Update Health Care & Life Sciences 3/2025
Keine Übertragbarkeit des EuGH-Urteils zur Zulässigkeit des Verbots der Beteiligung von Finanzinvestoren an Rechtsanwaltsgesellschaften auf MVZ
Der EuGH hat (mit Urteil vom 19. Dezember 2024 – C-295/23) in einer (nicht unumstrittenen) Entscheidung bestätigt, dass Beteiligungen von reinen Finanzinvestoren an Rechtsanwaltsgesellschaften verboten sind. Dabei hat sich das Gericht auf die Begründung gestützt, dass das anwaltliche Fremdbesitzverbot mit europäischen Grundfreiheiten vereinbar sei. Der EuGH ist in seiner Entscheidung zwar nicht auf andere freie Berufe eingegangen. Das Urteil ist jedoch Auslöser für eine neuerliche Diskussion über die stärkere Regulierung des Zugangs von Finanzinvestoren zum Gesundheitssektor. Konkret geht es dabei um die Frage der Beteiligung von Finanzinvestoren an Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), üblicherweise auch als investorengetragene MVZ (iMVZ) bezeichnet.
Sachverhalt
Der Entscheidung des EuGH lag ein Vorabentscheidungsersuchen eines Anwaltsgerichtshofs zugrunde. Ein Rechtsanwalt hatte die Mehrheit seiner Anteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft an eine nicht-anwaltliche Gesellschaft abgetreten. Daraufhin widerrief die zuständige Rechtsanwaltskammer die anwaltliche Zulassung der Rechtsanwaltsgesellschaft, da nach deutschem Recht nur Rechtsanwälte oder Angehörige bestimmter Berufe Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein dürfen (sog. Fremdbeteiligungsverbot für Rechtsanwaltskanzleien). Die betroffene Rechtsanwaltsgesellschaft klagte gegen den Widerruf und argumentierte, dass die deutschen Regelungen gegen Unionsrecht verstießen.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat (bemerkenswerterweise in Abweichung zu den Schlussanträgen des Generalanwaltes, der mehrere Widersprüche angemerkt hatte) entschieden, dass die nationale Regelung mit dem Unionsrecht im Einklang stünde. Zwar beschränke das nationale Fremdbeteiligungsverbot den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit, doch seien diese Beschränkungen gerechtfertigt, da sie einem legitimen Zweck – nämlich der Gewährleistung der Unabhängigkeit sowie Integrität der Anwaltschaft – dienten und geeignet, erforderlich sowie angemessen seien, um das Ziel der ordnungsgemäßen Rechtspflege und des Schutzes der anwaltlichen Unabhängigkeit zu erreichen. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigten die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit. Es könne legitimierweise davon ausgegangen werden, dass Rechtsanwälte nicht in der Lage wären, ihren Beruf unabhängig und unter Beachtung der ihnen obliegenden Berufs- sowie Standespflichten auszuüben, wenn sie einer Gesellschaft angehörten, deren Gesellschafter Finanzinvestoren sind, die versucht sein könnten, auf Kostensenkungen hinzuwirken, um ihre Investitionen ertragreich zu gestalten.
Das Urteil des EuGH bestätigt damit, dass Mitgliedstaaten das Recht haben, die Beteiligung reiner Finanzinvestoren an Rechtsanwaltskanzleien zu verbieten, um die Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu schützen.
Einordnung und Bedeutung für die Praxis i.H.a. MVZ
Diese Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf die Diskussion um die Liberalisierung des Anwaltsmarktes und die Beteiligung von Investoren in anderen reglementierten Berufen, die vergleichbaren Fremdbeteiligungsverboten unterliegen, wobei der EuGH ausdrücklich nur auf Rechtsanwälte eingegangen ist.
