16.08.2023Fachbeitrag

Update Health Care 2/2023

„Online-Marktplatz“ für Arzneimittel verstößt gegen Vorschriften des Apothekengesetzes

Das LG Karlsruhe hat mit Urteil vom 8. Dezember 2022 (13 O 17/22) entschieden, dass Geschäftsmodelle, mit denen Anbieter Apotheken einen Online-Marktplatz zum Verkauf von Medikamenten bereitstellen und als Gegenleistung von den Apotheken eine monatliche Grundgebühr sowie eine umsatzabhängige Transaktionsgebühr verlangen, gegen Vorschriften aus dem Apothekengesetz (nachfolgend „ApoG“) verstoßen.

In dem vom LG Karlsruhe entschiedenen Fall hat die Klägerin und Widerbeklagte (nachfolgend „Betreiberin“) einen Online-Marktplatz für Apotheken errichtet. Dabei stellt die Betreiberin den teilnehmenden Apothekern die technische Infrastruktur für den Verkauf von Arzneimitteln bereit. Perspektivisch sollen – durch die schrittweise Einführung des e-Rezepts ab 1. September 2022 bedingt – auch verschreibungspflichtige Arzneimittel vertrieben werden können. Apotheken, die Arzneimittel über den Online-Marktplatz vertreiben wollen, müssen an die Betreiberin eine monatliche Grundgebühr von EUR 399,00 sowie für Produkte, die nicht ärztlich verordnet werden, eine Transaktionsgebühr in Höhe von 10 % des Nettoverkaufspreises entrichten. Die Apothekerkammer Nordrhein (nachfolgend „Apothekerkammer“) als die Beklagte und Widerklägerin überwacht die Einhaltung der Berufspflichten der Apotheker. Die Apothekerkammer hat die Betreiberin zunächst zur Unterlassung aufgefordert und abgemahnt, wogegen die Betreiberin eine Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Unterlassungsanspruchs erhoben hat. Widerklagend hat die Apothekerkammer Klage auf Unterlassung erhoben.

Online-Marktplatz verstößt gegen § 11 Abs. 1a ApoG

Dem LG Karlsruhe folgend steht der Apothekerkammer der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu. Das Gericht hat zunächst festgestellt, dass die monatliche Grundgebühr von EUR 399,00 für den Zugang zum Online-Marktplatz die Vorschrift des § 11 Abs. 1a ApoG verletzt. Der Gesetzgeber habe durch die Vorschrift das kommerzielle Makeln von Rezepten untersagen wollen. Hintergrund sei gewesen, dass andernfalls zum einen die freie Apothekenwahl beeinträchtigt werden könnte, zum anderen jedoch erhebliche Verwerfungen im Apothekenmarkt entstehen könnten, ließe man entsprechende Geschäftsmodelle zu. Apotheken könnten unter wirtschaftlichen Druck geraten, sich an Geschäftsmodellen der gegenständlichen Art zu beteiligen oder andernfalls Verschreibungen zu verlieren. Dadurch könnte in der Folge die flächendeckende Versorgung mit wohnortnahen Apotheken gefährdet werden. Es sei – erst recht vor dem Hintergrund der schrittweisen Einführung des e-Rezepts – davon auszugehen, dass Apotheken, die ein Patientenbedürfnis nach „Convenience“ wie beispielsweise einer Lieferung nach Hause befriedigen können, ihren Umsatz steigern werden, während Apotheken, die dies nicht tun, Umsatzeinbußen erleiden würden. Da die Nachfrage nach Arzneimitteln wenig elastisch, sondern weitgehend konstant sei, geht das Gericht maßgeblich von einer Umverteilung des Umsatzes aus. Diese Faktoren könnten zu einem „Apothekensterben“ und einer Gefährdung einer wohnortnahen Präsenzversorgung führen. Auch würde der Druck auf die Apotheker, sich an entsprechenden Vertriebsformen zu beteiligen, verstärkt. Entgegen der Auffassung der Betreiberin müsse die Vorschrift daher nicht dahingehend einschränkend ausgelegt werden, dass das Vermitteln einer Verschreibung zulässig sei, solange das freie Apothekenwahlrecht gewährleistet bleibe, weil auch in diesem Fall der Schutzzweck der Vorschrift – die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherung mit wohnortnahen Apothekendienstleistungen – tangiert sei.

