Update Kapitalmarktrecht 22
Neuordnung der Börsensegmente der Deutschen Börse in Frankfurt – Nachfolgesegment für den Entry Standard
Es war bereits eine Weile erwartet worden, dass die Deutsche Börse ihre Börsensegmente neu ordnet und ein Segment für kleine und mittlere Unternehmen schafft; Ende November wurde dies nun angekündigt und am 13. Dezember 2016 wurden die neuen Geschäftsbedingungen für den Open Market der Frankfurter Wertpapierbörse („AGB“) veröffentlicht.
Die Politik hatte ein besonderes Segment für die Förderung von Start-ups gefordert, die Marktmissbrauchsverordnung mit ihrem umfassenden Anwendungsbereich bedingt ein Überdenken der bisherigen Segmente und auch die Kapitalmarktunion soll explizit die Finanzierung kleinerer und mittelständischer Unternehmen über den Kapitalmarkt fördern.
Einen Namen hat dieses Wachstumssegment noch nicht, übergangsweise wird es - durch die Deutsche Börse mit den Klammern - als „[KMU-Segment]“ bezeichnet.
Die Reform soll ab 1. März 2017 gelten und der Entry Standard sowohl für Anleihen als auch Aktien enden. Bis 24. März 2017 besteht die Möglichkeit für Emittenten, deren Wertpapiere bislang zum Handel im Entry Standard einbezogen waren, unter erleichterten Voraussetzungen eine Einbeziehung in das neue [KMU-Segment] zu beantragen. Wer untätig bleibt und nicht auch alternativ in den geregelten Markt oder Freiverkehr einer anderen Börse wechselt, wird sich im Auffangsegment Basic Boards wiederfinden.
Ziel des neuen Segments ist es nach der Verlautbarung der Deutschen Börse, „vor allem kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) den Zugang zu nationalen und internationalen Investoren zu erleichtern, aber auch mittelständischen Unternehmen ein attraktives Schaufenster anzubieten.“
Neue Segmentstruktur
Der Open Market wird bei der Deutschen Börse Frankfurt damit folgende Segmente umfassen:
- [KMU-Segment]: Teil des Basic Boards als Eingangssegment für Aktien und Anleihen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden.
- Basic Board: Segment, in das Wertpapiere von Unternehmen fallen, wenn bestimmte Voraussetzungen für das [KMU-Segment] nicht oder nicht mehr erfüllt werden; dies ist jedoch kein Eingangssegment für Wertpapiere, sondern nur ein Auffangsegment.
- Quotation Board: Teil des restlichen Open Markets. Dieser steht Anleihen sowohl für ein Primär- als auch Sekundärlisting offen. Aktien werden wie bisher nur einbezogen, wenn diese anderweitig entsprechend den Regelungen der Deutschen Börse Frankfurt an einem anerkannten Handelsplatz zu einem Handel zugelassen sind.
Wesentliche Kennzeichen des [KMUSegments]
Wesentliche Neuerung des [KMU-Segments] ist, dass die Unternehmen zusätzliche Voraussetzungen zum Entry Standard erfüllen müssen und aus dem neuen Handelssegment auch wieder herausfallen können.
Zudem wird die Rolle der Deutsche Börse Capital Market Partner („CMP“) verstärkt. Diese müssen Bestätigungen mit Haftungsfolgen zumindest gegenüber der Deutschen Börse abgeben und insbesondere eine finanzielle und juristische Due Diligence sowie Risiko- und Compliancestrukturen beim Emittenten sicherstellen. Soweit ein CMP hierzu sich der Hilfe Dritter bedient, müssen diese Dritten ebenfalls CMP sein.
Weiterhin ist ein Research bei Aktien erforderlich, das durch die Börse organisiert wird und regelmäßig aktualisiert werden muss. Für Anleihen ist ein Unternehmens- oder Anleiherating grundsätzlich notwendig.
Wesentliche Voraussetzungen für den Zugang zum [KMU-Segment] für Aktien
Für eine Einbeziehung von Aktien zum Handel in das [KMU-Segment] müssen im Wesentlichen die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sein, wobei die Deutsche Börse im Einzelfall Ausnahmen gewähren kann:
Kennzahlen
Die Unternehmen müssen 3 der folgenden 5 Kennzahlen erfüllen:
- Umsatz von wenigstens EUR 10 Mio.
