03.09.2016Fachbeitrag

Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) – eine Rechtsform des Mittelstands

Die Societas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft), kurz auch „SE“, geht in ihr dreizehntes Jahr und erfreut sich stetig wachsender Beliebtheit nicht nur bei multinational tätigen Konzernen, sondern insbesondere auch bei deutschen Mittelständlern. Grund genug, eine Zwischenbilanz zu ziehen und zu beleuchten, warum immer mehr deutsche Unternehmen den Schritt hin zur SE machen.

Einführung

Als die SE im Jahre 2004 ins Leben gerufen wurde, fielen die allgemeinen Reaktionen wenig euphorisch aus. So wurden in den Anfangsjahren bis zum Jahr 2008 in ganz Europa nur sehr zurückhaltend SEs gegründet. Im Jahr 2008 entschieden sich jedoch gleich mehrere Großkonzerne zu einer Umwandlung zur SE, allen voran Allianz. Damit setzte der sogenannte „Boom um die SE“ ein. Seitdem werden jährlich etwa 40 SEs allein in Deutschland neu gegründet.

Vorteile

Dabei ist auffallend, dass zunehmend deutsche gehobene Mittelständler und Familienunternehmen die SE als Rechtsform wählen und nicht die ursprünglich vom europäischen Gesetzgeber anvisierten multinational tätigen Großkonzerne. Die SE sollte grenzübergreifende Fusionen und gleichberechtigte Zusammenschlüsse solcher Großkonzerne ermöglichen bzw. erleichtern. Auch die Kooperation mehrerer Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten sollte erleichtert werden.

Darüber hinaus gibt es jedoch weitere Argumente für die Wahl zur SE, die letztlich dazu führen, dass die SE zunehmend auch eine Rechtsform des Mittelstandes wird.

Europäisches Image und supranationaler Charakter

Die SE ist für Unternehmen attraktiv, die sich ihres supranationalen Images bedienen möchten, um bspw. ohne die Gründung ausländischer Tochtergesellschaften Zugang zu anderen EU-Märkten zu bekommen oder die sich um eine europäische Corporate Identity für ihr Unternehmen bemühen. Auch lässt sich der satzungsmäßige Sitz bei der SE in einen anderen Mitgliedstaat verlegen. Dabei scheint die Akzeptanz der SE laut eines Berichts der Kommission des Europäischen Parlaments besonders in den exportorientierten Ländern, den osteuropäischen Ländern und den kleineren europäischen Ländern besonders hoch zu sein.

Wahl zwischen monistischem und dualistischem Leitungssystem

Mit der SE ist es erstmals möglich, auch in Deutschland ein monistisches Leitungssystem in einer kapitalmarktfähigen Gesellschaft zu implementieren. Denn die SE gewährt das Wahlrecht zwischen dem dualistischen System der deutschen Aktiengesellschaft und dem monistischen System, das im Wesentlichen dem amerikanischen Board-System entspricht. Das bedeutet, dass die Gesellschaft nicht – wie im deutschen Aktienrecht verbindlich – von einem Vorstand geleitet werden muss, während ein Aufsichtsrat den Vorstand überwacht und berät. Das monistische System sieht nur einen Verwaltungsrat vor, der nicht lediglich für die Überwachung des Unternehmens zuständig ist, sondern zugleich auch für die Leitung des Unternehmens. Das Tagesgeschäft wird dabei von sog. geschäftsführenden Direktoren übernommen. Der Verwaltungsrat ist somit eine Symbiose aus Vorstand und Aufsichtsrat. Er kann – im Gegensatz zum Aufsichtsrat – den geschäftsführenden Direktoren Weisungen erteilen. Die Binnenorganisation des Verwaltungsrates und des Verhältnisses zu den geschäftsführenden Direktoren ist deutlich flexibler und freier als bei der Aktiengesellschaft. Schließlich ist das sog. „CEO-Modell (auch „Starker-Mann-Modell“) möglich, in welchem der Vorsitzende des Verwaltungsrats auch zum geschäftsführenden Direktor bestellt wird und somit mehr Macht als ein Vorstandsvorsitzender einer deutschen Aktiengesellschaft hat. Vor allem für Familienunternehmen eröffnet die SE deshalb interessante Leitungs- und schlankere Verwaltungs-strukturen.

Freiere Gestaltung der Mitbestimmung

Auch die mitbestimmungsrechtlichen Vorteile dürften bei der zunehmenden Beliebtheit der SE eine Rolle spielen.

Im deutschen Recht richtet sich die Mitbestimmung im Unternehmen strikt nach der Mitarbeiterzahl – 500 Mitarbeiter nach dem Drittelbeteiligungsgesetz und 2.000 Mitarbeiter nach dem Mitbestimmungsgesetz. Werden diese Schwellenwerte überschritten, so ist der Aufsichtsrat des Unternehmens entweder zu einem Drittel oder gar paritätisch mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen.

