27.11.2024Fachbeitrag

Update Datenschutz Nr. 193

Neue Vorgaben zur Barrierefreiheit: Betroffene Unternehmen müssen bis Juni ihren Webauftritt überarbeiten

Die digitale Barrierefreiheit ist ein zentraler Bestandteil gesellschaftlicher Inklusion. Bereits am 16. Juli 2021 hatte der Gesetzgeber das Gesetz über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (Barrierefreiheitsgesetz – BFSG) im Rahmen der nationalen Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen umgesetzt, allerdings mit einer großzügigen Umsetzungsfrist bis zum 28. Juni 2025.

Ab diesem Zeitpunkt müssen die betroffenen Wirtschaftsakteure zur Vermeidung von Bußgeldern bis zu 100.000 Euro die Pflichten des BFSG und die der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV) umsetzen. Im Folgenden soll ein Überblick über den Anwendungsbereich des Gesetzes sowie die wesentlichen Inhalte der neuen Anforderungen gegeben werden.

I. Anwendungsbereich

Das BFSG hat das Ziel, die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen für Verbraucher und Nutzer sicherzustellen. Dadurch soll Menschen mit Behinderungen eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden.

Hierzu werden Barrierefreiheitsanforderungen an Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden bzw. an Dienstleistungen, die für Verbraucher nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden, aufgestellt.

Zu diesen zählen insbesondere digitale Inhalte wie Websites, mobile Anwendungen und Selbstbedienungsterminals. Im Fokus stehen etwa solche Anwendungen, die für Verbraucher wesentlich sind, wie Telekommunikationsdienste, Bankdienstleistungen und Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr sowie im öffentlichen Nahverkehr.

Das bedeutet für Betreiber von Websites: Sobald gegenüber dem Nutzer in wirtschaftlicher Hinsicht ein „Dienst“ angeboten wird auf der Website oder Plattform, so ist der Anwendungsbereich des BFSG eröffnet, jedenfalls soweit kein Kleinstunternehmen vorliegt (s. u.). Beispiele für derartige „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ sind etwa Kalenderfunktionen auf der Website oder ein Reservierungsservice, eine Online-Ticketbuchungsfunktion oder ein sonstiger Service mit interaktiver Kommunikation mit dem Nutzer. In derartigen Fällen sollte genau geprüft werden, ob das BFSG Anwendung findet.

Gemäß § 3 BFSG müssen Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sein, dass sie den barrierefreien Zugang ermöglichen. Für digitale Inhalte wird dies insbesondere durch die Anforderungen an die Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit gewährleistet. Der Gesetzgeber setzt dabei auf den „Stand der Technik“, der regelmäßig durch die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit veröffentlicht wird (§ 3 BFSGV).

Umsetzen müssen die Anforderungen die Hersteller (§§ 6, 7 BFSG), Einführer (§ 9 BFSG) und Händler (§ 11 BFSG) der betroffenen Produkte, sowie die Dienstleistungserbringer (§ 14 BFSG).

Für Kleinstunternehmen, die weniger als 10 Personen beschäftigen und einen Jahresumsatz oder eine Jahresbilanzsumme von max. 2 Millionen Euro haben, sieht das BFSG teilweise Ausnahmen vor.

II. Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen gem. BFSGV

Gem. §§ 4 ff. der Verordnung zum BFSG müssen die einschlägigen Produkte barrierefreie Informationen und Bedienmöglichkeiten bieten. Dies betrifft insbesondere Kennzeichnungen, Gebrauchsanweisungen und Warnhinweise, die über mehrere sensorische Kanäle wahrnehmbar sein müssen. Die Darstellung dieser Informationen hat klar verständlich und visuell anpassbar zu erfolgen, beispielsweise durch geeignete Schriftgrößen, ausreichenden Kontrast und leserfreundliche Abstände. Dies gilt sowohl für die Informationen auf dem Produkt selbst als auch für ergänzende Angaben, die online oder über andere Kanäle bereitgestellt werden.

