Update Health Care 5/2024
Verpflichtende Anwendung der GOÄ auch bei Vertragsschluss mit juristischer Person
Der BGH (Urteil vom 4. April 2024 – III ZR 38/23) hat entschieden, dass es für die Anwendbarkeit des zwingenden Preisrechts der Gebührenordnung für Ärzte („GOÄ“) nicht darauf ankomme, ob ein Patient den Behandlungsvertrag mit einer natürlichen oder einer juristischen Person schließe. Entscheidend sei einzig, ob eine Vergütung für eine berufliche Leistung eines Arztes geltend gemacht werde. Mit diesem Urteil hat der BGH eine seit Jahren umstrittene Rechtsfrage geklärt.
Sachverhalt
Der Entscheidung des BGH lag eine zivilgerichtliche Streitigkeit über die Rückzahlung eines Honorars in Höhe von EUR 10.633 für eine sog. Cyberknife-Behandlung zugrunde.
Der Kläger befand sich wegen eines Prostatakarzinoms bei dem beklagten Universitätsklinikum in Behandlung. Die Parteien vereinbarten in diesem Zusammenhang die Anwendung des sog. Cyberknife-Verfahrens, mit dem eine hochenergetische Bestrahlung von Tumoren möglich ist. Bei der Behandlung im Cyberknife-Verfahren handelt es sich um ein medizinisches Verfahren, das grundsätzlich nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung („GKV“) gehört. Nachdem die Krankenkasse des Klägers eine Kostenübernahme abgelehnt hatte, informierte die Beklagte den Kläger, woraufhin dieser eine Erklärung unterzeichnete, mit der er zusagte, für die Kosten der ärztlichen Behandlung selbst aufzukommen. Die Leistung wurde in der Folge ambulant erbracht. Die Beklagte rechnete dann mit der Leistungsbezeichnung „Cyberknife-Komplexleistung“ einen entsprechenden Betrag als Pauschalbetrag ab.
Im Rahmen der zivilgerichtlichen Auseinandersetzung machte der Kläger geltend, die Beklagte hätte ihn über andere Krankenkassen der GKV, die solche medizinischen Behandlungen übernehmen, aufklären müssen. Daneben rügte er, dass die Pauschalpreisvereinbarung mit den Bestimmungen der GOÄ unvereinbar sei. Sowohl das Landgericht Köln als auch das Oberlandesgericht Köln verurteilten die Beklagte zur Rückzahlung.
Entscheidung des BGH
Der BGH bestätigte die vorherigen gerichtlichen Entscheidungen. Er lehnte zunächst einen Schadensersatzanspruch (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 630c Abs. 3 BGB) des Klägers ab, da diese Vorschrift dem Behandelnden keine Pflicht zur umfassenden wirtschaftlichen Beratung des Patienten auferlege. Der Kläger könne jedoch einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) geltend machen, da die Pauschalpreisvereinbarung mit § 2 Abs. 1, 2 GOÄ unvereinbar und daher gemäß § 125 S. 1 BGB bzw. § 134 BGB nichtig sei.
So erkannte der BGH, dass die GOÄ nicht zwingend voraussetze, dass Vertragspartner des Patienten ein Arzt sei. Vielmehr sei ausschlaggebend, ob eine Vergütung für eine berufliche Leistung eines Arztes geltend gemacht werde. Die von einem Arzt im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses erbrachten ambulanten Maßnahmen seien der juristischen Person, für die er tätig sei, zuzurechnen.
Seine Entscheidung stützte der BGH zum einen auf den Wortlaut von § 1 Abs. 1 GOÄ, der auf die Erbringung „beruflicher Leistungen der Ärzte“ abstelle. Dieser sei weit gefasst und entspreche der Ermächtigungsgrundlage des § 11 S. 1 Bundesärzteordnung („BÄO“). Für dieses Ergebnis würden nach dem BGH zum anderen und vor allem auch Sinn und Zweck der Norm bzw. vielmehr der in der GOÄ enthaltenen Vorschriften sprechen. Die GOÄ stelle ein für alle Ärzte geltendes zwingendes Preisrecht dar und solle einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Vergütungspflichtigem und Leistungserbringer bewirken. Andernfalls sei es möglich, durch Zwischenschaltung einer juristischen Person das für alle Ärzte geltende zwingende Preisrecht zu umgehen.