- kumuliertes, eingesammeltes Eigenkapital vor der Einbeziehung in Höhe von EUR 5 Mio.
- mindestens 20 Mitarbeiter
- positives bilanzielles Eigenkapital
- Erwirtschaftung eines positiven Jahresüberschusses
Unternehmensdauer, Marktkapitalisierung und Free Float, Jahresabschlüsse
Die Einbeziehung von Aktien setzt zudem kumulativ Folgendes voraus:
- Der Emittent muss mindestens 2 Jahre bestehen.
- Der voraussichtliche Kurswert der einzubeziehenden Aktien zum Zeitpunkt der Einbeziehung in den Handel muss mindestens EUR 30 Mio. betragen.
- Es muss einen Free Float von mindestens 20 % oder 1 Mio. Aktien vor der Emission oder infolge der Emission bestehen.
- Die Aktien müssen einen Nennbetrag von mindestens EUR 1 Nennbetrag haben (oder vergleichbar).
- Zudem müssen der Deutschen Börse Jahresabschlüsse und Lageberichte4 nach IFRS oder nationalen Rechnungslegungsstandards des Emittenten der letzten 2 Geschäftsjahre übermittelt werden. Sofern vorhanden, sind die konsolidierten Abschlüsse rele-vant. Dabei wird auch klargestellt, dass das letzte Geschäftsjahr nicht kürzer sein darf als 12 Monate, also kein Rumpfgeschäftsjahr.
- Zudem müssen Halbjahresabschlüsse vorgelegt werden, wenn die Antragstellung mehr als zehn Monate nach Ablauf des letzten Geschäftsjahres erfolgt.
Deutsche Börse Capital Market Partner, Eignung für das Segment einschl. Financial und Legal Due Diligence
Sowohl bei der Vorbereitung einer Emission als auch Unterstützung und Beratung bei Einhaltung der Transparenzfolgepflichten muss der Emittent einen Deutsche Börse Capital Market Partner (CMP) beauftragen.
Antragstellender CMP kann nur ein Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut oder vergleichbares Unternehmen entsprechend § 16 der AGB sein.
Betreuender CMP dürfen nur Banken, Finanzdienstleistungsinstitute, Anwälte und Wirtschaftsprüfer sein.
Der Antragstellende und der Betreuende CMP können sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eines Dritten bedienen, der jedoch ebenfalls wieder CMP sein muss. Dies dürfen dann auch IR/Kommunikationsagenturen und Sonstige sein.
Um Deutsche Börse Capital Market Partner zu werden, müssen im Wesentlichen folgende Voraussetzungen erfüllt werden:
- 3 Mitarbeiter mit Kapitalmarkterfahrung von mindestens 5 Jahren
- Empfehlung durch einen anderen CMP
- Nachweis von mindestens 3 Kapitalmarkttranskationen in den letzten 3 Kalenderjahren
Die CMP müssen zudem stärker als bisher nachweisen, dass sie ihre Betreuungsaufgaben erfüllen.
Eignung für das Segment einschl. Financial und Legal Due Diligence
Der Antragstellende CMP muss die Geeignetheit des Emittenten für das [KMU-Segment] bestätigen.
Die Geeignetheit des Emittenten muss dabei auf der Grundlage einer rechtlichen und finanziellen Due Diligence Prüfung für die Zwecke des Börsengangs erfolgen. Die Due Diligence muss durch CMPs vorgenommen werden. Zudem muss der Antragstellende CMP bestätigen, dass der Emittent Vorsorge getroffen hat hinsichtlich
- eines internen Risikomanagements zur Identifizierung, Analyse und Kontrolle von Unternehmensrisiken
- eines internen Systems zur Erfüllung seiner Publizi-täts- und Berichtspflichten, internen Compliance-Bestimmungen, die das Handeln des Emittenten in Übereinstimmung mit geltendem Recht sicherstellen
- einer Betreuung von Aktionären, Investoren und Analysten.
Sofern nur ein Einbeziehungsdokument und kein Wertpapierprospekt vorliegt, muss der Antragstellende CMP zudem – und zwar durch Unterschrift auf dem Einbeziehungsdokument - bestätigen, dass er dies auf Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit überprüft hat.
