Update IP, Media & Technology Nr. 79
EuGH: Amazon haftet unmittelbar für Markenrechtsverletzungen von Drittanbietern
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 22. Dezember 2022, Aktenzeichen C-148/21 und C-184/21, neue rechtliche Grundsätze für die Haftung von Amazon als Online-Marktplatzbetreiber aufgestellt.
Das Urteil knüpft maßgeblich an die Besonderheiten an, die sich aus dem "hybriden" Geschäftsmodell von Amazon ergeben. Das Unternehmen ist nämlich nicht nur ein weltweit erfolgreicher Onlineversandhändler, sondern auch Anbieter eines Online-Marktplatzes. Das Geschäftsmodell ist also in dem Sinne "hybrid", dass Amazon neben eigenen Angeboten auch Angebote von Drittanbietern auf seiner Webseite anbietet und präsentiert.
Weil es für Verbraucher schwierig sein kann, Angebote von Amazon und solche von Drittanbietern zu unterscheiden, kommt eine unmittelbare Verantwortlichkeit von Amazon für die markenrechtsverletzenden Angebote Dritter in Betracht. I. Der FallDer Schuh- und Taschendesigner Christian Louboutin sah sich mit markenrechtsverletzenden Angeboten auf Amazon konfrontiert und verklagte Amazon in Luxemburg und Brüssel auf Unterlassung.
Die nationalen Gerichte legten dem EuGH sodann im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vor, ob Benutzung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. a) Unionsmarkenverordnung (UMV) auch dann vorliege, wenn Online-Marktplatzbetreiber auf ihrer Webseite eigene Angebote und Angebote von Drittanbietern miteinander vermischen. II. Die EntscheidungIm Kern geht es bei der Entscheidung des EuGHs folglich um die Auslegung des Begriffs der Benutzung in Art. 9 UMV, welcher die Tathandlung einer Markenrechtsverletzung beschreibt: |
"Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn
a) das Zeichen mit der Unionsmarke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist; [...]" |
Zunächst schildert der EuGH die Grundzüge seiner bisherigen Rechtsprechung: |
- Der Ausdruck "benutzen" setze ein aktives Verhalten und eine unmittelbare oder mittelbare Herrschaft über die Benutzungshandlung voraus.
- Der Begriff der Benutzung eines mit einer Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens durch einen Dritten bedeute zumindest, dass der Dritte das Zeichen im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutze.
- Vor diesem Hintergrund habe der Gerichtshof bereits festgestellt, dass eine Markenrechtsverletzung grundsätzlich ausschließlich durch den Verkäufer erfolgt und nicht durch den Online-Marktplatzbetreiber, sofern dieser das rechtsverletzende Zeichen nicht im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutzt.
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Für die nationalen Gerichte stellte sich nun die Frage, ob Amazon die markenrechtsverletzenden Angebote von Drittanbietern in seine eigene kommerzielle Kommunikation eingebunden hat.
Die Antwort des Gerichts: Es sei davon auszugehen, dass der Online-Marktplatzbetreiber ein rechtsverletzendes Zeichen selbst benutze, wenn er neben den eigenen Verkaufsangeboten einen Online-Marktplatz bereitstelle und für einen Durchschnittsverbraucher der Eindruck entstehe, dass zwischen den Dienstleistungen des Betreibers und dem rechtsverletzenden Zeichen eine Verbindung bestehe.
Dies sei insbesondere der Fall, wenn der Durchschnittsverbraucher den Eindruck gewinne, dass der Online-Marktplatzbetreiber die rechtsverletzenden Angebote von einem Drittanbieter im eigenen Namen und auf eigene Rechnung selbst vertreibe.
Relevant hierfür sei, |
- dass der Online-Marktplatzbetreiber die auf seiner Plattform veröffentlichten eigenen Angebote und jene von Drittanbietern einheitlich präsentiert, indem er sie zusammen einblendet;
- dass er bei all diesen Anzeigen sein eigenes Logo als renommierter Vertreiber erscheinen lässt;
- dass er Drittanbietern im Rahmen des Vertriebs der mit dem fraglichen Zeichen versehenen Waren zusätzliche Dienstleistungen anbietet, die unter anderem darin bestehen, diese Waren zu lagern und zu versenden.
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Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren nur eine abstrakte Rechtsfrage beantwortet und verbindlich nur dazu Stellung nimmt, wie das Unionsrecht auszulegen ist. Die konkrete Anwendung des Unionsrechts auf den Einzelfall bleibt dabei den nationalen Gerichten überlassen. Ob Amazon die vom EuGH aufgestellten Kriterien mit seiner Präsentation erfüllt, ist deshalb für jeden Einzelfall zu prüfen und nachzuweisen.
Zusammengefasst ist der EuGH der Ansicht, Amazon binde markenrechtsverletzende Zeichen im Rahmen von Drittangeboten in die eigene kommerzielle Kommunikation ein und benutze diese selber, weil für den Verbraucher auf der Webseite von Amazon nicht unterscheidbar sei, welche Angebote von dem Unternehmen stammen und welche von Dritten angeboten werden.
III. Auswirkungen auf die PraxisEntlang der EuGH-Rechtsprechung ging auch der Bundesgerichtshof bislang davon aus, dass Plattformbetreiber nicht als Täter oder Teilnehmer für rechtsverletzende Angebote von Dritten auf ihrem Markplatz haften, solange sie die rechtsverletzende Ware nicht angeboten oder in den Verkehr gebracht und die Marke auch nicht in der Werbung benutzt hatten.
Nachdem der EuGH seine Rechtsprechung konkretisiert hat, ist zu erwarten, dass die deutsche Rechtsprechung in ähnlich gelagerten Fällen eine täterschaftliche Haftung von Amazon in Betracht ziehen wird. Die Erfolgschancen, rechtlich unmittelbar gegen Amazon vorzugehen, steigen damit erheblich. |