11.08.2023Fachbeitrag

Update Kartellrecht, 11. August 2023

11. GWB-Novelle – Wann kommt sie, was bringt sie?

Für eine Reform des Kartellrechts waren die Töne vergleichsweise laut: Nicht weniger als ein „Kartellrecht mit Klauen und Zähnen“ forderte Bundeswirtschaftsminister Habeck und initiierte nach eigenen Angaben die „wohl größte Reform seit Ludwig Erhard“. Deutlich weniger Beachtung fanden die Warnung der parlamentarischen Opposition vor einer „Politisierung des Bundeskartellamts“ sowie die vehemente Kritik der Unternehmensverbände an dem Gesetzgebungsprojekt.

Wann tritt die 11. GWB-Novelle in Kraft?

Kurz vor der Sommerpause wurde die 11. GWB-Novelle, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, vom Bundestag beschlossen. Der Bundesrat wird voraussichtlich in seiner Sitzung am 29. September abschließend darüber beraten, ob er den Vermittlungsausschuss anruft oder das Gesetz passieren lässt. Mit einem Inkrafttreten wird Anfang/Mitte Oktober gerechnet.

In a nutshell: Was bringt die Reform?

Der Inhalt der Reform, wie sie bisher vom Bundestag beschlossen wurde, lässt sich grob zu folgenden drei Themenblöcken zusammenfassen: (i) Stärkung von Sektoruntersuchungen, § 32f GWB-E; (ii) Stärkung der Vorteilsabschöpfung, § 34 GWB; (iii) Stärkung der öffentlichen und privaten Durchsetzung des Digital Markets Act

Maßnahmen nach Sektoruntersuchungen

Kontrovers diskutiertes Herzstück des Gesetzesentwurfs ist die neue Vorschrift des § 32f GWB-E. Sie zielt darauf ab, die Wirksamkeit von Sektoruntersuchungen des Bundeskartellamts und der Landeskartellbehörden zu erhöhen. Zu diesem Zweck soll das Bundeskartellamt die Befugnis erhalten, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ (§ 32f Abs. 3 Satz 1 GWB-E) formal festzustellen und auf dieser Grundlage „alle Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art“ (§ 32f Abs. 3 Satz 6 GWB-E) vorzuschreiben. Beispielhaft nennt der Gesetzestext etwa: die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen; Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen, Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen; die buchhalterische oder organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen (§ 32f Abs. 3 Satz 7 GWB-E). Schließlich kann als letztes Mittel die Verpflichtung auferlegt werden, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern (§ 32f Abs. 4 GWB-E). Auf einen Verstoß gegen das Kartellverbot, das Verbot des Missbrauchs von Marktmacht oder das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot soll es dabei nicht mehr ankommen. All die genannten Maßnahmen kommen allerdings nur dann in Betracht, wenn die sonstigen kartellbehördlichen Befugnisse nicht ausreichen.

Punktuelle Ausweitung der Fusionskontrollpflicht

Weiterhin soll dem Bundeskartellamt mit der 11. GWB-Novelle im Anschluss an eine Sektoruntersuchung auch die Befugnis zur punktuellen Ausweitung der Fusionskontrollpflicht eingeräumt werden. Bestehen nach dem Ergebnis der Sektoruntersuchung „objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte“ dafür, dass „durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb“ in einem oder mehreren der untersuchten Wirtschaftszweige „erheblich behindert werden könnte“ (§ 32f Abs. 2 Satz 1 GWB-E), können Unternehmen mit einem konzernweiten Inlandsumsatz von mehr als EUR 50 Mio. für einen Zeitraum von (zunächst) drei Jahren (§ 32f Abs. 2 Satz 1 GWB-E) dazu verpflichtet werden, jegliche Zusammenschlüsse mit Zielunternehmen, deren Inlandsumsatz mehr als EUR 1 Mio. beträgt, erst nach Anmeldung beim und Freigabe durch das Bundeskartellamt zu vollziehen.

Stärkung der Vorteilsabschöpfung

Neben der Stärkung von Sektoruntersuchungen sieht die 11. GWB-Novelle auch eine deutliche Ausweitung der Vorteilsabschöpfung vor. Nach Ansicht von Experten könnte das bislang kaum praxisrelevante Instrument damit entscheidend an Bedeutung gewinnen. Zu diesem Zweck soll § 34 GWB um zwei starke Vermutungen ergänzt werden: zum einen die Vermutung, dass ein schuldhaft begangener Wettbewerbsverstoß beim Verletzer zu einem Gewinn führt (§ 34 Abs. 4 Satz 1 GWB-E), zum anderen die – in nur sehr begrenztem Umfang widerlegliche – Vermutung eines Mindestgewinns in Höhe von „1 Prozent der Umsätze […], die im Inland mit den Produkten oder Dienstleistungen, die mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehen, erzielt wurden“ (§ 34 Abs. 4 Satz 4-6 GWB-E).

Stärkung der öffentlichen und privaten Durchsetzung des Digital Markets Act

Ebenfalls von der GWB-Novelle aufgegriffen werden die gesetzlichen Anpassungen in Bezug auf den Digital Markets Act (DMA). Sie betreffen die Unterstützung der EU-Kommission durch das Bundeskartellamt bei der öffentlichen Durchsetzung des DMA im Rahmen des vom DMA vorgezeichneten Rahmens der Mitwirkung nationaler Kartellbehörden (§ 32g GWB-E, § 50 Abs. 2 Satz 1 GWB-E, § 50f Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 GWB-E) und die Erleichterung der privaten Durchsetzung des DMA (vgl. zur Bindungswirkung bestandskräftiger Entscheidungen § 33b Satz 1 GWB, zu Verjährungsfristen § 33h Abs. 6 Satz 1 GWB und zu Auskunftspflichten § 33g Abs. 4 und 5 GWB).

Fazit und Ausblick

Getreu der gesetzgeberischen Intention schärft die 11. GWB-Novelle, wie sie vom Bundestag vor der Sommerpause beschlossen wurde, die „Klauen“ des Kartellrechts. Es bleibt abzuwarten, ob der Bundesrat in letzter Minute die massiven Bedenken der Unternehmensverbände sowie eines Teils der Experten aufgreift. Die Sorge richtet sich insbesondere darauf, dass wesentliche Eingriffsinstrumente unabhängig von einem Verstoß der Adressaten gegen ein gesetzliches Verbot eingesetzt werden können und das Einsatzermessen der Administrative deutlich erweitert wird. Tritt das Gesetz unverändert in Kraft, wird es entscheidend darauf ankommen, welchen Gebrauch das Bundeskartellamt von seinen neuen Befugnissen macht. Man darf gespannt sein.

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