zuerst erschienen in der Zeitschrift für Versicherungswesen 18/2017
D&O-Versicherung: Die Rechte des Unternehmens bei Untätigkeit des versicherten Managers – Eine BGH-Grundsatzentscheidung
Der Bundesgerichtshof hat im Frühjahr ein Urteil zur D&O-Versicherung erlassen, das die bisher offene Frage klärt, welche Rechte das versicherungsnehmende Unternehmen hat, wenn der versicherte Manager hinsichtlich seines Deckungsschutzes untätig bleibt (Urteil vom 5. April 2017, IV ZR360fl5).
Der Sachverhalt
Die D&O-Versicherung zeichnet sich durch die besondere Konstellation aus, dass das Unternehmen den Versicherungsvertrag abschließt und auch die Prämie bezahlt. Die Rechte aus dem Versicherungsvertrag stehen aber regelmäßig nur dem versicherten Leitungsorgan (Vorstand, Geschäftsführer, leitende Angestellte sowie Aufsichtsrat und gelegentlich auch Beirat) zu. Das Unternehmen selbst soll grundsätzlich keine Rechte geltend machen können.
Ob diese Konstruktion wirklich sinnvoll oder aber interessenwidrig ist, soll vorliegend nicht erörtert werden; eine Diskussion an anderer Stelle ist es aber wert. Im vorliegenden Fall spielt dieser Aspekt keine Rolle.
Hier ging es um einen sogenannten lnnenhaftungsfall. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft hatte dieser durch Pflichtverletzungen im Sinne der Schadensersatzregelung in§ 93 AktG einen Millionenschaden zugefügt. Dafür nahm ihn die Gesellschaft in die Haftung und verlangte von ihm Ersatz des Schadens. Die Gesellschaft hatte eine D&O-Versicherung zugunsten ihrer Leitungsorgane abgeschlossen und auch die Prämie entrichtet. Der Versicherungsschein blieb in den Händen der Gesellschaft. Deren Rechte aber sind durch den Versicherungsvertrag stark eingeschränkt.
Die D&O-Versicherung ist eine Haftpflichtversicherung, und zwar in der besonderen Ausgestaltung einer Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff. VVG). Der D&O-Versicherer schuldet dem versicherten Leitungsorgan die Prüfung der Haftpflichtfrage sowie die Abwehr (einschließlich Kostenübernahme) unbegründeten Ansprüche beziehungsweise die Freistellung des versicherten Leitungsorgans von begründeten Ansprüchen.
Voraussetzung ist allerdings in der Regel, dass das versicherte Leitungsorgan die ihm in der Versicherungspolice zugestandenen Rechte auch wirklich ausübt, und zwar zunächst und zumindest durch eine Schadenmeldung. Im Grunde ist dies auch ein eingespieltes Szenario, wenn man berücksichtigt, dass etwa 90 % aller D&O Schadenfälle in Deutschland auf der sogenannten Innenhaftung beruhen, also das Unternehmen seine eigenen Leitungsorgane auf Schadensersatz in Anspruch nimmt.
Im hier vorliegenden Fall tat der in Anspruch genommene Vorstand im Hinblick auf seine Versicherungsdeckung jedoch rein gar nichts. Er nahm nicht einmal Kontakt zum Versicherer auf. Die Gesellschaft, die davon ausgehen musste, dass der in Anspruch genommene Vorstand selbst niemals den von ihm angerichteten Schaden aus dem eigenen Vermögen würde ersetzen können, wandte sich deshalb selbst an den Versicherer.
Dieser lehnte die von der Gesellschaft begehrte Zusage der Deckung ab und wies darauf hin, dass die Gesellschaft als Versicherungsnehmerin gemäß dem Versicherungsvertrag keinen Anspruch auf Deckungszusage habe. Die Deckung könne ausschließlich der versicherte Vorstand beanspruchen, was er aber nicht getan hatte.