Initiales Research
Des Weiteren muss bei der Aufnahme in das [KMU-Segment] ein initiales Rating vorliegen und als Teil der Folgepflichten regelmäßige Research-Berichte, die von der Deutschen Börse bezahlt werden, zugelassen werden. Dadurch erhofft sich die Deutsche Börse mehr Unabhängigkeit und die Vermeidung von Interessenkonflikten.
Prospekt oder Einbeziehungsdokument
Für die Emission muss ein gebilligter Wertpapierprospekt oder ein Einbeziehungsdokument entsprechend der Anlage 2 der AGBs der Börse vorliegen. Dies ist ausnahmsweise nicht erforderlich, wenn es sich um ein Zweitlisting handelt und bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Wesentliche Voraussetzungen des Zugangs zum [KMU-Segment] für Anleihen
Die wesentlichen Voraussetzungen für die Einbeziehung von Anleihen in das [KMU-Segment] sind wie folgt:
- neben einem Antragstellenden CMP ein Vertrag mit einem Betreuenden CMP
- Wertpapierprospekt – ein reines Einbeziehungsdokument wie bei Aktien ist nicht vorgesehen
- Bestätigung des CMP über die Geeignetheit des Emittenten für das [KMU-Segment] wie bei Aktien
- Jahresabschlüsse wie bei Aktien
- Maximale Stücklung in Höhe von EUR 1.000
- Platziertes Emissionsvolumen in Höhe von mindestens EUR 20. Mio.
- keine nachrangige Anleihe
- aktuelles Unternehmens- oder Anleiherating (Ausnahmen zulässig)
Dabei muss der Emittent drei der nachfolgenden 6 Kennzahlen erfüllen:
- EBIT Interest Coverage von mindestens 1,5
- EBITDA Interest Coverage von mindestens 2,5
- Total Debt / EBITDA von höchstens 7,5
- Total Net Debt / EBITDA von höchstens 5
- Risk Bearing Capital von mindestens 0,20
- Total Debt / Capital von höchstens 0,85
Haftung
Nach § 17 Abs. 5 der AGB haften der Emittent und der Antragstellende CMP der Deutschen Börse für Schäden aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben im Antrag. Dabei ist zu hoffen, dass dies als Absage an eine Schutzregelung gegenüber Anlegern verstanden wird.
Zeichnungsfunktionalität Direct Place
Das bisher als Zeichnungsfunktionalität bekannte Zeichnungstool heißt nunmehr Zeichnungsfunktionalität Direct Place. Sie muss bei der Emission im [KMU-Segment] eingebunden werden. Wir verstehen die Regelungen derzeit so, dass die Pflicht nur für die Primäremission gilt, nicht jedoch für spätere, öffentliche Kapitalerhöhungen.
Wesentliche Folgepflichten
Als Folgepflichten ist insbesondere Folgendes weitgehend wie bisher vorgesehen:
- Übermittlung von Halbjahres- und Jahresabschlüsse, wobei wir dies so verstehen, dass diese auch zu veröffentlichen sind
- zusätzlich Ermöglichung eines Researchs bei Aktien
- Folgeratings bei Anleihen
- jährlich eine Investoren- und Analystenkonferenz
- Beauftragung eines betreuenden CMP
- Weitergehende Informationspflichten
Wie auch bei allen anderen Unternehmen, die Wertpapiere zum Handel an der Börse zugelassen oder einbezogen haben, müssen die Regeln der Marktmissbrauchsverordnung insbesondere zu Adhoc Pflichten, Directors Dealings und Closed Periods sowie Insiderlisten eingehalten werden.
Die Regelungen zu Researchs sind nicht näher in den AGBs enthalten. Nach Verlautbarungen der Deutschen Börse wird hier zwischen qualitativen und quantitativen Research unterschieden werden, die insgesamt recht kurz gehalten sein sollen.
Rückfall in das Basic Board
Sofern Emittenten die Anforderungen des [KMU-Segments] nicht erfüllen, kann die Deutsche Börse die Einbeziehung in das [KMU-Segment] mit einer Frist von 3 Monaten kündigen mit der Folge, dass die Einbeziehung der Wertpapiere im Basic Board fortgesetzt wird.
