EuGH zur Vergabepflicht von gesetzlichen Krankenkassen und sozialen Dienstleistungen
Das Vergaberecht erobert immer mehr Leistungsbereiche: Jetzt ist auch der soziale Dienstleistungsbereich betroffen.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 11.06.2009 (C-300/07) erstmals eindeutig entschieden, dass auch gesetzliche Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegen. Dies überrascht nicht. Der BGH hatte schon mit Urteil vom 01.12.2008 (X ZB 31/08) Verträge der Not-fallrettung und Krankentransporte der Vergabepflicht unterworfen. Der Gesetzgeber war vorausschauend und hat bereits im vergangenen Jahr den Rechtsweg für sozialrechtliche Vergabeverfahren in erster Instanz den Vergabekammern zugewiesen, vgl. Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV OrgWG), welches am 18.12.2008 in Kraft getreten ist.
Da der EuGH die öffentliche Auftraggebereigenschaft von gesetzlichen Krankenkassen damit begründet, dass sie sich durch Mitgliedsbeiträge finanzieren, die nach öffentlich-rechtlichen Regeln berechnet und erhoben werden, mag dies zukünftig auch für sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts gelten, die sich durch Zwangsbeiträge finanzieren, wie z. B. Berufsverbände oder -kammern.
Bedeutsam und für viele Kommunen und Sozialleistungsträger mit Sicherheit überraschend ist das Urteil des EuGH aber insofern, als dass es den Anwendungsbereich des Vergaberechts auf soziale Dienstleistungen, gleich welcher Art, erstreckt.
Der EuGH schlichtet damit den langjährigen Streit, ob Vereinbarungen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern im sozialen Dienstleistungssektor nach Vergaberecht geschlossen werden müssen. „Die Entscheidung bringt Rechtsklarheit und ist daher zu begrüßen. Zwar sind die Kommunen jetzt gefordert, ihre bisherige Praxis schnell zu ändern. Das Vergaberecht bringt aber auch im Bereich der sozialen Dienstleistungen Vorteile. Die steigenden Kosten bei sinkenden finanziellen Mitteln erfordern wirtschaftliches Handeln. Dieser Kostendruck ist nur durch Wettbewerb aufzufangen“, so Dr. Ute Jasper, Vergabeexpertin der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek.
Der EuGH gab einem orthopädischen Schuhtechnikunternehmen, der Hans & Christophorus Oymanns GbR, im Streit gegen die AOK Rheinland/Hamburg Recht. Das Unternehmen beanstandete, dass die AOK Rhein-land/Hamburg einen Rahmenvertrag über die Anfertigung und Lieferung von Schuhwerk zur integrierten Versorgung im Sinne der §§ 140 a ff. SGB V an die Versicherten nicht europaweit ausgeschrieben hatte. Das OLG Düsseldorf fragte den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens, ob gesetzliche Krankenkassen öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts und ob Rahmenvereinbarungen der infragestehenden Art vergaberelevante Dienstleistungsaufträge seien. Der EuGH hat sich der Auffassung des Generalanwaltes angeschlossen und beide Fragen bejaht.