Update IP Nr. 6
Rechtsschutz gegen Bewertungsportale im Internet II
I. Überblick
In der digitalen Welt dienen Bewertungsportale als wichtige Informationsquelle für Internetnutzer und deren Entscheidungen. Das Ärztebewertungsportal Jameda erfüllt daher eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion: Markttransparenz ärztlicher Dienstleistungen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Bewertungen den sozialen und beruflichen Geltungsanspruch von Ärzten und deren Chancen im Wettbewerb nachhaltig beeinflussen können.
Die Rechtsprechung hat die rechtlichen Rahmenbedingungen im Kontext mit der Löschung von Profilen des Ärztebewertungsportals weiter konkretisiert. Im Anschluss an unser IP-Update Nr. 2 vom 17. Juli 2017 zur Löschung negativer Bewertungen informieren wir Sie über die jüngste Rechtsprechung des BGHs zu dem Ärztebewertungsportal Jameda und den Konsequenzen für die Praxis.
II. BGH zur Speicherung personenbezogener Daten durch das Ärztebewertungsportal Jameda
1. Sachverhalt der Entscheidung vom 20. Februar 2018 – Az. VI ZR 30/17
Die Beklagte, das Bewertungsportal Jameda, bietet unter www.jameda.de unentgeltlich Informationen über Ärzte und Träger anderer Heilberufe an, wie z.B. Name, Fachrichtung, Praxisanschrift. Zudem sind neben diesen „Basisdaten“ Bewertungen der Ärzte abrufbar, welche Patienten mittels eines Benotungssystems, aber auch durch Freitextkommentare abgegeben haben. Die Beklagte wirbt mit den Vorteilen individueller Profile eines Premium-Accounts, bei dem Ärzte entgeltlich ihre Profile mit einem Profilfoto und weiteren Informationen versehen können. Außerdem werden – anders als auf den Profilen nichtzahlender Ärzte – keine Profile anderer Ärzte der Premiumpakete in örtlicher Nähe gleicher Fachrichtung inkl. Bewertung als Anzeige eingeblendet.
Die Klägerin, eine Dermatologin aus Köln, die kein Premiumpaket abgeschlossen hat, wendete sich gegen die Darstellung ihrer Daten in dem Arztbewertungsportal der Beklagten und verlangte daher die vollständige Löschung ihres Eintrags auf www.jameda.de einschließlich der veröffentlichten Daten sowie Unterlassung der Veröffentlichung des betreffenden Profils.
2. Entscheidung des BGHs zu Grundsätzen bei Bewertungsportalen
Anders als die Vorinstanzen gab der BGH der Klage statt und bejahte den Löschungsanspruch gemäß § 35 Abs. 2 Nr. 1 BDSG a.F. Dabei stellte der BGH zunächst klar, dass er an den aufgestellten Grundsätzen seiner Entscheidung aus dem Jahr 2014 festhalte. Die Beurteilung des schutzwürdigen Interesses des Arztes gegen die Speicherung seiner Daten erfolge demnach unter Abwägung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG mit dem Recht des Portalbetreibers und der Portalnutzer auf Kommunikationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sowie unter Berücksichtigung der jeweiligen Berufsfreiheit des Arztes und des Portalbetreibers gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Der Eingriff in das Recht des Arztes auf informationelle Selbstbestimmung, konkret in seine Sozialsphäre, sei grundsätzlich gerechtfertigt, da er die Beobachtung seines Verhaltens durch die Öffentlichkeit und die Kritik seiner Leistungen hinnehmen müsse und das Ärztebewertungsportal als „neutraler Informationsmittler“ diene.
Der BGH lehnte damals noch eine Löschung des Ärzteprofils einschließlich Basisdaten und Bewertungen mit der Begründung ab, dass ein Bewertungsportal den verfolgten Zweck der „Leistungstransparenz im Gesundheitswesen“ nur eingeschränkt erfüllen könne, wenn eine Zustimmung des jeweiligen Arztes erforderlich wäre.
In seiner Entscheidung vom 20. Februar 2018 wendete der BGH diese Grundsätze nur noch eingeschränkt an. Die Beklagte könne sich demnach nicht mehr auf ihre Funktion als „neutrale Informationsmittlerin“ berufen, wenn sie zu Werbezwecken ihres speziellen Premiumangebots – ohne dies den Internetnutzern offenzulegen – zahlende und nicht zahlende Ärzte unterschiedlich behandle. So würden gegen ihren Willen gespeicherte und bewertete Ärzte ohne Premium-Account als Werbeplattform für zahlende Ärzte gebraucht und Internetnutzer könnten dem Irrtum unterliegen, dass „Premiumkunden“ keine Konkurrenten hätten. Aufgrund der finanziell bedingten unterschiedlichen Darstellung der personenbezogenen Daten komme die auf das Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit gestützte Rechtsposition der Beklagten, gegenüber dem Recht der Klägerin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten, ein geringeres Gewicht zu. Der Klägerin sei auf dieser Grundlage ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Speicherung ihrer Daten gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG a. F. zuzubilligen.
III. Folgen für die Praxis und Auswirkungen der DSGVO
Der BGH hat die praxisrelevante Frage geklärt, dass ein Löschungsanspruch des Arztprofils besteht, wenn der Portalbetreiber den Bewertenden entgeltlich Premiumpakete anbietet, die für Internetnutzer verdeckt eine attraktivere Profildarstellung im Vergleich zu nicht zahlenden Mitbewerbern ermöglicht. Es besteht neben dem Löschungsanspruch gemäß § 35 Abs. 2 Nr. 2 BDSG a.F. zudem ein Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Daten gemäß §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB (analog). Mittlerweile zeigt Jameda keine Konkurrenzprofile der Premium-Kunden mehr auf den Profilen nichtzahlender Ärzte an.
In Zukunft wird sich ein entsprechender Löschungsanspruch aus den Regelungen der DSGVO und des BDSG n.F. ergeben. Ob eine rechtmäßige Datenverarbeitung vorliegt, wird sich zukünftig u.a. nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO richten. Da hier ebenfalls eine Interessenabwägung unter Beachtung der Grundrechte der Betroffenen zu erfolgen hat, wird sich in einem vergleichbaren Fall, sofern das Gericht nicht zu einer Änderung oder weiteren Konkretisierung der aufgestellten Grundsätze gelangt, voraussichtlich kein anderes Ergebnis abzeichnen.
Die durch die Rechtsprechung konkretisierten Abwägungsgrundsätze sind aufgrund ihrer Allgemeinheit auch auf andere Bewertungsportale übertragbar und somit für die Frage der Zulässigkeit der Speicherung von Daten der Betroffenen insgesamt relevant. Ob, vor dem Hintergrund der Bedeutung der Werbefinanzierung für Hosts, die Bereitstellung von unterschiedlichen Optionen der entgeltlichen Profilgestaltung und die Bewerbung hiervon einer neutralen Informationsvermittlung für den Internetnutzer und damit der Speicherung von Daten grundsätzlich im Wege stehen, wird die zukünftige Rechtsprechungsentwicklung zeigen. In Anbetracht der drohenden Konsequenzen eines Verstoßes und der Komplexität datenschutzrechtlicher Vorschriften sind weitere konkretere Anhaltspunkte für die Beurteilung der zulässigen Speicherung nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig.