Gruppenversicherungsmodelle vor dem Aus?
Der folgende Artikel wurde am 17. Oktober 2022 im Versicherungsmonitor erstveröffentlicht
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit einem aktuellen Urteil zur Gruppenversicherung aufhorchen lassen, indem er ein (weiteres) Schlupfloch zur Umgehung der strengen Anforderungen an die Vermittlertätigkeit geschlossen hat. Gruppenversicherungsmodelle verlieren damit deutlich an Attraktivität.
Wer gewerbsmäßig als Versicherungsvermittler tätig ist, benötigt hierfür gemäß Paragraf 34d Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) eine Erlaubnis der zuständigen Industrie- und Handelskammer. Die Erlaubniserteilung setzt unter anderem voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt und in geordneten Vermögensverhältnissen lebt. Zudem hat der Antragsteller den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung oder einer gleichwertigen Garantie nachzuweisen. Bei der Ausübung seiner Tätigkeit treffen den Versicherungsvermittler überdies weitreichende Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten.
Geschäftsmodelle, die eine Umgehung des vorstehend skizzierten Pflichtenkatalogs ermöglichen, erfreuen sich daher großer Beliebtheit. Sie werden von der Rechtsprechung allerdings zunehmend auf den Prüfstand gestellt. So sah sich der EuGH kürzlich mit einem Fall konfrontiert, bei dem ein Unternehmen für seine Kunden eine Gruppenversicherung zur Absicherung gegen Erkrankung und Unfall bei Auslandsreisen abgeschlossen hatte. Das Unternehmen fungierte insoweit als Versicherungsnehmerin und entrichtete die vertraglich vereinbarten Prämien an die Versicherungsgesellschaft. Die Kunden erhielten sodann die Möglichkeit einer Mitgliedschaft in der abgeschlossenen Gruppenversicherung.
Ob dieses Modell eine erlaubnispflichtige Versicherungsvermittlung darstellt, war Gegenstand des sich über drei Instanzen hinziehenden Ausgangsverfahrens, das auch beim Bundesgerichtshof (BGH) noch kein Ende fand. Der BGH wandte sich im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH. Dabei ging es um die Frage, ob ein Unternehmen, das als Versicherungsnehmer eine Gruppenversicherung unterhält, gegenüber Verbrauchern Mitgliedschaften vertreibt und von den geworbenen Mitgliedern eine Vergütung für den diesen zuteil gewordenen Versicherungsschutz erhält, als Versicherungsvermittler gemäß Art. 2 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 zu qualifizieren ist.
Dies hat der EuGH mit Urteil vom 29. September 2022 (Az. C-633/20) bejaht. Die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung – so die Begründung des EuGH – umfasse nicht nur das Anbieten und das Vorschlagen von Versicherungsverträgen, sondern auch andere Vorbereitungsarbeiten zum Abschluss solcher Verträge. Soweit die Gruppenspitze einen freiwilligen Beitritt ihrer eigenen Kunden zu einem von ihr selbst abgeschlossenen Gruppenversicherungsvertrag anstrebe, sei dies mit der Tätigkeit eines Versicherungsvermittlers oder -vertreibers vergleichbar. Zudem erhalte die Gruppenspitze eine Vergütung, wodurch sie ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran habe, auf eine große Zahl von Vertragsbeitritten hinzuwirken. Dabei sei es unerheblich, dass die Vergütung von den eingeworbenen Mitgliedern und nicht von der Versicherungsgesellschaft gezahlt werde. Auch der Umstand, dass die Gruppenspitze als Versicherungsnehmerin selbst Vertragspartei sei, lasse die Vermittlereigenschaft nicht entfallen.
Die Entscheidung des EuGH knüpft nahtlos an das EuGH-Urteil vom 24. Februar 2022 an (Az. C-143/20 und C-213/20). Seinerzeit hatte der EuGH bereits in einem polnischen Vorlageverfahren entschieden, dass die Versicherungsnehmerin einer fondsgebundenen Gruppenlebensversicherung als Versicherungsvermittlerin einzuordnen ist. Der dem Urteil vom 24. Februar 2022 zugrunde liegende Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, dass die Prämienzahlung durch die versicherten Kunden erfolgte.
Die Folgen der aktuellen EuGH-Entscheidung für die Praxis sind weitreichend. So werden Gruppenspitzen in vergleichbaren Fällen dafür Sorge tragen müssen, dass sie die (strengen) Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung erfüllen. Zudem ergeben sich fortan nicht nur Weiterbildungspflichten, sondern auch haftungsträchtige Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten. Ob auf Seiten der Gruppenspitzen die Bereitschaft besteht, den damit einhergehenden Aufwand auf sich zu nehmen, bleibt abzuwarten.
Doch nicht nur die Gruppenspitzen sind betroffen. Auch die Versicherungsunternehmen werden zwecks Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Versicherungsaufsichtsgesetz bei Gruppenversicherungsmodellen künftig genauer hinsehen müssen.