24.05.2024Fachbeitrag

Update IP, Media & Technology Nr. 99

Prüfpflichten sinngleicher Inhalte für Facebook und die Zumutbarkeit menschlich-händischer Einzelfallbewertungen

I. Der Fall

Der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt hat ein rechtswidriges „Meme“, welches ein Falschzitat der Klägerin enthält, zum Gegenstand (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.01.2024 – 16 U 65 / 22). Bei der Klägerin handelt es sich um eine deutsche Politikerin und Bundestagsabgeordnete. Die Beklagte ist Betreiberin des sozialen Netzwerks „Facebook“. Das von einem Nutzer veröffentlichte Meme zeigt die Klägerin und enthält eine angeblich der Klägerin zuzuordnende Aussage. In der sog. „Caption“ des Memes hieß es: „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!“. Diese Aussage wurde von der Klägerin nie getroffen.

Erstinstanzlich wurde die Beklagte zur Unterlassung und zu einer Geldentschädigung in Höhe von 10.000 EUR verurteilt. Die Beklagte legte gegen das Urteil Berufung ein.

II. Die Entscheidung

Das OLG Frankfurt a.M. bekräftigt die Feststellung der Vorinstanz, dass das Zitat einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstelle. Aus diesem Grund hafte die Beklagte in der Rolle der mittelbaren Störerin für alle weiteren sinngemäßen Memes auf ihrer Plattform. Die Klägerin habe auf das hier maßgebliche Meme hingewiesen, dies reiche aus, um für die Beklagte Prüf- und Verhaltenspflichten im Hinblick auf sinngemäße und identische Memes auszulösen.

Das OLG führt ferner aus, was unter „sinngemäßen“ Memes zu verstehen sei. Denn es macht deutlich, dass ein „sinngemäßes“ Meme nicht bloß dann anzunehmen sei, wenn es zwar die exakt gleiche Aussage enthält, aber beispielsweise orthographische Fehler vorliegen. Vielmehr sei die Anforderung an ein „sinngemäßes“ Meme auch schon dann erfüllt, wenn sprachliche und graphische Elemente hinzugefügt wurden. Es käme darauf an, dass die Memes den unrichtigen Eindruck vermitteln, dass das Meme der betroffenen Person zuzuordnen sei.

Darüber hinaus macht das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. deutlich, dass es nicht die Grenze zur Unzumutbarkeit für Plattformen überschreite, wenn unter Umständen Inhalte im Hinblick auf ihre Sinngleichheit, sofern erforderlich, einer „menschlich-händischen Einzelfallbewertung“ unterzogen werden würden. Im Übrigen seien die Inhalte anhand automatisierter Techniken und Mittel rauszusuchen und anschließend zu löschen.

Hinsichtlich der Verurteilung zur Geldentschädigung der Beklagten gegenüber der Klägerin teilt das OLG Frankfurt a.M. die Ansicht der Vorinstanz nicht. Zwar hafte die Beklagte infolge einer Garantenpflicht, die ab dem Zeitpunkt der Kenntnis über das rechtswidrige Meme eintrete, wegen Beihilfe durch Unterlassen. Die Beklagte habe es unterlassen, die rechtswidrigen Inhalte zu löschen. Allerdings stelle dies nach Ansicht des Gerichts noch nicht so eine gewichtige Persönlichkeitsrechtsverletzung dar, dass eine Geldentschädigung begründet sei.

III. Stellungnahme

Im Kern hat das Urteil zur Folge, dass Facebook von nun an nicht lediglich verpflichtet wird, rechtswidrige Inhalte zu löschen, sondern auch Inhalte, die ihrem Sinn nach gleich sind, von der Plattform herunterzunehmen. Maßgeblich sei hierbei, dass es keines erneuten Hinweises durch den Betroffenen bedürfe, so das OLG Frankfurt a.M. Damit wird der Plattform „Facebook“ die proaktive Pflicht auferlegt, die Plattform nach rechtswidrigen Inhalten bzw. nach sinngleichen Inhalten zu durchsuchen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich diese Entscheidung mit Art. 8 DSA in Einklang bringen lässt. Art. 8 DSA regelt, dass den Plattformbetreibern eben keine allgemeine Überwachungspflichten für gespeicherte oder übermittelte Inhalte auferlegt werden dürfen.

Allerdings hat sich auch schon der EuGH mit diesem Thema beschäftigt. In seiner Entscheidung vom 3. Oktober 2019 (Az.: C-18 / 18) hat der EuGH festgehalten, dass es nicht gegen Art. 15 Abs. 1 ECRL (heute ersetzt durch Art. 8 DSA) verstoße, wenn Plattformen zur Entfernung sinngleicher Inhalte verpflichtet werden. Dies setze allerdings voraus, dass bestimmte Aspekte, die für die Sinngleichheit sprechen, im Voraus konkretisiert wurden, sodass eine eigenständige Überprüfung und Untersuchung durch die Plattform nicht erforderlich seien. Vielmehr solle die Plattform sich diesbezüglich auf die vorherige Meldung der betroffenen Person verlassen können.

Nichtsdestotrotz stellt sich weiterhin die Frage, wie es sich mit der Aussage des OLG verhält, dass unter Umständen auch eine menschlich-händische Einzelfallbewertung erforderlich sein könne. Das Gericht normierte diese Möglichkeit insbesondere in Bezug auf Memes, die zwar den gemeldeten Memes sinngleich sind, die Sinngleichheit sich jedoch nicht nur durch eine andere Rechtsschreibung oder Zeichensetzung ergebe. Memes könnten auch sinngleich sein, wenn sie ihrem Wortlaut nach unterschiedlich formuliert seien bzw. unterschiedliche Wort- oder Graphikelemente enthalten würden.

Diese mögliche Verpflichtung des OLG Frankfurt a.M. zur menschlich-händischen Einzelfallbewertung steht der Entscheidung des EuGH jedoch nicht entgegen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Tatsache, dass der EuGH den Einsatz automatisierter technischer Mittel für Nachforschungen bezüglich bestimmter Inhalte vorsehe, jedoch nicht für deren inhaltliche Beurteilung. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, dass automatisierte technische Mittel die vollständige Beurteilung der Sinngleichheit verschiedener Inhalte bieten könnten. In diesem Zusammenhang ist primär darauf hinzuweisen, dass technische Hilfsmittel bisher noch nicht in der Lage sind, sprachliche Nuancen wie Sarkasmus, Ironie etc. zu erkennen. Daher wird es definitiv Inhalte geben, dessen Bewertung für automatisierte technische Mittel schlicht unzugänglich ist. Dementsprechend könnte man, wenn die ausnahmsweise menschlich-händische Einzelfallbewertung unzulässig ist, manche Inhalte auf ihre Sinngleichheit nicht überprüfen. Dies würde dem Urteil des EuGH nicht entsprechen, welches eine Überprüfung auf Sinngleichheit durchaus vorsieht.

Spannend bleibt es trotzdem, da das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. die Revision aufgrund der generellen Bedeutung dieser Frage zugelassen hat. Es bleibt daher erwartungsvoll abzuwarten, wie sich der BGH zu diesem Themenkreis äußern wird.

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