Der BGH zog außerdem auch Parallelen zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz („RVG“) sowie zur Honorarordnung für Architekten und Ingenieure („HOAI“), die ebenfalls öffentlich-rechtliches Preisrecht darstellten und für deren Anwendbarkeit es ebenfalls nicht darauf ankomme, ob Vertragspartner eine natürliche oder juristische Person sei. Einleuchtende Gründe für eine Abweichung bei der medizinischen Versorgung seien nicht ersichtlich.
Einordnung und Bedeutung für die Praxis
Mit der gegenständlichen – nachvollziehbar begründeten – Entscheidung hat der BGH Rechtssicherheit geschaffen. Die Frage, ob die GOÄ auch für juristische Personen zwingend anzuwenden ist, war schließlich bis dato nicht nur im Schrifttum, sondern auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung höchst umstritten. So hat beispielsweise das OLG Frankfurt a. M. noch mit Urteil vom 9. November 2023 (6 U 82/23) entschieden, dass ärztliche Kapitalgesellschaften nicht an die Preisvorschriften der GOÄ gebunden seien, sondern freie Preise vereinbaren könnten. Dem hat der BGH nunmehr eine Absage erteilt.
Der Entscheidung ist zudem eine hohe Praxisrelevanz zuzusprechen: Sie hat nicht nur Bedeutung für die Abrechnung durch juristische Personen in Form von Krankenhausträgergesellschaften, wie in dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall, sondern auch für andere juristische Personen wie Ärztegesellschaften (Ärzte-GmbH's) und vor allem Trägergesellschaften medizinischer Versorgungszentren („MVZ“). Auch MVZ-GmbH's sind damit nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH verpflichtet, ihre Leistungen an Selbstzahlern nach der GOÄ abzurechnen.
Bei der zahnärztlichen Leistungserbringung stellen sich ähnliche Fragen hinsichtlich der Bindung an das zwingende Preisrecht der Gebührenordnung für Zahnärzte („GOZ“). Diese werden nicht anders beantwortet werden können, was die Praxisrelevanz dieser BGH-Entscheidung erhöht.
Juristische Personen, die eine von der GOÄ bzw. GOZ (wie vor) abweichende Honorarvereinbarung für berufliche Leistungen der bei ihnen tätigen Ärzte bzw. Zahnärzte treffen wollen, müssen sich daher an die Vorschrift des § 2 Abs. 2 GOÄ bzw. GOZ halten. Dies erfordert u. a. eine individuelle Absprache im Einzelfall zwischen der juristischen Person und dem Patienten, die in einem Schriftstück zu treffen ist. Zur Gewährleistung hinreichender Transparenz sollte dieses die Gebührenordnungsposition („GOP“) samt Bezeichnung der zu erbringenden Leistung, den Steigerungssatz und den vereinbarten Euro-Betrag enthalten.
Klarstellend ist noch zu erwähnen, dass der BGH mit der dargestellten Entscheidung keine Äußerung zu stationären Leistungen getätigt hat. Im Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes („KHEntgG“) gilt die GOÄ gemäß § 17 Abs. 3 S. 7 nur für wahlärztliche Leistungen. Nicht an die GOÄ gebunden sind nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 11. September 2012 – B 1 KR 3/12 R und Urt. v. 11. Juli 2017 – B 1 KR 1/17 R) auch reine Privatkliniken, wenn nicht nur die „beruflichen Leistungen der Ärzte“ Vertragsgegenstand sind, sondern der Patient einen umfassenden, sog. Totalaufnahmevertrag ohne Arztzusatzvertrag geschlossen hat.