Die SE erlaubt hier eine freie Gestaltung der Mitbestimmung. So sind die Mitarbeiter bei der Gründung einer SE bzw. der Umwandlung der Gesellschaft in eine SE zwar zu beteiligen; ein sogenanntes Besonderes Verhandlungsgremium ist einzusetzen, mit welchem eine Beteiligungsvereinbarung u.a. bezüglich der Mitbestimmung abgeschlossen werden soll. Ist die Einigung jedoch einmal erfolgt, so verbleibt es auch bei einem späteren Überschreiten der Schwellenwerte grundsätzlich bei der vereinbarten Mitbestimmung (sog. „Einfrieren“ der Mitbestimmung). Die allermeisten der deutschen SEs unterliegen keiner Mitbestimmung und dürften demzufolge den Schritt hin zur SE vor Erreichen der Schwellen vorgenommen haben.

Die SE ermöglicht also zum einen die Vereinbarung eines Arbeitnehmerbeteiligungsmodells, mit dem auf die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens abgestellt wird. Zum anderen kann die vereinbarte Mitbestimmung (oft keine Mitbestimmung) grundsätzlich auf unbestimmte Zeit erhalten bleiben. Einzige Ausnahme sind strukturelle Änderungen im Unternehmen, die geeignet sind, die Beteiligungsrechte der Mitarbeiter zu mindern.

Verkleinerung des Aufsichtsrats

Aber auch für Gesellschaften, die bereits der Mitbestimmung unterliegen, bietet die SE einen weiteren interessanten Vorteil. Denn die SE lässt kleinere Gremien zu als das deutsche Aktienrecht.

So schreibt das deutsche Aktienrecht die Größe des Aufsichtsrates mitbestimmter Unternehmen genau vor. Bei größeren Konzernen bestehen die Aufsichtsräte deshalb nicht selten aus 16 oder gar 20 Aufsichtsräten. Die SE lässt kleinere Aufsichtsräte zu, die Mindestgröße bspw. aus § 7 MitbestG gilt nicht bei der SE. So haben einige Großunternehmen ihren Aufsichtsrat im Rahmen der SE-Gründung bzw. – Umwandlung von 20 auf 12 Aufsichtsräte verkleinert und sparen so jährlich nicht unerhebliche Kosten.

Gründungsvarianten

Die SE-Verordnung sieht zunächst vier Gründungsvarianten für die SE vor:

  • Gründung einer Holding-SE
  • Gründung einer Tochter-SE
  • Verschmelzung zweier mitgliedstaatlicher Aktiengesellschaften zu einer SE
  • Umwandlung einer mitgliedstaatlichen Aktiengesellschaft zur SE

Von diesen vier Gründungsvarianten werden vor allem die letzten beiden und insbesondere die Umwandlungsvariante am häufigsten gewählt. Letztlich kommt es stets auf den Einzelfall und die gewünschten Rechtsfolgen der SE an. Die Gründung einer Holding-SE oder einer Tochter-SE kann bspw. in vielen Fällen nicht die gewünschten Vorteile der SE realisieren. Die Umwandlungsvariante ist wie geschrieben die beliebteste Variante, allerdings setzt sie voraus, dass zum Unternehmen seit mindestens zwei Jahren eine Gesellschaft gehört, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegt. Unternehmen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, wählen deshalb oft die Verschmelzungsvariante.

Mittlerweile ist auch die von der SE-Verordnung nicht ausdrücklich vorgesehene Gründung bzw. der Erwerb einer Vorrats-SE anerkannt. Über diesen Weg lassen sich gegebenenfalls die Erfordernis eines europäischen Bezuges und das Mitarbeiterbeteiligungsverfahren vermeiden. Allerdings ist zu beachten, dass die Aktivierung einer leeren Vorratsgesellschaft in den meisten Fällen zu Nachverhandlungspflichten mit den Mitarbeitern führt. Außerdem führt auch der Erwerb einer Vorrats-SE in verschiedenen Fällen nicht zu den gewünschten Rechtsfolgen. Bei der Wahl der Gründungsvariante sind deshalb stets die Umstände des konkreten Falles entscheidend.

Ausblick

Die SE ist mittlerweile auf Ebene der Großkonzerne und im deutschen Mittelstand sowie bei den Familienunternehmen angekommen. Allianz, BASF, Bilfinger, Porsche, SAP, MAN und Fresenius sind nur namhafte Beispiele für die vielen Unternehmen, die mittlerweile den Schritt hin zur SE „gewagt“ haben.

Diese Entwicklung wird in den nächsten Jahren ersichtlich auch nicht gestoppt werden. Denn mittlerweile wird die SE zunehmend auch mit anderen Rechtsformen kombiniert. So finden sich in der Zwischenzeit in der deutschen Gesellschaften-Landschaft auch die SE & Co. KG und die SE & Co. KGaA wieder. Es ist also noch Entwicklungspotential vorhanden, welches den größten Vorteil der SE noch einmal aufzeigt: die flexiblen und freieren Gestaltungsmöglichkeiten.

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