO in erfrischender und leider seltener Deutlichkeit auf:
Betroffene müssen sich im Zweifelsfall entscheiden, ob sie ihr Geschäftsgeheimnis schützen, entsprechende Angaben in der Klageschrift bewusst unterlassen und dadurch den Prozess wegen Präklusion gegebenenfalls verlieren oder ob sie ihre Erfolgsaussichten im gerichtlichen Verfahren erhöhen, dafür aber ihr Geschäftsgeheimnis preisgeben.
(BT-Drucksache 20/8649, S. 32)
Praxishinweis
Der neue § 273a ZPO ermöglicht den Parteien die abgesicherte Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreit.
Parteien sollten daher regelmäßig bei entsprechenden Darlegungen prüfen, ob ein Antrag zur Einstufung von Informationen als geheimhaltungsbedürftig geboten ist. Ein solcher Antrag ist nicht nur zum Zweck des Schutzes des Geschäftsgeheimnisses in dem jeweiligen Rechtsstreit geboten. Vielmehr müssen Inhaber von Geschäftsgeheimnissen im Blick behalten, dass eine Information nur als Geschäftsgeheimnis gemäß § 2 Nr. 1 GeschGehG geschützt ist, wenn der Inhaber angemessene Geheimhaltungsmaßnamen trifft. Dafür wird es auch von Bedeutung sein, ob der Inhaber seine Geschäftsgeheimnisse auch in Rechtsstreiten mithilfe eines Antrags nach § 273a ZPO zu schützen versucht. Es besteht damit keine Pflicht für einen Antrag nach § 273a ZPO, sondern vielmehr eine Obliegenheit. Im Eigeninteresse ist er in der Regel zu eigenen Gunsten geboten, um dem Schutzstatus des Geschäftsgeheimnisses nicht zu verlieren.
Im Falle eines Antrags nach § 273a ZPO ist die Partei zudem gehalten, entsprechende als geheimhaltungsbedürftig einzustufende Ausführungen/Dokumente zu kennzeichnen (§ 20 Abs. 4 GeschGehG), was ohnehin auch nach geltendem Geschäftsgeheimnisrecht dringend anzuraten ist.
Von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Geheimhaltung ist auch der Zeitpunkt der Antragstellung. Nur mit einem rechtzeitigen Antrag kann verhindert werden, dass infolge von Zustellungen durch das Gericht oder von Anwalt zu Anwalt Geschäftsgeheimnisse offenbart werden, bevor sie als geheimhaltungsbedürftig eingestuft wurden.
Fazit und Ausblick
Die Ausweitung des Geheimnisschutzes auf sämtliche bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten ist ein wichtiger Schritt für den effektiven Rechtsschutz und den Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
Dabei wird sich zeigen, inwieweit die Parteien § 273a ZPO tatsächlich in Anspruch nehmen werden und ob die praktische Handhabung von § 273a ZPO durch die Gerichte wirklich zu einem effektiven Geheimnisschutz führt.
Trotz der Möglichkeiten, die § 273a ZPO bietet, muss der Geschäftsgeheimnisinhaber weiterhin gut abwägen, ob er ein Geschäftsgeheimnis in den Rechtsstreit einführen will. Denn stellt der Inhaber den Antrag und wird dieser zurückgewiesen, ist das eingeführte Geschäftsgeheimnis weitestgehend – ggfs. sogar gegenüber einem Mitbewerber auf der Gegenseite – faktisch ungeschützt.
Zudem lässt sich ein gewisser Widerspruch im Gesetzeskonzept nicht von der Hand weisen. Er liegt darin, dass mit § 273a ZPO nun die bedeutenden Entscheidungen über die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig, die bislang in vielen Bundesländern wenigen ausgewählten Spezialkammern bei den Landgerichten vorbehalten waren, sämtlichen Spruchkörpern überlassen werden. Der Gesetzgeber hatte den Bundesländern mit § 15 Abs. 3 GeschGehG die Möglichkeit eröffnet, Geschäftsgeheimnisstreitsachen bestimmten Landgerichten zuzuweisen, um richterliche Sachkunde in diesem bedeutenden Spezialgebiet bei ausgewählten Gerichten zu zentralisieren (BT-Drucksache 19/4724, S. 35). So sind beispielsweise in Nordrhein-Westfalen in erster Instanz allein Spezialkammern bei den Landgerichten Bochum, Düsseldorf und Köln für diese Materie zuständig. Nun wird § 273a ZPO dazu führen, dass sich sämtliche gerichtliche Spruchkörper bspw. bei den Amts- und Landgerichten mit dem Geschäftsgeheimnisrecht auseinandersetzen dürfen. Damit wird der Spezialcharakter des Geschäftsgeheimnisrechts möglicherweise konterkariert. Die Einstufung nach § 273a ZPO erfordert eine sorgfältige Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Geschäftsgeheimnisses nach § 2 Nr. 1 GeschGehG vorliegen können. Ob die Parteien bereit sein werden, eine derart wichtige Entscheidung womöglich nicht von einer im Geschäftsgeheimnisrecht besonders erfahrenen und sachkundigen Spezialkammer treffen zu lassen, wird sich zeigen.