Transaktionsgebühr verstößt gegen § 8 S. 2 ApoG

Darüber hinaus sah das LG Karlsruhe einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 8 S. 2 ApoG. Der Vertrag mit der Betreiberin über die Nutzung der Infrastruktur des Online-Marktplatzes sei eine „Vereinbarung“, die Gegenleistung in Form der Transaktionsgebühr in Höhe von 10 % des Nettoverkaufspreises eine „Ausrichtung am Umsatz“ im Sinne der Vorschrift. Mit dem in § 8 Abs. 2 ApoG normierten Beteiligungsverbot wollte der Gesetzgeber die eigenverantwortliche Führung und Leitung des Apothekenbetriebs durch den Apotheker schützen und sicherstellen, dass dieser weder in fachlichen noch in betrieblichen oder wirtschaftlichen Entscheidungen von Dritten beeinflusst wird. Es solle gewährleistet werden, dass der Apotheker seiner öffentlichen Aufgabe, eigenverantwortlich an der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung mitzuwirken, in sachgerechter Weise nachkomme. Das Argument der Betreiberin, die umsatzabhängige Vergütung werde nur für einen kleinen Teil des Apothekenumsatzes verlangt, überzeuge das Gericht nicht, da § 8 S. 2 ApoG einen abstrakten Gefahrenabwehrtatbestand vorsehe. Somit solle schon eine grundsätzliche Eignung zur Beeinflussung der wirtschaftlichen Apothekenbetriebsführung genügen. Zu beachten sei nämlich auch die Gefahr, dass Apotheken, die sich entsprechenden Geschäftsmodellen angeschlossen hätten, in der Zukunft von Anbietern wie der Betreiberin abhängig werden könnten. Durch die Digitalisierung von Abläufen im Gesundheitswesen, nicht zuletzt durch Einführung des e-Rezepts, könnte eine entsprechende Entwicklung noch beschleunigt werden.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des LG Karlsruhe lässt erkennen, dass auch die berufsständischen Vertretungen – hier die Apothekerkammer Nordrhein – ihre gesetzlichen Möglichkeiten nutzen, um gegen eine anwachsende Marktmacht von Anbietern im Online-Handel vorzugehen. Gerade im Bereich des Gesundheitswesens sind die jeweiligen Einrichtungen sensibilisiert, der Entstehung von ungewünschten „Gatekeeper-Effekten“ und einer Konzentration von Marktmacht vorzubeugen.

Die Verfassungskonformität des im Rahmen des Patientendaten-Schutz-Gesetz im Oktober 2020 neu eingefügten § 11 Abs. 1a ApoG wird in der Literatur derweil lebhaft diskutiert und hat auch bereits das Bundesverfassungsgericht beschäftigt, das den Ball mit Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2020 aber zunächst den Fachgerichten zugespielt hat (1 BvR 2424/20). Ob sich die Auffassung des LG Karlsruhe zur Auslegung des § 11 Abs. 1a ApoG in der Rechtsprechung durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

Da sich die Tätigkeit der Apothekerkammern nicht nur auf die hoheitliche Überwachung der Tätigkeit ihrer Kammerangehörigen beschränkt, sondern sich auch auf die Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche (vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG) erstreckt, müssen auch Nichtmitglieder bei der Ausgestaltung neuer Geschäftsmodelle auf den vorgegebenen regulatorischen Rahmen achten. Insbesondere sind Umsatz- und Gewinnbeteiligungen Dritter zu vermeiden.

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