04.10.2018Fachbeitrag

Update Datenschutz Nr. 44

Videoüberwachung am Arbeitsplatz: Verwertbarkeit von sechs Monate alten Aufzeichnungen

Das Thema Videoüberwachung beschäftigt Unternehmen im Zuge der Umsetzung der DSGVO derzeit gleich in mehrerlei Hinsicht. So ist die Videoüberwachung im Zusammenhang mit Fragen zur Erforderlichkeit einer Datenschutzfolgeabschätzung, zu Transparenzanforderungen und Hinweisbeschilderungen sowie zur Dokumentation von Speicher- und Löschfristen durch Unternehmen relevant. Zur zulässigen Speicherdauer rechtmäßiger Videoaufzeichnungen hat jüngst das Bundesarbeitsgericht (BAG) Stellung genommen.

Mit Urteil vom 23.08.2018 (Az. 2 AZR 133/18 – noch nicht veröffentlicht) entschied das Gericht, dass der Arbeitgeber auch sechs Monate alte Videoaufzeichnungen verwerten darf, solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich zulässig sei. Obwohl es sich um einen Fall aus dem Jahr 2016 handelte, nahm das Gericht in seiner Entscheidung ausdrücklich auf die seit Mai diesen Jahres durchsetzbare Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) Bezug.

Hintergrund der Entscheidung

Die Klägerin war in einem von der Beklagten betriebenen Tabak- und Zeitschriftenhandel tätig. Die Beklagte hatte in dem Geschäft eine gut sichtbare Videoüberwachungskammer installiert. Nachdem die Beklagte Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit dem Tabakwarenbestand festgestellt hatte, wertete sie die Aufzeichnungen der Videoüberwachung, die teilweise sechs Monate zuvor entstanden waren, aus. Die Aufnahmen zeigten, dass die Klägerin Einnahmen nicht in die Kassen gelegt, sondern für sich behalten hatte. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos. Mit der erhobenen Kündigungsschutzklage hatte die Klägerin vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht (LAG) Erfolg. Beide Instanz-Gerichte kamen zu dem Ergebnis, dass die Auswertung der Videoüberwachung einem Beweisverwertungsverbot unterliege, da die Beklagte die Aufzeichnungen entgegen § 6 Abs. 5 BDSG a.F. nicht unverzüglich gelöscht habe.

Das BAG hob das Urteil des LAG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das LAG zurück. Nach Ansicht des BAG dürfe der Arbeitgeber die aufgenommenen Bilder auch verwerten, sofern die Überwachung selbst zulässig gewesen ist (diese Frage ist jetzt vom LAG zu prüfen). Die anlassbezogene Auswertung und Nutzung der Aufnahmen sei dabei auch nach sechs Monaten noch zulässig und verletze die Klägerin nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG). Die Beklagte habe das Bildmaterial nicht unverzüglich auswerten müssen, sondern habe damit durchaus warten dürfen, bis es einen berechtigten Anlass zur Einsichtnahme in die Aufzeichnungen gegeben habe.

Einordnung des Urteils in den Kontext der DSGVO

Das Urteil ist zum alten Datenschutzrecht ergangen. Jedoch würde sich nach Auffassung des BAG unter der DSGVO nichts anderes ergeben. Die Entscheidung bedeutet gegenüber der alten Rechtsprechung aus 2008 (BAG, Beschl. v. 26. 8. 2008 – 1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187) eine deutliche Aufweichung. Bisher ist das BAG davon ausgegangen, dass Videoaufnahmen in engem zeitlichen Zusammenhang mit Ihrer Entstehung ausgewertet und ggf. zu löschen seien. Dieser Ansicht folgen auch die Datenschutzaufsichtsbehörden. Nach Auffassung der Aufsichtsbehörden sind Videoaufzeichnungen unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung der Zwecke, für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig sind (Art. 17 Abs. 1 lit. a DSGVO) oder schutzwürdige In-teressen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen. Ob eine Sicherung des Materials notwendig ist, dürfte nach Meinung der Aufsichtsbehörden grundsätzlich innerhalb von ein bis zwei Tagen geklärt werden können. Unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 lit. c und e DSGVO – „Datenminimierung“ und „Speicherbegrenzung“ – sollte demnach grundsätzlich, wie auch nach alter Rechtslage, nach 48 Stunden eine Löschung erfolgen.

Auswirkungen des Urteils auf die Praxis

Das BAG stärkt durch sein Urteil eindeutig die Rechte und Möglichkeiten der Arbeitgeber im Rahmen der Beweisführung bei Verfehlungen von Arbeitnehmern. Arbeitgeber müssen danach Bildmaterial nicht sofort (innerhalb von 48) auswerten, sondern dürfen mit der Auswertung zumindest bis zu 6 Monaten warten, bis es einen konkreten Anlass zur Auswertung gibt. Kritische Stimmen sehen hierin die Gefahr eines „Freibriefs“ für eine anlasslose, dauerhafte Speicherung von Videoaufnahmen. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Videoüberwachung per se erst einmal rechtmäßig sein und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten muss. Eine Stellungnahme der Aufsichtsbehörden hierzu ist abzuwarten. Festzuhalten bleibt derzeit, dass die Anforderungen an eine rechtlich zulässige Videoüberwachung komplex sind. Der Teufel steckt auch hier im Detail. Betreiber von Videoüberwachungsanlagen sollten sich daher intensiv mit allen Einzelfragen der Gestaltung und Nutzung der entsprechenden Datenverarbeitung auseinander setzen.

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