Update IP, Media & Technology 112
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) Teil 1: Folgen für Webseiten und Apps
Das Jahr 2025 ist noch jung, doch schon jetzt sollten sich App-Anbieter und Webseitenbetreiber, die Produkte und Dienstleistungen an Verbraucher vertreiben mit den Anforderungen befassen, die das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz: BFSG) aufstellt. Das Gesetz, welches am 28. Juni 2025 in Kraft tritt, soll die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen fördern, indem es die Anforderungen für Barrierefreiheit in Bezug auf bestimmte Produkte und Dienstleistungen festsetzt. In den nächsten Wochen werden Folgen des BFSG für einzelne Produkte und Dienstleistungen in einer Reihe an IP-Updates näher beleuchtet.
I. Anwendungsbereich: Für welche Webseiten/Apps gilt das BFSG?
Das BFSG erfasst in seinem Anwendungsbereich neben einigen Produkten „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, die für Verbraucher erbracht werden“. Diese werden nach § 2 Nr. 26 BFSG wie folgt definiert:
„Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und über Anwendungen auf Mobilgeräten angeboten werden und elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden.“
Folglich gibt es ab dem 28. Juni 2025 eine gesetzliche Pflicht zur Barrierefreiheit für Webseiten und Apps, über die Produkte oder Dienstleistungen an einen Verbraucher vertrieben werden. Das gilt auch dann, wenn die über die App/Webseite vertriebenen Produkte oder Dienstleistung selbst nicht vom BFSG erfasst wird.
Damit wird praktisch der gesamte Bereich des E-Commerce erfasst. Der Anwendungsbereich dürfte aber noch weitaus größer sein. So wird in den Leitlinien der zuständigen Bundesfachstelle darauf verwiesen, dass auch eine Terminbuchung (z. B. bei einem Friseur) als „Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr“ zu qualifizieren ist.
1. Welche Inhalte der Webseite sind barrierefrei zu gestalten?
Es müssen auch nicht sämtliche Inhalte der Webseite/App barrierefrei gestaltet werden. Erforderlich ist das für die Bereiche, die um Zusammenhang mit dem Abschluss eines Verbrauchervertrags stehen. Nach § 1 Abs. 4 BFSG werden zudem folgende Inhalte von den Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen:
- Inhalte von Dritten, die von dem betreffenden Wirtschaftsakteur weder finanziert noch entwickelt werden noch dessen Kontrolle unterliegen;
- Inhalte von Webseiten und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, da ihre Inhalte nach dem 28. Juni 2025 weder aktualisiert noch überarbeitet werden.
Für viele Bereiche einer Webseite/App ist jedoch noch nicht eindeutig geklärt, ob diese barrierefrei gestaltet werden muss. Es ist z. B. fraglich, ob auch Kundenbewertungen, Newsletter und Kontaktformulare barrierefrei gestaltet werden müssen, weil diese zumindest indirekt auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags gerichtet sind.
2. Müssen B2B-Angebote auch barrierefrei gestaltet werden?
Nein, jedoch muss die Webseite/App so gestaltet sein, dass eindeutig erkennbar ist, dass man sich nicht an Verbraucher richtet und auch keine Verträge mit Verbrauchern abgeschlossen werden.
II. Wer muss die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllen?
Webseiten und/oder Apps von Kleinstunternehmen, also Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielen oder dessen Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft, müssen die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllen (§§ 3 Abs. 3, 2 Nr. 17 BFSG).
Achtung: Das gilt allerdings nur für Kleinunternehmen die Dienstleistungen erbringen. Kleinstunternehmen, die im BFSG aufgeführte Produkte in Verkehr bringen, müssen die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen.
Außerdem sieht das BFSG Ausnahmen für die Schaffung von Barrierefreiheit vor, wenn Produkte und Dienstleistungen grundlegend verändert werden müssen oder unverhältnismäßige Belastungen für Wirtschaftsakteure entstehen würden. Ob eine solche Ausnahme vorliegt, muss von den Unternehmen selbst geprüft, intern dokumentiert und der zuständigen Marktüberwachungsbehörde mitgeteilt werden.
III. Umsetzungsanforderungen
Welche Umsetzungsanforderungen gelten nun für Webseitenbetreiber und App-Anbieter bis zum 28. Juni 2025? Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 BFSG sind Produkte und Dienstleistungen barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Die konkreten Anforderungen für Webseiten und Apps ergeben sich gem. § 14 BFSG i.V.m. § 3 Abs. 1, 2 BFSG aus der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – kurz: BFSGV.
1. Allgemeinen Anforderungen BFSGV
Gemäß § 12 Nr. 3 BFSGV müssen Online-Shops auf angemessene Weise
- wahrnehmbar
- bedienbar
- verständlich und
- robust
ausgestaltet sein.
Zudem muss die jeweilige Dienstleistung Funktionen, Vorgehensweisen, Strategien und Verfahren sowie Änderungen bei der Ausführung vorsehen, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichtet sind und die Interoperabilität mit assistierenden Technologien gewährleisten (§ 13 BFSGV).
