Update IP, Media & Technology Nr. 83
„Green claims“ – Uneinigkeit unter den Gerichten zur Bedeutung von „klimaneutral“
Die immense Bedeutung des Klimaschutzes wirkt sich inzwischen zunehmend auch auf das Marktverhalten von Verbrauchern aus. Klimaneutralität und Nachhaltigkeit nimmt für Verbraucher eine immer wichtiger werdende Rolle ein, was einen erheblichen Einfluss auf das Kaufverhalten hat. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen explizit mit Begriffen wie „klimaneutral“, „umweltfreundlich“, „umweltverträglich“ oder „bio“ bewerben.
Diese umweltbezogene Werbeaussagen (sog. „Green Claims“) geraten jedoch häufig in Konflikt mit dem Wettbewerbsrecht, weshalb sich immer mehr Gerichte mit ihnen befassen müssen. Im Fokus steht dabei die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ und die Frage, ob und wann die Werbung mit diesem Begriff irreführend und damit als unlautere Handlung gemäß § 3 Abs. 1 UWG unzulässig ist.
Eine unlautere Handlung liegt nach § 5 Abs. 1 UWG bei einer irreführenden geschäftlichen Handlung vor, welche zu einer geschäftlichen Entscheidung führt, die man ohne die Irreführung nicht getroffen hätte. Hierunter fällt auch irreführende Werbung. Zudem handelt nach § 5 a UWG unlauter, wer einen Verbraucher oder Marktteilnehmer irreführt, indem er ihm eine wesentliche Information vorenthält.
Grundsätzlich ist Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ nicht irreführend (vgl. OLG Schleswig, Urt. vom 30.06.2022 – 6 U 46/21). Zur Auslegung des Begriffs „klimaneutral“ und den Anforderungen hieran vertreten die Gerichte allerdings unterschiedliche Auffassungen. An einer höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) fehlt es bislang.
Urteil OLG Düsseldorf vom 06.07.2023 - I-20 U 72/22, I-20 U 152/22
Erst kürzlich hat das OLG Düsseldorf in zwei Verfahren über die Zulässigkeit der Werbung mit Klimaneutralität entschieden (Urt. v. 06.07.2023, Az. I-20 U 72/22, I-20 U 152/22). In den von der Wettbewerbszentrale initiierten Verfahren ging es um die Werbung einer Konfitürenherstellerin und eines Fruchtgummiherstelles, die ihre Produkte jeweils als „klimaneutral“ bewarben.
Das OLG Düsseldorf stellt in seinen Entscheidungen klar, dass der durchschnittliche Verbraucher den Begriff „klimaneutral“ nicht in der Weise verstehe, dass im Herstellungsprozess kein CO2 ausgestoßen wurde. Vielmehr verstehe der durchschnittliche Verbraucher den Begriff „klimaneutral“ im Sinne einer ausgeglichenen CO2-Bilanz, wobei ihm bekannt sei, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne. Dies gelte schon deshalb, weil dem Verbraucher bekannt sei, dass auch Waren und Dienstleistungen als klimaneutral beworben werden, die – wie beispielsweise Flugreisen – nicht emissionsfrei erbracht werden können und bei denen Klimaneutralität nur durch Kompensationszahlungen möglich sei.
Allerdings treffe den Werbenden eine Informationspflicht darüber, auf welche Weise die Klimaneutralität des beworbenen Produkts erreicht werde. Dem Aufklärungsinteresse sei dabei genüge getan, wenn die Informationen auf einer weiterführenden Internetseite zur Verfügung stehen.
Urteil OLG Frankfurt a. M. vom 10.11.2022 – 6 U 104/22
Ebenso sieht es das OLG Frankfurt a. M., welches über die Werbung eines Geschirrspülmittels unter Verwendung des Logos „klimaneutral“ zu entscheiden hatte. Der Begriff „klimaneutral“ sei schon aus sich heraus verständlich. Das Gericht ging auch hier von einem Durchschnittsverbraucher aus, der den Begriff „klimaneutral“ im Sinne einer ausgeglichenen CO2-Bilanz verstehe und dem bekannt sei, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne.
Erforderlich sei indes eine Aufklärung darüber, ob die Klimaneutralität durch Einsparungen bzw. Kompensationsmaßnahmen erreicht werde und ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanz ausgenommen würden.
Urteil OLG Schleswig vom 30.06.2022 – 6 U 46/21
Nach Ansicht des OLG Schleswig, dem ein Verfahren gegen die Werbung für Müllbeutel mit der Angabe „klimaneutral“ zu Grunde lag, enthält der Begriff der Klimaneutralität eine eindeutige Erklärung, dass das damit beworbene Produkt eine ausgeglichene CO2-Bilanz aufweist. Dabei seien in der Bilanz auch Kompensationsmaßnahmen zu berücksichtigen. Erläuternde Hinweise zur Art und Weise der Kompensationsmaßnahmen seien hingegen nicht erforderlich. Allerdings lasse sich von der Aussage „klimaneutral“ nicht darauf schließen, dass das herstellende Unternehmen ausschließlich klimaneutrale Waren produziere.
Auswirkungen auf die Praxis
Wer bei der Bewerbung seiner Produkte unter dem Begriff „klimaneutral“ das Risiko eines Wettbewerbsverstoßes vermeiden möchte, sollte, insbesondere aufgrund der noch nicht gefestigten Rechtsprechung, darüber aufklären, auf welche Weise die Klimaneutralität erreicht wird und ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanz ausgenommen wurden. In welchem Umfang die Informationen bereitzustellen sind, ist dabei einzelfallabhängig. Je transparenter und konkreter jedoch über die Art und den Umfang der Einsparungen bzw. Kompensationsmaßnahmen informiert wird, desto geringer ist das Risiko einer Abmahnung etwa durch Verbraucherverbände. Ausreichend nach aktuellem Stand ist es, die Informationen im Internet zur Verfügung zu stellen – zumindest sofern es aufgrund der Größe des Produkts nicht möglich ist, die Informationen direkt auf dem Produkt zu platzieren. So kann beispielsweise durch Abbildung eines QR-Codes auf dem Produkt, der auf die Website mit den entsprechenden Informationen verweist, die Informationspflicht erfüllt werden.
Im Übrigen bleibt der Erlass der neuen EU-Richtline (Green Claims Directive) abzuwarten, welche genaue Vorgaben dazu enthalten soll, wie mit umweltbezogenen Aussagen geworben werden darf. Der Entwurf der Kommission zur Richtlinie wurde am 22. März 2023 veröffentlicht und muss noch das Verfahren im Europäischen Parlament und Rat durchlaufen. Wir berichteten hierüber in unserem IP Update Nr. 81.