Darüber hinaus sind spezifische Anforderungen an die Gestaltung von Verpackungen und Anleitungen zu beachten. Diese müssen ebenfalls barrierefreie Informationen enthalten, sofern dies aufgrund der Größe oder Art der Verpackung möglich ist. Informationen zur Installation, Wartung oder Entsorgung eines Produkts, die nicht direkt auf dem Produkt oder der Verpackung angebracht werden können, müssen in zugänglichen Formaten online oder auf anderen Wegen verfügbar gemacht werden.

Von zentraler Bedeutung sind ferner die Vorgaben zur Gestaltung von Benutzerschnittstellen. Produkte müssen so entwickelt werden, dass sie sowohl visuelle als auch auditive und taktile Alternativen bieten, um einer Vielzahl von Nutzerbedürfnissen gerecht zu werden. Dies umfasst Funktionen wie anpassbare Kontrast- und Helligkeitseinstellungen, flexible Lautstärkeregelungen sowie Bedienmöglichkeiten, die keine hohe Reichweite, Kraft oder feinmotorische Präzision erfordern. Ziel ist es, allen Nutzern den Zugang und die Nutzung zu ermöglichen, unabhängig von individuellen Einschränkungen.

Auch für Dienstleistungen ergeben sich gem. §§ 12 ff. BFSGV besondere Anforderungen, vor allem wenn diese auf digitalen Plattformen wie Webseiten oder mobilen Anwendungen angeboten werden. Der Zugang zu diesen Plattformen muss barrierefrei erfolgen, das heißt, sie müssen wahrnehmbar, bedienbar und verständlich gestaltet sein. Dies schließt die Bereitstellung von Informationen über die Barrierefreiheitsmerkmale der genutzten Produkte sowie deren Interoperabilität mit assistiven Technologien ein. Die Darstellung dieser Informationen hat in barrierefreien, anpassbaren Formaten zu erfolgen, die für Nutzer leicht auffindbar und verständlich sind.

Weiterhin müssen Webseiten und mobile Anwendungen die internationalen Standards der Barrierefreiheit einhalten, wie sie beispielsweise in der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) definiert sind. Unterstützungsdienste, wie Help-Desks oder Call-Center, sind verpflichtet, barrierefreie Kontaktmöglichkeiten anzubieten, um die Interaktion mit Menschen mit Behinderungen sicherzustellen.

Die genaue Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen soll durch die Veröffentlichung von Standards und Konformitätstabellen durch die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit unterstützt werden. Da die Veröffentlichung dieser Informationen noch aussteht, sollten Unternehmen bestehende Standards wie die WCAG nutzen und ihre Prozesse frühzeitig anpassen, um rechtzeitig gesetzeskonform zu agieren. Eine regelmäßige Überprüfung neuer Informationen der Bundesfachstelle ist essenziell.

III. Umsetzungspflichten

Hersteller, Einführer, Händler und Dienstleistungserbringer sind verpflichtet, sicherzustellen, dass Produkte und Dienstleistungen die Vorgaben des BFSG und der BFSGV erfüllen.

1. Pflichten der Hersteller (§§ 6, 7 BFSG)

Hersteller dürfen ein Produkt nur in den Verkehr bringen, wenn es den Barrierefreiheitsanforderungen der BFGV entspricht (s. o.). Außerdem sind sie verpflichtet die technische Dokumentation gem. Anlage 2 des BFSG zu erstellen, ein Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen, eine EU-Konformitätserklärung auszustellen (§ 18 BFSG) und das Produkt mit einer CE-Kennzeichnung zu versehen (§ 19 BFSG).

Im Fall von Nichtkonformität müssen Hersteller unverzüglich Korrekturmaßnahmen ergreifen oder das Produkt zurückrufen. Sie sind außerdem verpflichtet, die Marktüberwachungsbehörden zu informieren und ein Verzeichnis von Beschwerden sowie nicht konformen Produkten zu führen.

Gem. § 7 BSFG unterliegen Hersteller zudem besonderen Kennzeichnungs- und Informationspflichten, welche wiederum den Anforderungen für Barrierefreiheit der BSFGV unterliegen

2.  Pflichten der Einführer und Händler (§§ 9, 11)

Einführer und Händler tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, dass nur Produkte in Verkehr gebracht oder bereitgestellt werden, die den Barrierefreiheitsanforderungen entsprechen. Einführer müssen sicherstellen, dass der Hersteller das Konformitätsbewertungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt hat, die CE-Kennzeichnung angebracht ist und die erforderlichen technischen Dokumentationen sowie Gebrauchsanleitungen vorliegen. Händler wiederum dürfen ein Produkt erst anbieten, wenn diese Vorgaben erfüllt sind und die notwendigen Unterlagen beigefügt sind.

