Update Arbeitsrecht Februar 2021
Anspruch auf Verrichtung der Tätigkeit im Homeoffice durch die Hintertür?
Wenn eine auf den Wechsel des Arbeitsortes abzielende Änderungskündigung an der Homeoffice-Möglichkeit scheitert
ArbG Berlin, Urteil vom 10.08.2020 – 19 Ca 13189/19
Die Möglichkeit der Verrichtung der Tätigkeit von zu Hause aus bei vorhandener technischer Infrastruktur kann einer Änderungskündigung mit Zuweisung eines anderen Arbeitsortes aufgrund des geltenden Ultima ratio-Prinzips entgegenstehen.
SACHVERHALT
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Änderungskündigung.
Im Oktober 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der seit November 1992 in ihrer Niederlassung in Berlin als Vertriebsassistentin beschäftigten Klägerin ordentlich und fristgemäß und bot ihr gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit neuem Arbeitsort in Wuppertal an. Zuvor hatte die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart, wonach mit Ausnahme der Zentrale in Wuppertal sämtliche Niederlassungen der Beklagten zum Ende des Jahres 2019 stillgelegt werden.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Änderungskündigung unwirksam sei, da die Beklagte sie als „milderes Mittel“ auch im Homeoffice beschäftigen könne. Dies habe die Beklagte schließlich auch den vormaligen Niederlassungsleitern angeboten. Zudem sehe eine Rahmenrichtlinie der Beklagten aus Juli 2019 die Möglichkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung im Homeoffice ebenso vor. Schließlich erfolge ihre Tätigkeit ohnehin bereits komplett digital mit elektronischer Aktenführung.
Die Beklagte ist hingegen der Auffassung, dass die Klägerin ihre vertraglich geschuldete Leistung nicht von zu Hause erbringen könne, da sie im Gegensatz zu den Niederlassungsleitern nicht im Außendienst tätig sei. Zudem stehe die Verrichtung ihrer Tätigkeit im (Berliner) Homeoffice nicht im Einklang mit der Unternehmerentscheidung zur Schließung (u. a.) der Berliner Niederlassung.
ENTSCHEIDUNG
Die Klage der Arbeitnehmerin hatte Erfolg.
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin seien Arbeitgeber bei Änderungen der Arbeitsbedingungen verpflichtet, sich auf das Maß zu beschränken, das für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar sei.
Das Arbeitsgericht Berlin geht damit weiter als das BAG, wonach sich Arbeitgeber im Falle einer Änderungskündigung in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken haben (BAG 12.08.2010, 2 AZR 945/08; BAG 29.11.2007, 2 AZR 388/06).
Sehr weitgehend ist zudem die Einschätzung des Arbeitsgerichts Berlin, dass Arbeitgeber die Möglichkeit der Verrichtung der Tätigkeit im Homeoffice zwingend als „milderes Mittel“ berücksichtigen müssen. Zwar bestehe kein grundsätzlicher Anspruch eines Arbeitnehmers auf einen häuslichen Arbeitsplatz. Arbeitgeber seien jedoch im jeweiligen Einzelfall ggf. verpflichtet darzulegen, warum eine physische Präsenz des betroffenen Arbeitnehmers zur Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben notwendig sei.
Die Beklagte habe – trotz dahingehend ausführlichen Vortrags der Klägerin und trotz des gerichtlichen Hinweises – nicht dargelegt, warum die Tätigkeit der Klägerin nicht auch von zu Hause aus erbracht werden könne. Der pauschale Verweis der Beklagten, „die Verrichtung der Tätigkeit im Homeoffice entspreche nicht ihrer unternehmerischen Entscheidung“, sei willkürlich und erscheine angesichts der Corona-Pandemie „aus der Zeit gefallen“.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig: Die Beklagte hat gegen die Entscheidung Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
PRAXISTIPP
Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin überrascht zumindest auf den ersten Blick, da es der Arbeitnehmerin durch die „Hintertür“ einen gesetzlich nicht existenten und von der bisherigen Rechtsprechung daher auch zutreffend nicht „geschaffenen“ (ArbG Augsburg 07.05.2020, 3 Ga 9/20; LAG Köln 24.05.2016, 12 Sa 677/13; LAG Rheinland-Pfalz 18.11.2014, 5 Sa 378/14) Anspruch auf Verrichtung der Tätigkeit im Homeoffice zugesteht.
Es bleibt indes abzuwarten, ob auch das LAG Berlin-Brandenburg die Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin teilt und insoweit die bisherige Rechtsprechung „kippt“.
Auch wenn die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, ist aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen deutlich höheren Relevanz von Homeoffice-Tätigkeiten davon auszugehen, dass Arbeitgeber insbesondere bei einer (Teil-)Betriebsstilllegung im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen gut beraten sind, Gründe, die gegen die dauerhafte Verrichtung der Tätigkeit im Homeoffice sprechen, zu konkretisieren und darzulegen.
Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber nicht zur Schaffung und Ausstattung eines neuen oder anderen Arbeitsplatzes – wie hier die Wohnung des Arbeitnehmers – verpflichtet werden; ansonsten würde in seine unternehmerische Organisationsentscheidung in unzulässiger Weise eingegriffen werden, jedenfalls wenn die Verrichtung der Tätigkeit im Homeoffice vom Arbeitgeber grundsätzlich (d. h. nicht nur ausnahmsweise bzw. vorrübergehend) nicht vorgesehen ist (BAG 14.10.2003, 9 AZR 657/02). Den Arbeitsgerichten steht es nicht zu, den jeweiligen Arbeitgebern eine „bessere Betriebs- oder Unternehmensstruktur“ vorzuschreiben (BAG 30.04.1987, 2 AZR 184/86). Davon unberührt bleibt aber die Notwendigkeit, konkret und nachvollziehbar zu der Umsetzbarkeit einer Organisationsentscheidung vorzutragen. Möglicherweise wird der Arbeitgeber im Rahmen eines Berufungsverfahrens hier noch einmal „nachbessern“ und insoweit eine klageabweisende Entscheidung erreichen können.
Ob das grundsätzliche Versagen von Homeoffice-Tätigkeiten allerdings – losgelöst von der aktuellen Sondersituation, in der dies bekanntlich grundsätzlich ermöglicht werden muss – besonders klug ist, steht auf einem anderen Blatt.