Videoverhandlungen auch in vergaberechtlichem Nachprüfungsverfahren?
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie greifen Gerichte vermehrt auf die Möglichkeit zurück, mündliche Verhandlungen in Form von sog. Videoverhandlungen durchzuführen. Auf diese Weise gewährleisten sie einen angemessenen Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse an der Eindämmung der COVID-19-Pandemie und dem Individualinteresse der Verfahrensbeteiligten, von den Gerichten auch in ihrem mündlichen Vortrag gehört zu werden. Angesichts der gegenwärtig steigenden Infektionszahlen ist die Videoverhandlung insbesondere dann erwägenswert, wenn die Durchführung einer herkömmlichen Präsenzverhandlung für die Beteiligten mit einer aufwendigen Anreise verbunden ist.
Videoverhandlung auch ohne ausdrückliche Regelung zulässig?
Dies wirft auch für die vergaberechtliche Praxis die Frage auf, ob Videoverhandlungen im vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren zulässig sind. Denn auch bei der Gestaltung des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren gilt es einen angemessenen Ausgleich zwischen Infektionsschutzgesichtspunkten einerseits und dem Interesse der Beteiligten an der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu finden. Anders als in den meisten fachgerichtlichen Verfahrensordnungen sehen die Vorschriften des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens allerdings keine ausdrückliche Regelung zur Videoverhandlung vor. Dies gilt sowohl für das erstinstanzliche Verfahren vor den Vergabekammern als auch für das Beschwerdeverfahren vor den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte. In der vergaberechtlichen Praxis mehren sich die Stimmen, dass eine Videoverhandlung vor den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen jedenfalls mit Einverständnis der Verfahrensbeteiligter zulässig sei.
Deutschlandweit erste Videoverhandlung in vergaberechtlichem Nachprüfungsverfahren
So hat dies auch der Vergabesenat des OLG Karlsruhe in einem aktuellen vergaberechtlichen Beschwerdeverfahren beurteilt, an dem die Rechtsanwälte Dr. Martin Schellenberg und Moritz Ahlers als Verfahrensbevollmächtigte beteiligt sind. Die beiden Anwälte aus der Praxisgruppe „Öffentlicher Sektor und Vergabe“ haben Ende Oktober an der – soweit ersichtlich – deutschlandweit ersten Videoverhandlung in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren teilgenommen. Im Anschluss an die Verhandlung waren sich sämtliche Beteiligten einschließlich der Mitglieder des Vergabesenates darüber einig, dass die Videoverhandlung unter den gegebenen Umständen eine zweckmäßige und gegenüber dem schriftlichen Verfahren vorzugswürdige Alternative zur herkömmlichen Präsenzverhandlung ist.
Literaturhinweis
Rechtsanwalt Moritz Ahlers hat sich in seinem Aufsatz „Die Zulässigkeit der ‚konsentierten Videoverhandlung‘ vor Vergabekammern“ (NZBau 2020, 628-632) eingehend mit der Fragestellung auseinandergesetzt, inwieweit die Videoverhandlung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung bereits nach geltender Rechtslage im erstinstanzlichen vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren zulässig ist.