Beide Akteure sind verpflichtet, bei Kenntnis oder begründetem Verdacht auf Nichtkonformität keine Produkte in den Verkehr zu bringen oder anzubieten, bis die Abweichungen behoben sind. In solchen Fällen müssen sie unverzüglich den Hersteller sowie die zuständigen Marktüberwachungsbehörden informieren. Darüber hinaus sind sie dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass Lagerungs- und Transportbedingungen die Konformität der Produkte nicht beeinträchtigen.

3. Pflichten der Dienstleistungserbringer (§ 14 BSFG)

Auch Dienstleistungserbringer (einschließlich Betreiber von Webseiten mit Online-Services) sind gem. § 14 BSFG verpflichtet, ihre Dienstleistungen ausschließlich anzubieten oder zu erbringen, wenn diese die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen.

Außerdem sind Dienstleistungserbringer verpflichtet, umfassende Informationen über die Barrierefreiheit ihrer Dienstleistungen gem. Anlage 3 zu erstellen und diese in einer für die Allgemeinheit barrierefrei zugänglichen Form bereitzustellen. Diese Informationen müssen klar und nachvollziehbar darlegen, wie die jeweiligen Dienstleistungen die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen. Hierbei wird erwartet, dass die Angaben in einer Weise veröffentlicht werden, die für den Nutzer leicht wahrnehmbar und verständlich ist, beispielsweise in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auf andere prominente Weise. Diese Informationen sind so lange aufzubewahren, wie die Dienstleistung angeboten wird. Veränderungen in den Barrierefreiheitsanforderungen, der Art der Dienstleistungserbringung oder den harmonisierten Normen müssen proaktiv berücksichtigt werden, um die fortlaufende Einhaltung der Vorgaben sicherzustellen.

Im Fall von Nichtkonformität sind unverzüglich Maßnahmen zur Wiederherstellung der Übereinstimmung zu ergreifen.

In zeitlicher Hinsicht gilt für Betreiber von Webseiten mit Online-Services: Inhalte von Webseiten und auch mobilen Anwendungen, die vor dem 28. Juni 2024 online gestellt wurden, müssen nur gemäß den neuen Gesetzesvorgaben angepasst wer-den, wenn eine anschließende Aktualisierung oder Überarbeitung erfolgt (§ 1 BFSG). Archivseiten bleiben außen vor.

IV. Handlungsempfehlungen

  1. Bestandsaufnahme und Planung: Unternehmen sollten zunächst betroffene Produkte und Dienstleistungen identifizieren und daraufhin einen Umsetzungsplan mit klaren Verantwortlichkeiten und Fristen bis 28. Juni 2025 erstellen.
  2. Barrierefreie Gestaltung: Produktinformationen, Benutzeroberflächen, Webseiten und mobile Anwendungen müssen gemäß den Barrierefreiheitsanforderungen (z. B. WCAG-Standards) optimiert werden.
  3. Anpassung der AGB: Dienstleistungserbringer sollten ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen und andere für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen überarbeiten, um klar und verständlich darzulegen, wie ihre Dienstleistungen barrierefrei gestaltet sind.
  4. Kontinuierliche Anpassung: Die Veröffentlichung neuer Vorgaben der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit müssen überwacht und Prozesse ggf. angepasst werden.

V. Fazit

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) und die zugehörige Verordnung (BFSGV) markieren einen bedeutenden Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft, in der digitale und physische Produkte sowie Dienstleistungen für alle Menschen zugänglich sind. Mit dem Stichtag 28. Juni 2025 rückt die Frist für die Umsetzung der umfangreichen Anforderungen näher. Unternehmen müssen sich den Herausforderungen frühzeitig annehmen, um sicherzustellen, dass sie nicht nur gesetzeskonform agieren, sondern auch ihre Angebote für Menschen mit Behinderungen öffnen.

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