20.11.2018Fachbeitrag

Update Compliance 14/2018

Anspruchsverfolgungspflicht des Aufsichtsrats und Verjährung von Organhaftungsanprüchen wegen des Verjährenlassens von Forderungen

Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH hat klargestellt, dass die unterbliebene Verfolgung von Ersatzansprüchen einer Aktiengesellschaft gegen ihren Vorstand im Regelfall erst mit dem Eintritt der Verjährung zur Entstehung eines Schadens der Gesellschaft führt und dies die Frist der Verjährung des gegen den Aufsichtsrat gerichteten Organhaftungsanspruchs in Gang setzt. Zudem könne das rein persönliche Interesse eines Aufsichtsratsmitglieds, sich durch die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen den Vorstand nicht mittelbar zugleich einer eigenen, damit zusammenhängenden Pflichtverletzungen bezichtigen und einem Schadensersatz- bzw. Rückzahlungsanspruch aussetzen zu müssen, keine Ausnahme von seiner Pflicht zur Anspruchsverfolgung begründen.

Der Beklagte hatte 27,4 % des Grundkapitals der Klägerin, einer börsennotierten AG, erworben und kurze Zeit später das Amt des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Klägerin übernommen. Unter Verstoß gegen das gesetzlich statuierte Verbot der Einlagenrückgewähr leistete die Klägerin Zahlungen in Höhe von rund 1,5 Mio. Euro an den Beklagten. Der Beklagte unternahm nichts dafür, dass der Aufsichtsrat die aus diesen Zahlungen resultierenden Organhaftungsansprüche gegen den Vorstand geltend machte, die letztlich verjährten. Die Klägerin nahm deshalb den Beklagten als Mitglied des Aufsichtsrats aus § 116 S. 1 i.V. m. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG auf Schadensersatz in Anspruch.

Beginn der Verjährung von Organhaftungsansprüchen

Hinsichtlich des Beginns der Verjährung von Organhaftungsansprüchen gegen den Vorstand wegen unzulässiger Einlagenrückgewähr sah der BGH die dafür maßgebliche Entstehung des Schadens der Gesellschaft bereits in der Vornahme der verbotenen Auszahlungen durch den Vorstand. Dass dieser die unerlaubten Auszahlungen verschwiegen und selbst später nicht zurückgefordert sowie die daraus resultierenden Ersatzansprüche nicht in unverjährter Zeit gegen sich selbst geltend gemacht habe, begründe keine neue, zusätzliche Schadensersatzverpflichtung des Vorstands, die ggfs. einer eigenen, später beginnenden Verjährung unterliegen würde.

Bei der Verletzung von Anspruchsverfolgungspflichten des Aufsichtsrats sei zwischen der Pflicht des Aufsichtsrats, vorbeugend Verstöße des Vorstands gegen das Einlagenrückgewährverbot zu verhindern, und seiner Pflicht, nachträglich aus solchen Verstößen resultierende Ansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand zu verfolgen und durchzusetzen, zu unterscheiden. Bei der Pflicht zur Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand handele es sich um eine gesonderte Pflicht mit eigenem Prüfungsumfang, die an die vorherige Pflicht zur Verhinderung von Vorstandspflichtverletzungen anschließe und somit auch zu einem selbständig verjährenden Schadensersatzanspruch führe. Der Umstand, dass der Aufsichtsrat Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand während des Laufs der Verjährungsfrist nicht verfolgt hat, habe zwar zu einer risikobehafteten Situation geführt, die sich mit zunehmendem Zeitablauf verschärft habe. Bis zum Eintritt der Verjährung dieser Ansprüche sei die gebotene Geltendmachung durch den Beklagten als Aufsichtsrat aber noch nachholbar und daher offen gewesen, ob sein risikobehaftetes Unterlassen letztlich zu dem Schaden der Gesellschaft führen würde. Unter Berücksichtigung des besonderen Schutzzwecks der Aufsichtspflicht sei daher maßgeblich, wann die Verletzung der Pflicht zur Anspruchsverfolgung ihrerseits zu einem Schaden der Gesellschaft dem Grunde nach geführt habe. Bestehe dieser Schaden in der Undurchsetzbarkeit eines Ersatzanspruchs gegen den Vorstand wegen Verjährung, sei maßgeblicher Zeitpunkt für die Schadensentstehung erst der Eintritt dieser Verjährung und nicht bereits die Nichtverfolgung des Ersatzanspruchs.

Das Verbot einer Pflicht zur Selbstbezichtigung begründet keine Ausnahme von der Anspruchsverfolgungspflicht des Aufsichtsrats

Das Berufungsgericht hatte die Auffassung vertreten, ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten scheide deshalb aus, weil er sich zur Vermeidung der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzung habe selbst bezichtigen müssen, was von ihm nach allgemeinen Grundsätzen nicht verlangt werden könne. Dieser Auffassung erteilte der BGH eine Absage. Die Frage, ob das Verbot einer Pflicht zur Selbstbezichtigung der Annahme einer gesellschaftsrechtlichen Auskunfts- oder Handlungspflicht eines Gesellschaftsorgans entgegenstehe, lasse sich nicht generell beantworten, sondern hänge von der jeweiligen Pflicht und den Umständen des Einzelfalls ab. Die besondere Überwachungs- und Schutzfunktion des Aufsichtsrats stünde seiner generellen Befreiung von der Erfüllung seiner Aufgaben grundsätzlich auch dann entgegen, wenn er dadurch eine eigene Pflichtverletzung oder ein ersatzverpflichtendes Verhalten offenbaren müsste. Ob die Pflicht des Aufsichtsrats zur Anspruchsverfolgung gegen den Vorstand dort ihre Grenzen finde, wo sie eine Offenbarung eigenen strafbaren Verhaltens bedeuten würde, erscheine im Hinblick auf die besondere Funktion des Aufsichtsrats fraglich, zumal seinen Interessen in einem solchen Fall ggf. auch durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot hinreichend Rechnung getragen werden könne. Diese Frage konnte der BGH jedoch im Ergebnis offen lassen.

Praxishinweis

Die Ausgestaltung der gesetzlichen Verjährungsfrist für Organhaftungsansprüche hat im Anschluss an die Neufassung des § 93 Abs. 6 AktG durch das Restrukturierungsgesetz 2010 erhebliche Kritik erfahren. Für die auch vor dieser Gesetzesänderung schon bestehenden Schwierigkeiten bei der Ermittlung der „Anspruchsentstehung“ als Zeitpunkt des Beginns der Verjährung von Organhaftungsansprüchen von Kapitalgesellschaften schafft der BGH jedenfalls für die praktisch relevanten Fälle der Verletzung der Anspruchsverfolgungspflicht Klarheit.  Mit seiner Entscheidung bestätigt der BGH zudem erneut seine ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung und hebt die große Bedeutung der Überwachungs- und Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats hervor, der bei der Prüfung von entsprechenden Organhaftungsansprüchen daher maßgeblich Rechnung zu tragen ist.

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