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Aufpassen beim Unterlassungsanspruch!
Der BGH hat in mehreren kürzlich ergangenen Entscheidungen deutlich gemacht, dass der Schuldner eines Unterlassungsanspruches in vielen Fällen auch verpflichtet ist, in den Markt gelangte, rechtsverletzende Produkte von seinen Vertriebspartnern zurückzufordern. Dies hat erhebliche und haftungsträchtige Auswirkungen sowohl für den Kläger als auch für den Beklagten.
Es hat sich lange angekündigt; mit der Entscheidung „Rescue-Tropfen“ des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 29.09.2016, Aktenzeichen: I ZB 34/15, MarkenR 2017, 74) hat es seinen vorläufigen Abschluss gefunden: Der BGH hält in dieser Entscheidung fest, dass der zur Unterlassung Verpflichtete, wenn er für eine fortdauernde Störung verantwortlich ist, regelmäßig nicht nur zur Unterlassung derartiger Handlungen in der Zukunft, sondern auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichtet ist. Danach muss ein Schuldner, dem der Vertrieb eines Produkts untersagt worden ist, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden (BGH, a.a.O., 1. Leitsatz).
Wenn also ein Beklagter verurteilt worden ist, in Zukunft den Vertrieb eines Produktes zu unterlassen, muss er nunmehr in dieses Urteil auch die Pflicht hineinlesen, dass er den weiteren Vertrieb solcher Produkte nach Möglichkeit verhindern muss, die er bereits aus der Hand gegeben und an seine Vertriebspartner veräußert hat. Dabei verlangt der BGH glücklicherweise nicht einen Erfolg. Wenn also der Vertrieb sich auf entsprechende Aufforderung hin weigert, soll die Verpflichtung des Beklagten erfüllt sein.
Zwar habe er für das selbständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen, er sei jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche und tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat (BGH, a.a.O., Rn 30).
Auch wenn er keine rechtliche Handhabe besitze, von seinem Vertrieb die Rückgabe zu verlangen, sei es ihm doch möglich und zumutbar, den Vertrieb um Rückgabe zu ersuchen. Wie im Einzelnen dieses Rückgabeersuchen auszusehen hat, hierzu äußert sich der BGH nicht.
Diese Entscheidung sorgt für einige Probleme nicht nur auf Beklagten-, sondern auch auf Klägerseite. Zum einen muss der Beklagte erst einmal wissen, dass er so weitgehend verpflichtet ist. Mit der BGH-Entscheidung ist dies nun klargestellt, es ergibt sich aber nicht ohne weiteres schon aus der Formulierung des Unterlassungsanspruchs. Dass man etwa ein urheberrechtsverletzendes Foto auf der eigenen Internetseite herausnehmen muss, wenn man zur Unterlassung verpflichtet ist, dies leuchtet ohne weiteres ein. Wie weitgehend man aber verpflichtet ist, auf Dritte einzuwirken, dass diese, etwa Suchmaschinen, auf dieses Foto nicht weiter verlinken und gar eine Cache-Speicherung des Fotos löschen, ist manchmal nicht klar. Für den Juristen verwirrend ist zudem, dass das Wettbewerbsrecht und der gewerbliche Rechtsschutz neben dem Unterlassungsanspruch in der Regel Beseitigungsansprüche vorsehen. Der Kläger könnte also, wenn er eine Beseitigung will, dies mit einem entsprechenden Antrag deutlich machen. Dem bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH nunmehr endgültig nicht mehr. Dies hatte der BGH auch schon in den Entscheidungen „CT Paradies“ (MarkenR 2015, 157 und „Hot Socks“ (MarkenR 2016, 315) formuliert, mit der jetzt vorliegenden Entscheidung „Rescue-Tropfen“, besteht daran kein Zweifel mehr.
Die Nichtbefolgung dieses weitgehenden Unterlassungsanspruchs kann erhebliche Folgen haben, insbesondere, weil zum Beispiel wegen fehlenden Rückrufs Ordnungsgelder in erheblicher Höhe drohen. Wenigstens will der BGH für eine gewisse Zeit zulassen, dass im Ordnungsmittelverfahren vorgetragen werden kann, aus welchen Gründen ein Rückruf dem Beklagten nicht zuzumuten sei (BGH, a.a.O., 2. Leitsatz). Auf einer Tagung haben jedoch die Richter des 1. Zivilsenates anklingen lassen, dass dies wohl nicht lange so sein wird.
Problematisch auch für den Kläger
Auch für den Kläger oder insbesondere für den Antragsteller einer einstweiligen Verfügung ist diese Rechtsprechung nicht ganz ungefährlich. Wird dem Antragsteller ein Unterlassungsanspruch bezüglich des Vertriebs eines Produktes zugesprochen, und reagiert der Antragsgegner darauf unter anderem mit einem Rückruf seiner Produkte aus dem Vertrieb, können erhebliche Schadensersatzansprüche entstehen; dann nämlich, wenn die einstweilige Verfügung später aufgehoben wird. Dies kann durchaus passieren, da das Verfügungsverfahren bekanntlich ein Eilverfahren ist, in dem sehr schnell entschieden wird und auch Fehler passieren können. Der aus einer vollstreckten, später jedoch aufgehobenen einstweiligen Verfügung entstehende Schaden ist dem Antragsgegner dann zu ersetzen.
Handlungsempfehlung für die Praxis
Was ist also zu tun? Ist man sich als Antragsteller bei einer Verfügung nicht ganz sicher, und möchte einen möglichen Schadensersatzanspruch der Gegenseite nach Aufhebung der Verfügung minimieren, so sollte man im Verfügungsantrag bereits signalisieren, dass man einen Rückruf der Produkte des Gegners nicht erwartet. Auf der oben angesprochenen Tagung hat der Vorsitzende des 1. Zivilsenates des BGH anklingen lassen, dass er dies nicht für dringlichkeitsschädlich hält. Dies wäre daher ein gangbarer Weg.
Als Antragsgegner oder Beklagter in einem Hauptsacheverfahren muss man bei Befolgung eines Urteilstenors den Rückruf bedenken und gegebenenfalls auch durchführen. Anderenfalls wird womöglich ein Ordnungsgeld fällig. Das hat unangenehme Folgen, da der Rückruf der eigenen Produkte beim Vertrieb denkbar unangenehm ist. In manchen Fällen bietet es sich vielleicht an, bei Zustellung einer einstweiligen Verfügung dieses Thema mit dem Antragsteller zu besprechen und eine Einigung zu finden; meist wird dies jedoch nicht möglich sein.
Die Entscheidung stößt in der Praxis aus den oben beschriebenen Gründen auf erheblichen Widerstand. Der 1. Zivilsenat hat jedoch in der bereits erwähnten Tagung seine Entscheidung verteidigt und trotz vorgetragener Argumente deutlich gemacht, dass er an dieser Entscheidung zumindest für die nähere Zukunft festhalten will.