Vor allem bei Ärzten steht die Unabhängigkeit der Berufsausübung im Vordergrund, weswegen die rechtliche Debatte um die Beteiligung von Investoren an MVZ der Diskussion um Anwaltskanzleien ähnelt. Anders als bei ärztlichen Praxen ist das Fremdbeteiligungsverbot bei MVZ als ärztlich geleitete Einrichtungen, die von verschiedenen Leistungserbringern gegründet werden können und an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, bereits aufgeweicht. Nach geltendem Recht dürfen nämlich unter anderem auch Krankenhäuser, deren Gesellschafter unstreitig Investoren sein können, MVZ gründen, so dass eine mittelbare Beteiligung reiner Finanzinvestoren an MVZ möglich ist. Bekanntermaßen wird die Zulässigkeit solcher iMVZ seit geraumer Zeit kritisch beäugt. Die vorliegende EuGH-Entscheidung dürfte dieser Diskussion um Forderungen nach einem Verbot von iMVZ neuen Aufschwung verleihen. Allerdings verbietet sich nach diesseitiger Auffassung eine Übertragbarkeit des EuGH-Urteils auf MVZ. Das liegt in wesentlichen Unterschieden zwischen dem Beruf des Rechtsanwalts bzw. Rechtsanwaltskanzleien und dem Beruf des Arztes bzw. MVZ begründet:
Ein wesentlicher Unterschied ist der Regulierungsrahmen für die anwaltliche Berufsausübung einerseits und die vertragsärztliche Berufsausübung andererseits. Sowohl die rechtlichen Anforderungen als auch die Zielsetzungen der Regulierungen unterscheiden sich erheblich voneinander. Das Gesundheitswesen und Rechte sowie Pflichten von Ärzten sind besonders reglementiert. Überdies stellen vor allem im Hinblick auf MVZ diverse Regelungen die ärztliche Entscheidungsfreiheit sicher.
Nicht nur für die Akteure gelten unterschiedliche Rahmenbedingungen, auch die einzelnen Rechtsgüter (Rechtspflege einerseits und Volksgesundheit andererseits) unterscheiden sich, ebenso wie die Vergütungssysteme und Leistungsabwicklung ganz wesentliche Unterschiede aufweisen. In der vertragsärztlichen Versorgung, an der MVZ als Leistungserbringer teilnehmen, spielen Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte eine zentrale Rolle.
Zudem ist die unterschiedliche Marktstruktur zu berücksichtigen. Der Gesundheitsmarkt ist stärker fragmentiert und weist eine größere Vielfalt an Akteuren auf, was die Übertragung der Rechtsprechung erschwert. Insbesondere die Ungleichbehandlung des ambulanten und des stationären Sektors stellt einen Widerspruch dar, aufgrund dessen sich eine Übertragbarkeit der EuGH-Entscheidung auf MVZ verbietet: Wie bereits ausgeführt, besteht im stationären Sektor kein Fremdbesitzverbot und damit kein Ausschluss reiner Finanzinvestoren. Durch das jüngst in Kraft getretene Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) hat der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung zwischen den Sektoren noch weiter verschärft, weil nunmehr Krankenhäuser auch ambulante Leistungen erbringen dürfen. Damit verbleibt kaum mehr Raum für die Legitimation von Grundrechtseingriffen, die mit einem Verbot von iMVZ verbunden wären.
Zuletzt sind der medizinische Fortschritt und die starke Nachfrage nach medizinischen Dienstleistungen mit damit verbundenen Kostensteigerungen im Gesundheitssektor zu beachten: Eine Beschränkung des Gesellschafterkreises von MVZ i.S.e. Verbotes von iMVZ stellt ein Hindernis für Innovation und Investition dar. Für den Gesundheitssektor bleibt die Herausforderung bestehen, eine Balance zwischen wirtschaftlichen Interessen und der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und unabhängigen medizinischen Versorgung zu finden.
Fazit
Sowohl rechtliche als auch strukturelle Besonderheiten verbieten damit im Ergebnis eine Gleichbehandlung von Rechtsanwaltskanzleien und MVZ und damit auch eine Übertragung der EuGH-Entscheidung auf MVZ. Damit gilt auch nach dem Urteil des EuGH weiterhin, dass Finanzinvestoren Gesellschafter eines MVZ sein oder werden können. Finanzinvestoren, die den Erwerb einer Beteiligung an einem MVZ beabsichtigen, sollten die Entwicklungen im Bereich der Regulierung jedoch genau verfolgen. Entsprechendes gilt für Ärzte, die einen Verkauf ihrer Praxis in Betracht ziehen.