03.07.2017Fachbeitrag

Health Care, Pharma & Life Sciences 3/2017

Die Rückrufpflicht im Unterlassungsanspruch!

Der BGH hat mit seiner Entscheidung „Rescue-Tropfen“ (Beschluss vom 29. September 2016 - I ZB 34/15, MarkenR 2017, 74) seine bisherige Entscheidungspraxis bestätigt, nach der einem Unterlassungsanspruch grundsätzlich auch eine Rückrufpflicht des Unterlassungsschuldners innewohnt.

Streitgegenstand in erster und zweiter Instanz waren aus der Alternativmedizin stammende sog. Bach-Blüten-Essenzen, die von der Unterlassungsschuldnerin unter der Bezeichnung „Rescue-Tropfen“ vertrieben wurden. Die Unterlassungsgläubigerinnen hatten gegen den Vertrieb der „Rescue-Tropfen“ unter anderem vorgebracht, es handele sich dabei um zulassungspflichtige Präsentationsarzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, die mangels bestehender arzneimittelrechtlicher Zulassung überhaupt nicht verkehrsfähig seien. Überdies liege ein Verstoß gegen das Verbot der krankheitsbezogenen Werbung für Lebensmittel nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB vor. Zudem werde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 1 LFGB und Art. 4 Abs. 3 Health-Claims-VO für Spirituosen mit Hinweisen auf eine gesundheitsfördernde bzw. gesundheitlich unbedenkliche Wirkung geworben. Sowohl in erster und zweiter Instanz lehnten die Gerichte die Einstufung von Bach-Blüten als Präsentationsarzneimittel ab. Lediglich mit dem Vorbringen, die Bezeichnung von Spirituosen als „Rescue-Tropfen“ verstoße gegen Art. 4 Abs. 3 Health-Claims-VO, hatten die Unterlassungsgläubigerinnen in zweiter Instanz Erfolg. Insoweit verurteilte das OLG München die Unterlassungsschuldnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter der Bezeichnung „Rescue-Tropfen“ zu vertreiben. (OLG München, Urteil vom 31.1.2013 – 6 U 4189/11, LMuR 2013, 87).

Anlass der Entscheidung des BGH war, dass auch nach Erlass des Unterlassungsurteils durch das OLG München weiterhin „Rescue-Tropfen“ in Apotheken zu kaufen waren, die diese zu vorbei der Unterlassungsschuldnerin erworben hatten. Die Unterlassungsgläubigerinnen sahen hierin einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung, nach der die Unterlassungsschuldnerin auch dazu verpflichtet gewesen wäre, die belieferten Apotheken zur Rückgabe der inkriminierten Produkte aufzufordern und beantragten daher die Verhängung eines Ordnungsgeldes. In seinem stattgebenden Beschluss argumentierte der BGH erneut, dass der zur Unterlassung Verpflichtete, wenn er für eine fortdauernde Störung verantwortlich ist, regelmäßig nicht nur zur Unterlassung derartiger Handlungen in der Zukunft, sondern auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichtet ist. Danach muss ein Schuldner, dem der Vertrieb eines Produkts untersagt worden ist, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden (BGH, a.a.O., 1. Leitsatz).

Wenn also ein Beklagter verurteilt worden ist, in Zukunft den Vertrieb eines Produktes zu unterlassen, muss er nunmehr in dieses Urteil auch die Pflicht hineinlesen, dass er den weiteren Vertrieb solcher Produkte nach Möglichkeit verhindern muss, die er bereits aus der Hand gegeben und an seine Vertriebspartner veräußert hat. Dabei statuiert der BGH glücklicherweise keine Erfolgspflicht. Wenn also der Vertrieb sich auf entsprechende Aufforderung hin weigert, soll die Verpflichtung des Beklagten erfüllt sein. Zwar habe er für das selbständige Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen, er sei jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, einzuwirken, wenn er mit einem Verstoß ernstlich rechnen muss und zudem rechtliche und tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der Dritten hat (BGH, a.a.O., Rn 30).

Auch wenn er keine rechtliche Handhabe besitze, von seinem Vertrieb die Rückgabe zu verlangen, habe der Schuldner im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf eine Rückgabe hinzuwirken. Wie im Einzelnen dieses Rückgabeersuchen auszusehen hat, konkretisierte der BGH nicht. Es darf aber angenommen werden, dass es genügt, den Vertriebspartner über die Problematik der Rechtsverletzung umfassend zu informieren und zu einer (ggf. entgeltlichen) Rückgabe aufzufordern.