Die Gesellschaft erhob daher Klage gegen den Versicherer und begehrte Feststellung, dass dem versicherten Vorstand Versicherungsschutz zu gewähren sei. Sie vertrat dabei die Auffassung, dass letztlich der dem versicherten Vorstand zustehende Versicherungsschutz im Ergebnis ihr zugutekomme. Das daraus resultierende wirtschaftliche Interesse der Gesellschaft begründe für sie da mit auch das für eine Feststellungsklage stets erforderliche rechtliche Interesse (§ 265ZPO). Sie wies zugleich daraufhin, dass ihr bei weiterer Untätigkeit des schädigenden versicherten Vorstands die Verjährung der Deckungsansprüche drohe und damit der Gesellschaft der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt verloren zu gehen droht.
Die beiden vorinstanzliehen Gerichte teilten jedoch die Auffassung des Versicherers und wiesen die erhobene Feststellungsklage der Gesellschaft als unzulässig ab. Da gegen legte die Gesellschaft Revision zum Bundesgerichtshof ein und hatte damit Erfolg.
Die Entscheidung des BGH
Der Bundesgerichtshof geht an den Fall aus einem ganz anderen Blickwinkel heran, als es der Versicherer bei seiner Ablehnung getan hat. Während der Versicherer sich auf die Klausel im Versicherungsvertrag berief, nach der die Rechte aus dem Versicherungsvertrag den versicherten Leitungsorganen zustünden und nur von diesen auch geltend gemacht werden könnten, verweist der BGH zunächst auf das Gesetz. Der BGH zieht dazu die §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. I VVG heran und stellt fest, dass bei der hier vorliegenden Versicherung für fremde Rechnung von Gesetzes wegen die Geltend machung der Rechte der versicherten Personen aus dem Versicherungsvertrag nicht diesen, sondern ausdrücklich dem Versicherungsnehmer zustünden. In der hier vorliegenden Fallkonstellation sei nach dem Gesetz die geschädigte Gesellschaft als Prozessstandschafter also berechtigt, den Versicherer zur Erklärung über den Versicherungsschutz aufzufordern und die Deckungsansprüche des versicherten Vorstands auch im Prozess geltend zu machen.
Sodann und auf dieser Grundlage wendet sich der BGH der genau dieses gesetzliche Recht der Versicherungsnehmerin ausschließenden Klausel im Versicherungsvertrag zu. Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass diese Klausel zwar nicht grundsätzlich unwirksam sei, im vorliegenden Fall aber stehe sie der Anwendung der oben zitierten Gesetzesvorschriften (§§ 44 Abs. 2 und 45 Abs.1 VVG) nicht entgegen. Das Gesetz habe Vorrang, und zwar aus folgenden Gründen.
Der BGH weist darauf hin, dass es dem Versicherer nach Treu und Glauben in einem Fall wie dem hier zu entscheidenden verwehrt sei, sich auf eine fehlende Prozessführungsbefugnis der Gesellschaft gegen über dem Versicherer zu berufen. Die Geltendmachung dieses Einwandes erscheine unter den gegebenen Umständen sogar als Rechtsmissbrauch.
Der BGH befasst sich in diesem Zusammenhang mit dem Sinn und Zweck der Klausel. Er erkennt an, dass die Klausel sicherstellen soll, dass sie dem versicherten Vorstand zugutekommen soll, dessen Interesse schließlich versichert ist. Eine eigene Prozessführungsbefugnis solle den versicherten Vorstand darüber hinaus vor einer Abhängigkeit der Bereitschaft der versicherungsnehmenden Gesellschaft schützen, den Deckungsanspruch unter der D&O-Versicherung zu verfolgen.
Allerdings wären die der Gesellschaft bei der im vorliegenden Fall drohenden Nachteile bei Anwendung der Klausel gravierend. Das liege am in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzip. Danach müsste in einem vorgeschalteten Haftungsprozess der Gesellschaft gegen ihren Vorstand zunächst dessen Haftung festgestellt werden. Danach müsste der haftende Vorstand die Deckung beim Versicherer geltend machen. Täte er das nicht, wie im vorliegenden Fall, müsste die Gesellschaft den schädigenden Vorstand umständlich und zeitraubend in einem gesonderten Gerichtsverfahren – möglicherweise über mehrere Instanzen – dazu zwingen lassen, gegen den Versicherer, der sich dies alles in Ruhe anschauen kann, Deckungsklage zu erheben. Inzwischen könnte der Deckungsanspruch durchaus verjähren.