2. Spezifische Anforderungen
Doch damit nicht genug: Die spezifischen Anforderungen für Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr ergeben sich zudem aus § 19 BFSGV. Danach sind zunächst Informationen zur Barrierefreiheit der zum Verkauf stehenden Produkte und der angebotenen Dienstleistungen bereitzustellen, soweit diese Informationen vom verantwortlichen Wirtschaftsakteur zur Verfügung gestellt werden. Diese Informationsbereitstellung muss dann wieder den Anforderungen von § 12 Abs. 2 a) - h) BFSGV genügen. Die Informationen müssen also
- über mehr als einen sensorischen Kanal bereitgestellt werden,
- für den Verbraucher auffindbar sein,
- in verständlicher und wahrnehmbarer Weise dargestellt werden,
- in Textformaten zur Verfügung gestellt wird, die sich zum Generieren alternativer assistiver Formate durch den Verbraucher eignen, die auf unterschiedliche Art dargestellt und über mehr als einen sensorischen Kanal wahrgenommen werden können,
- in einer Schriftart mit angemessener Größe und mit geeigneter Form unter Berücksichtigung des vorhersehbaren Nutzungskontexts und mit ausreichendem Kontrast sowie ausreichenden Abständen zwischen den Buchstaben, Zeilen und Absätzen dargestellt werden.
Zudem muss eine alternative Darstellung des Inhalts angeboten werden, wenn Elemente nicht-textlichen Inhalts enthalten sind.
Zudem müssen Identifizierungs-, Authentifizierungs-, Sicherheits- und Zahlungsfunktionen sowie Identifizierungs- und Authentifizierungsmethoden, elektronische Signaturen und Zahlungsdienste wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden (§ 19 Abs. 2 und 3 BFSGV).
3. Konkrete technische Anforderungen an Webseiten/Apps
Was gilt also spezifisch für Apps und Websites? Derzeit finden sich im BFSG und der BFSGV eine Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen, die die Umsetzung der unter Ziffer 1 und 2 aufgeführten Anforderungen erschweren.
Webseitenbetreiber und App-Anbieter können sich jedoch an verschiedenen Regelungen orientieren:
- Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1: Diese Guidelines geben Kriterien vor mit denen sich die Barrierefreiheit von Webseiten und Apps prüfen lässt. Die Anforderungen werden in drei Stufen von A bis AAA eingeteilt.
- Norm EN 301 549: Diese Norm gibt vor, welchen Anforderungen Produkte und Dienstleistungen genügen müssen, um unter dem European Accessibility Act (also der Richtlinie auf dem das BFSG beruht) als barrierefrei zu gelten. Für Webseiten/Apps wird auf die WCAG 2.1 verwiesen. Hier muss mindestens Stufe 2 AA erreicht werden.
- Deutschen Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV): Die BITV ist eine Verordnung, die die Barrierefreiheitsanforderungen an Websites der öffentlichen Verwaltung des Bundes erfasst. Die BITV verweist sie auf die Norm EN 301 549, die wiederum auf die WCAG 2.1 verweist.
4. Weitere Anforderungen
Zusätzlich zu den technischen Umsetzungsanforderungen, treffen Webseitenbetreiber und App-Anbieter ab dem 28. Juni 2025 auch Informationspflichten nach § 14 BFSG i.V.m. Anlage 3. Ab diesem Zeitpunkt muss in den AGB oder auf andere deutlich wahrnehmbare Weise darüber aufgeklärt werden, wie die Barrierefreiheitsanforderungen konkret erfüllt werden. Diese Pflichtinformationen sind ebenfalls gemäß den oben aufgeführten Anforderungen aus § 12 BFSGV barrierefrei darzustellen.
IV. Rechtsfolgen bei Verstößen
1. Bußgelder
§ 37 Abs. 1 BFSG enthält eine Liste mit Bußgeldtatbeständen, wonach ausgewählte Pflichtverstöße mit Bußgeldern von bis zu 10.000 €, in schweren Fällen von bis zu 100.000 € geahndet werden.
2. Behördliches Verfahren bei Verstößen
Die Marktüberwachungsbehörde prüft im Verdachtsfall die Konformität von Produkten und Dienstleistungen (§ 22 Abs. 1; § 28 Abs. 1 BFSG) mit der BFSGV. Im Falle einer negativen Überprüfung, wird eine entsprechende Frist (mindestens zehn Tage) gesetzt, um Konformität herzustellen. Läuft die Frist fruchtlos ab, muss erneut eine Frist unter Androhung der Untersagung des Angebots/der Erbringung der Dienstleistung gesetzt werden (mindestens zehn Tage). Bei nichtkonformen Produkten genügt die erste Fristsetzung. Wird weiter keine Konformität hergestellt, kann die Marktüberwachungsbehörde gemäß § 22 Abs. 4 BFSG die Bereitstellung der Produkte auf dem deutschen Markt einschränken oder untersagen und sogar das Produkt zurücknehmen oder -rufen und gemäß § 29 Abs. 3 BFSG anordnen, dass Dienstleistungen vollständig einzustellen sind.
3. Abmahnungen durch Dritte
Man kann in einem Verstoß gegen die Barrierefreiheitsanforderungen des BFSG gleichzeitig einen Verstoß gegen § 3a UWG sehen, da die Pflichten des BFSG als Marktverhaltensregelungen zu qualifizieren sein dürften. Mitbewerber oder Verbraucherverbände könnten also wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend machen und Webseitenbetreiber und App-Anbieter abmahnen.
V. Fazit
Da fast der gesamte E-Commerce betroffen ist, hat das BFSG eine enorme Reichweite, die vielen Unternehmen noch gar nicht bewusst sein dürfte. Zwar ist noch knapp sechs Monate Zeit, um die Anforderungen des BFSG umzusetzen, jedoch sollte die Zeit effektiv genutzt werden. Erwartungsgemäß wird die Umsetzung ein zeitintensiver Prozess und es sind erhebliche (technische) Änderungen an Webseiten/Apps und rechtlichen Dokumenten (z. B. AGB) notwendig. Unternehmen sind also gut beraten vorhandene Defizite zu identifizieren und diese zeitnah zu beheben.