Update IP, Media & Technology Nr. 101 und Update ESG 2/2024
BGH verbietet Werbung mit „klimaneutral“ ohne konkrete und direkt einsehbare weitere Hinweise
Mit Spannung wurde das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Bewerbung von Fruchtgummis mit der umweltbezogenen Aussage „klimaneutral“ erwartet.
Der Entscheidung des BGH vom 27. Juni 2024 (Az.: I ZR 98/23) vorausgegangen war eine Vielzahl instanzgerichtlicher Entscheidungen zur Verwendung des Begriffs „klimaneutral“. Die Gerichte vertraten unterschiedliche Auffassungen dazu, wie der Verbraucher den Begriff „klimaneutral“ versteht, welche aufklärenden Hinweise der Werbende erteilen muss und wie diese Hinweise erteilt werden müssen (siehe dazu unser Update IP Nr. 83).
Nun sorgt der BGH für mehr Klarheit.
Zur Vorgeschichte
Das OLG Düsseldorf hatte im vergangenen Jahr in gleich zwei Verfahren über die Zulässigkeit der Werbung mit Klimaneutralität entschieden (Urt. v. 06.07.2023, Az. I-20 U 72/22, I-20 U 152/22). In den von der Wettbewerbszentrale initiierten Verfahren ging es um die Werbung einer Konfitürenherstellerin und eines Fruchtgummiherstellers, die ihre Produkte jeweils als „klimaneutral“ bewarben.
Das OLG Düsseldorf stellte in seinen Entscheidungen klar, dass der durchschnittliche Verbraucher den Begriff „klimaneutral“ im Sinne einer ausgeglichenen CO2-Bilanz verstehe, wobei ihm bekannt sei, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne. Dies gelte schon deshalb, weil dem Verbraucher bekannt sei, dass auch Waren und Dienstleistungen als klimaneutral beworben werden, die – wie beispielsweise Flugreisen – nicht emissionsfrei erbracht werden können und bei denen Klimaneutralität nur durch Kompensationszahlungen möglich sei.
Allerdings treffe den Werbenden eine Informationspflicht darüber, auf welche Weise die Klimaneutralität des beworbenen Produkts erreicht werde. Dem Aufklärungsinteresse war nach Auffassung des OLG Düsseldorf dabei genüge getan, wenn die Informationen auf einer weiterführenden Internetseite zur Verfügung stehen, auf die beispielsweise durch Anbringung eines QR-Codes verwiesen wird. Aufklärende Informationen direkt im Zusammenhang mit der Verwendung des Begriffs, etwa auf der Verpackung eines Produkts, forderte das Gericht nicht.
Im Fall des Konfitürenherstellers gab das OLG Düsseldorf daher der Wettbewerbszentrale recht und erklärte die Bewerbung für irreführend, da aufklärende Hinweise vollständig fehlten. Im Fall des Fruchtgummi-Herstellers genügte dem OLG Düsseldorf die Aufklärung, die über einen QR-Code auf einer Website eingesehen werden konnte. Das Gericht wies die Klage der Wettbewerbszentrale ab.
Hiergegen wendete sich die Wettbewerbszentrale mit der Revision.
Das Urteil des BGH
Der BGH hat nun in seiner Entscheidung vom 27. Juni 2024 das Urteil des OLG Düsseldorf aufgehoben. Anders als die Vorinstanzen, sieht er die Bewerbung des Produkts des Fruchtgummi-Herstellers als „klimaneutral“ als irreführend im Sinne des § 5 UWG an.
Bei umweltbezogener Werbung gelten, so der BGH in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung, dieselben strengen Maßstäbe wie bei gesundheitsbezogener Werbung. Wenn ein mehrdeutiger umweltbezogener Begriff verwendet werde, müsse daher zur Vermeidung einer Irreführung schon in der Werbung selbst die konkrete Bedeutung des Begriffs erläutert werden. Ein Verweis auf weiterführende Informationen an anderer Stelle genüge nicht.
Der Begriff „klimaneutral“ sei ein mehrdeutiger Begriff. Er könne entweder im Sinne einer Reduktion von Treibhausgasen im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2-Emmissionen verstanden werden. Es hätte also einer Aufklärung bereits in der Werbung bedurft. Der Verweis auf weitere Informationen über einen QR-Code, oder die Angabe eines Links, sind nach der Entscheidung des BGH in einem solchen Fall nicht ausreichend.
Der BGH hebt in seiner Entscheidung drei Aspekte besonders hervor:
- Zum ersten die erhebliche Bedeutung umweltbezogener Aussagen für die Kaufentscheidung des Verbrauchers.
- Zum zweiten, in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung, dass umweltbezogene Werbung so wie gesundheitsbezogene Werbung zu beurteilen ist. Bei beiden sei die Irreführungsgefahr besonders groß und es bestehe deshalb ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen.
- Zum dritten sei der Begriff „klimaneutral“ deshalb besonders erläuterungsbedürftig, weil Reduktion und Kompensation von CO2-Immissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität seien, sondern die Reduktion gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig sei.
Ausblick
Die Entscheidung des BGH wird erhebliche Auswirkungen auf die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ haben. Die bisherige Übung, aus Platzmangel für weitere Informationen auf eine Internetseite zu verweisen, wird künftig nicht mehr möglich sein. Stattdessen müssen alle relevanten Informationen bereits in der Werbung bzw. auf der Verpackung des Produkts angegeben werden. Diese Grundsätze werden auch für andere umweltbezogene Begriffe gelten, deren Bedeutung für den angesprochenen Verkehr nicht eindeutig ist.
Allerdings wird die Entwicklung der umweltbezogenen Werbung an diesem Punkt nicht stehenbleiben. Im März dieses Jahres ist die Europäische Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen (sog. EmpCo-RL) in Kraft getreten, die bis spätestens März 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden muss. Eine weitere Richtlinie, die sog. Green Claims Richtlinie befindet sich noch im europäischen Gesetzgebungsverfahren. Beide bringen deutlich verschärfte Anforderungen an umweltbezogene Werbung. Insbesondere aber verbietet die EmpCO-Richtlinie unter anderem die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ für Produkte schlechthin, sofern die Klimaneutralität (auch) durch Kompensationsmaßnahmen und nicht ausschließlich durch (nachzuweisende) Einsparungen erreicht wird.
Insofern sind die Vorgaben des BGH nur von begrenzter Dauer. Schon sehr bald werden noch deutlich strengere Regelungen für die Werbung mit umweltbezogenen Angaben gelten.