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Die virtuelle Hauptversammlung 2020: Ausgewählte praktische Hinweise
Am 28. März 2020 ist das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohneigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVID-19-Gesetz) in Kraft getreten. Das COVID-19-Gesetz sieht u.a. substantielle Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlung von Aktiengesellschaften vor. Wesentlichste Neuerung für die Praxis ist die Möglichkeit, Hauptversammlungen gänzlich virtuell, also ohne Anwesenheit von Aktionären und ihrer Bevollmächtigter, durchführen zu können. Von dieser Möglichkeit machen derzeit immer mehr größere, aber auch mittelständische Unternehmen in der aktuellen Hauptversammlungssaison 2020 Gebrauch. Dieser Beitrag stellt ausgewählte Einzelfragen im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung virtueller Hauptversammlungen dar und gibt praktische Hinweise.
Verkürzte Einberufungsfrist
Das COVID-19-Gesetz sieht vor, dass die Frist zur Einberufung der Hauptversammlung um neun Tage verkürzt werden kann. Die Einberufung soll dann ausweislich des Gesetzeswortlauts am 21. Tag vor der Hauptversammlung erfolgen. Nicht ausdrücklich abbedungen durch die Pandemie-Gesetzgebung wurde aber die Regelung, dass der Tag der Einberufung nicht mitzuzählen ist (§ 121 Abs. 1 Satz 2 AktG). Vor diesem Hintergrund sollte bei Inanspruchnahme der verkürzten Frist in der Praxis aus Sicherheitsgründen die Veröffentlichung der Einberufung bereits am 22. Tag vor der Hauptversammlung im Bundesanzeiger erfolgen.
Record Date
Im Falle der Inanspruchnahme der verkürzten Einberufungsfrist muss sich nach dem COVID-19-Gesetz der Nachweis des Anteilsbesitzes auf den Beginn des 12. Tages (statt regulär auf den Beginn des 21. Tages) vor der Hauptversammlung beziehen. In diesem Fall besteht rein praktisch allerdings die Gefahr, dass unter Berücksichtigung der regulären Postlaufzeiten die erforderlichen Nachweise, vor allem bei im Ausland ansässigen Aktionären, nicht fristgerecht zu erbringen sind. Vor diesem Hintergrund und auch im allgemeinen Aktionärsinteresse erscheint es daher geboten, von der Regelfrist Gebrauch zu machen, sofern nicht zwingende Gründe für die Inanspruchnahme der verkürzten Fristen nach dem COVID-19-Gesetz bestehen.
Antragsrechte der Aktionäre
Wird die virtuelle Hauptversammlung, wie in der Praxis üblich, nur mit Briefwahl und der Möglichkeit der Bevollmächtigung eines Dritten oder des Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft durchgeführt, bestehen grundsätzlich keine Antragsrechte der Aktionäre in der Hauptversammlung. Daher ist fraglich, wie mit etwaigen (Gegen)-Anträgen oder Wahlvorschlägen von Aktionären in der Praxis umzugehen ist. Einige Gesellschaften sehen unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zum COVID-19-Gesetz gänzlich davon ab, (Gegen)-Anträge oder Wahlvorschläge von Aktionären in der Hauptversammlung zu berücksichtigen. Überwiegend werden von Aktionären innerhalb der Frist der §§ 126,127 AktG übermittelte Gegenanträge oder Wahlvorschläge in der Versammlung schlicht als gestellt berücksichtigt. Alternativ werden fristgerecht übermittelte Gegenanträge und Wahlvorschläge nur dann berücksichtigt, wenn der Stimmrechtsvertreter aufgrund Bevollmächtigung und Weisung des jeweiligen Aktionärs den entsprechenden Antrag in der Hauptversammlung auch tatsächlich stellt. Zwar unüblich, aber praktisch umsetzbar ist die Variante, den Aktionären darüber hinaus die Möglichkeit einzuräumen, den Stimmrechtsvertreter auch nach Ablauf der Frist der §§ 126, 127 AktG und auch während der Hauptversammlung mit der Stellung von Anträgen zu beauftragen.
Keine Gewinnausschüttung bei Inanspruchnahme von staatlichen Förderprogrammen
Sofern Gesellschaften in Erwägung ziehen, staatliche Förderkredite, d.h. KfW-Unternehmerkredite zu beantragen, ist zu beachten, dass während der gesamten Laufzeit des KfW-Kredits keine Dividenden ausgeschüttet werden dürfen. Eine Ausnahme soll dann gelten, wenn eine Ausschüttung gesetzlich vorgeschrieben ist. Für Aktiengesellschaften besteht eine gesetzliche Ausschüttungspflicht aufgrund der Regelungen in § 254 Abs. 1 AktG, wonach mindestens die sogenannte Garantiedividende in Höhe von 4 % des Grundkapitals ausgeschüttet werden muss. Das Aktiengesetz sieht jedoch eine Ausnahme von der Ausschüttungspflicht gerade für den Fall vor, dass eine Einstellung des Gewinns in Rücklagen oder dessen Vortrag auf neue Rechnung bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist, um die Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft für einen hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Notwendigkeiten übersehbaren Zeitraum zu sichern. Diese Ausnahme wird demnach voraussichtlich bei solchen Gesellschaften stets greifen, die aufgrund der COVID-19-Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind und daher staatliche Förderkredite beantragen. Eine Berufung auf die sogenannte Garantiedividende des § 254 Abs. 1 AktG würde daher vermutlich nicht genügen, um das vertragliche Ausschüttungsverbot zu vermeiden.
Ausblick
Es wäre begrüßenswert, wenn der Gesetzgeber die Regelungen zur Modernisierung der Hauptversammlung auch unabhängig von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie grundsätzlich dauerhaft in das Aktiengesetz übernehmen würde. Insbesondere die Durchführung rein virtueller Hauptversammlungen sollte dauerhaft Bestand haben. Dabei wird vermutlich noch Feinschliff in den Regelungen erforderlich sein, um einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen der Emittenten an einer praktikablen Durchführung virtueller Hauptversammlungen und dem Partizipationsinteresse der Aktionäre zu finden. Insgesamt werden wohl die praktischen Erfahrungen auch der kommenden Monate sicherlich zur angemessenen Konturierung der Regelungen beitragen können.
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