Die Gesellschaft würde damit den von ihr kontrahierten und durch Prämienzahlung finanzierten Zugriff auf die Versicherungssumme und den in Gestalt des Versicherers womöglich einzigen liquiden Schuldner verlieren.
Der BGH wendet sich in diesem Zusammenhang der Sozialbindung in der Haftpflichtversicherung zu. Es sei allgemein an erkannt, dass ein am Versicherungsvertrag nicht beteiligter geschädigter Dritter ein eigenes rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung haben kann, dass der Versicherer dem Schädiger Deckungsschutz zu gewähren habe. Der Rekurs auf die Sozialbindung in der Haftpflichtversicherung bezwecke, dass dem Geschädigten die Versicherungsentschädigung zugute komme.
Dieses Prinzip sei auf den hiervorliegen den Fall übertragbar, in dem wegen der Untätigkeit des versicherten Vorstands die Verjährung des Deckungsanspruchs sowie der "Verlust" des solventen Schuldners drohe. Die Sozialbindung in der Haftpflichtversicherung die – unter anderem in Fällen nicht ausreichender Mittel des Schädigers Geschädigte schützen und deren Schadenersatz sichern soll, gelte auch in Innenhaftungsfällen bei der D&O-Versicherung.
Dies wiederum verweist auf zwei andere, im Jahre 2016 ergangene, Grundsatzent scheidungen des BGH (IV ZR 304/ 13, IV ZR 51/ 14), in denen festgeschrieben wurde, dass die für Dritte geltende Regelung des § 108 Abs. 2 VVG auch für ein Unternehmen als Versicherungsnehmer einer D&O-Versicherung in Innenhaftungsfällen gelte: Dann ist das Unternehmen in der Position eines geschädigten Dritten und ist durch die Sozialbindung in der Haftpflichtversicherung begünstigt.
Der BGH rundet sodann diese Argumente mit dem Hinweis darauf ab, dass die gesetzliche Regelung den Versicherer in der vorliegenden Fallkonstellation auch gar nicht benachteilige. Die §§ 44 Abs., 45 Abs.l VVG dienten schließlich gerade auch dem Schutz des Versicherers. Ihm solle die zweckmäßige Abwicklung des Versicherungsvertrags erleichtert werden, indem er es nur mit dem Versicherungsnehmer als Vertragspartner zu tun habe. Es wäre dann sogar von Nachteil für den Versicherer, wenn er sowohl mit dem Versicherungsnehmer als auch der versicherten Person parallel zu tun hätte, und dadurch ließe sich dann auch die Umkehr der Verhältnisse durch Abbedingung der gesetzlichen Regelung rechtfertigen. Ein solcher Fall liege hier aber gar nicht vor, denn der versicherte Vorstand sei untätig. In dieser Konstellation gebühre dem dargestellten Interesse der geschädigten Gesellschaft der Vorrang.
Ausblick
Mit dieser grundlegenden Entscheidung hat der BGH seine Rechtsprechung weiter gefestigt, wonach dem geschädigten versicherungsnehmenden Unternehmen auch bei Innenhaftungsfällen in der D&O-Versicherung dieselben Rechte wie die eines geschädigten Dritten in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung zustehen.
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Urteilsbegründung die bemerkenswerte Situation des versicherungsnehmenden Unternehmens, das zwar der Vertragspartner des Versicherers ist und die teils erheblichen Prämien bezahlt. Auf der anderen Seite soll es bei einem Schaden im Innenverhältnis nicht nur praktisch rechtlos sein. Vielmehr sieht sich das Unternehmen sowohl dem Versicherer als auch dem Vorstand als Gegner gegenüber – was oft zu erbitterten Prozessen und mancher unschönen Situation führt.
Die Entwicklung der D&O-Versicherung, die in Deutschland einmal gleichsam als Import aus dem US-amerikanischen Recht eingeführt wurde und noch immer von Aspekten des Common Law beeinflusst ist, kann – wie sich gerade hier wieder zeigt immer noch nicht als abgeschlossen gelten. Vor allem den anbietenden Versicherern und Maklern bleibt hier noch vieles zu tun übrig, auch außerhalb der in der vorliegenden höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung nun geregelten und entschiedenen Sachverhalte.