Die Entscheidung des BGH ist für Kläger wie Beklagte ein zweischneidiges Schwert

Der Beklagte muss erst einmal wissen, dass er so weitgehendverpflichtet ist. Mit der BGH-Entscheidung ist dies nun klargestellt, es ergibt sich aber nicht ohne weiteres schon aus der Formulierung des Unterlassungsanspruchs. Dass man etwa ein urheberrechtsverletzendes Foto auf der eigenen Internetseite herausnehmen muss, wenn man zur Unterlassung verpflichtet ist, leuchtet ohne weiteres ein. Wie weitgehend man aber verpflichtet ist, auf Dritte einzuwirken, dass diese, etwa Suchmaschinen, auf dieses Foto nicht weiter verlinken und gar eine Cache-Speicherung des Fotos löschen, ist manchmal nicht klar. Für den Juristen verwirrend ist zudem, dass das Wettbewerbsrecht und der gewerbliche Rechtsschutz neben dem Unterlassungsanspruch in der Regel Beseitigungsansprüche vorsehen. Der Kläger könnte also, wenn er eine Beseitigung will, dies mit einem entsprechenden Antrag deutlich machen. Dessen bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH nunmehr endgültig nicht mehr. Dies hatte der BGH auch schon in den Entscheidungen „CT Paradies“ (MarkenR 2015, 157 und „Hot Socks“ (MarkenR 2016, 315) formuliert, mit der jetzt vorliegenden Entscheidung „Rescue-Tropfen“, besteht daran kein Zweifel mehr. Überdies stellt die Durchführung eines Rückrufs aufgrund einer einstweiligen Verfügung, gerade in der Pharmabranche, regelmäßig einen wirtschaftlichen Totalausfall und mithin rechtlich eine Vorwegnahme der Hauptsache dar (vgl. ausführlich hierzu: v. Czettritz/Thewes, PharmR 2017, 92). Die finanziellen Ausfälle in der Anlaufphase eines Medikaments seien beträchtlich und eine Durchsetzung am Markt nach einmal erfolgtem Rückruf äußerst unwahrscheinlich. Sollte der Rückruf aufgrund einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung erfolgt sein, decke der Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO die entstehenden Verluste zudem nicht adäquat ab. Überdies wird die Entscheidung des BGH auch dafür kritisiert, dass sie dogmatische Ungereimtheiten aufweise (v. Czettritz/Thewes, PharmR 2017, 92, 93). Insbesondere die Auslagerung der Rückrufpflicht in Vollstreckungsverfahren wird deutlich kritisiert.

Auch für den Kläger oder insbesondere für den Antragstellereiner einstweiligen Verfügung ist diese Rechtsprechung nicht ganz ungefährlich. Wird dem Antragsteller ein Unterlassungsanspruch bezüglich des Vertriebs eines Produktes zugesprochen, und reagiert der Antragsgegner darauf unter anderem mit einem Rückruf seiner Produkte aus dem Vertrieb, können erhebliche Schadensersatzansprüche entstehen; dann nämlich, wenn die einstweilige Verfügung später aufgehoben wird. Dies kann durchaus passieren, da das Verfügungsverfahren bekanntlich ein Eilverfahren ist, in dem sehr schnell entschieden wird und auch Fehler passieren können. Der aus einer vollstreckten, später jedoch aufgehobenen einstweiligen Verfügung entstehende Schaden ist dem Antragsgegner dann zu ersetzen.

Handlungsempfehlung für die Praxis

Was ist also zu tun? Ist man sich als Antragsteller bei einer Verfügung nicht ganz sicher, und möchte einen möglichen Schadensersatzanspruch der Gegenseite nach Aufhebung der Verfügung minimieren, so sollte man im Verfügungsantrag bereits signalisieren, dass man einen Rückruf der Produkte des Gegners nicht erwartet. Inwieweit die unterinstanzlichen Gerichte dies als dringlichkeitsschädlich ansehen, bleibt jedoch abzuwarten.

Fazit

Als Antragsgegner oder Beklagter in einem Hauptsacheverfahren muss man bei Befolgung eines Urteilstenorsden Rückruf bedenken und gegebenenfalls auch durchführen. Anderenfalls wird womöglich ein Ordnungsgeld fällig. Das hat unangenehme Folgen, da der Rückruf der eigenen Produkte beim Vertrieb denkbar unangenehm ist. In manchen Fällen bietet es sich vielleicht an, bei Zustellung einer einstweiligen Verfügung dieses Thema mit dem Antragsteller zu besprechen und eine Einigung zu finden; meist wird dies jedoch nicht möglich sein.

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