Eine solche Kündigung kann verkürzt erfolgen, wenn
- eine Insolvenz oder ein Auflösungsgrund beim Emittenten vorliegt
- der Emittent Folgepflichten auch nach Ablauf einer angemessenen Nachfrist nicht oder nicht vollständig erfüllt
- bei Aktien bis zum 31. Januar eines jeden Jahres festgestellt wird, dass deren durchschnittlicher Kurswert im vorangehenden Kalenderjahr unter EUR 10 Mio. lag; der durchschnittliche Kurswert ergibt sich aus dem Durchschnitt eines jeden Monats bezogen auf ein Kalenderjahr.
Die Folgepflichten insbesondere zu Jahres- und Halbjahresabschlüssen sowie der Mitteilung bestimmter Veränderungen bestehen im Basic Board allerdings fort.
Ein Wiederaufstieg in das [KMU-Segment], wenn z.B. die Kapitalisierung von EUR 10 Mio. erfüllt wird, ist frühestens nach Ablauf eines halben Jahres nach Ausscheiden aus dem [KMU-Segment] möglich, sofern die Kündigungsgründe weggefallen sind.
Heutige Unternehmen im Entry Standard Kosten
Für diejenigen Unternehmen, die heute Wertpapiere im Entry Standard zum Handel einbezogen haben, stellt sich die Frage, wie sie weiter machen. Sie haben grundsätzlich 3 Optionen:
- „Herunterstufung“ aus dem Entry Standard, entweder in den Basic Board oder einen Freiverkehr an einer anderen Börse
- (vereinfachter) Antrag auf Einbeziehung in das [KMU-Segment]
- Zulassung zum geregelten Markt
Ein erleichterter Antrag auf Einbeziehung der Wertpapiere in das neue [KMU-Segment] kann bis zum 24. März 2017 gestellt werden, wobei im Wesentlichen folgende Voraussetzungen erfüllt werden müssen:
- Antragstellung durch den Emittenten, es ist keine Be-stätigung durch den Antragstellenden CMP erforderlich
- Mindestnennbetrag der Aktien von EUR 1 (oder vergleichbar)
- Vertrag mit einem betreuenden CMP
- Vorlage der Jahresabschlüsse für die letzten 2 Geschäftsjahre
- bei Aktien: durchschnittlicher Kurswert der Aktien in Höhe von EUR 10 Mio.
- bei Aktien Zulassung des laufenden Researchs
- Einhaltung der für die Einbeziehung der Wertpapiere nach der Anlage 2 der AGB erforderlichen
- Kennzahlen (siehe auch oben). Wir verstehen dies so, dass 3 dieser Kriterien erfüllt sein müssen.
Kosten
Die Kosten für die Einbeziehung in das [KMU-Segment] betragen mindestens EUR 20.000,00 zuzüglich einer variablen Vergütung abhängig von der Marktkapitalisierung. Im Fall einer Marktkapitalisierung von EUR 260 Mio. wäre das Entgelt nach Angaben der Deutschen Börse z.B. EUR 89.000,00.
Die Grundkosten für die Notierung nur im Basic Board entsprechen den Kosten im Entry Standard (ca. EUR 1.250,00 pro Kalendervierteljahr). Die Kosten für die Einbeziehung zum Handel im [KMU-Segment] wurden dagegen für Aktien auf EUR 5.000,00 bzw. für Anleihe EUR 2.500,00 pro Kalendervierteljahr erhöht.
Handlungsempfehlung und Ausblick
Unternehmen, die Wertpapiere im Entry Standard zum Handel einbezogen haben, müssen spätestens bis zum 24. März 2017 entscheiden, ob sie
- im Auffangsegment Basic Board bleiben,
- in das neue [KMU-Segment] gehen oder
- den Sprung in den geregelten Markt angehen.
Für den etablierten Mittelstand wird die Entscheidung auch davon abhängen, ob sich das [KMU-Segment] als Segment der Start-ups in der Wachstumsphase oder auch ausreichend als Segment für den Mittelstand etabliert.
Heuking Kühn Lüer Wojtek wird in jedem Fall Deutsche Börse Capital Market Partner sein, so dass wir Unternehmen bei den anstehenden Weichenstellungen und der Umsetzung unterstützen können.