Update Arbeitsrecht März 2023
BAG: Prüfung der Inflationsanpassung bei Betriebsrenten – kein Berechnungsdurchgriff alleine wegen Gewinnabführungsvertrags
BAG, Urt. vom 15.11.2022 – 3 AZR 505/21
Bei der Beurteilung, ob ein Unternehmen nach § 16 Abs. 1 BetrAVG die regelmäßig zu prüfende Anpassung laufender Renten an gestiegene Lebenshaltungskosten unter Berufung auf seine nicht ausreichend gute wirtschaftliche Lage verweigern kann, kommt es auf die finanzielle Situation des verpflichteten Unternehmens selbst an. Die erwirtschaftete bzw. die danach prognostizierte Eigenkapitalverzinsung des Unternehmens stellt für diese Beurteilung eine entscheidende Größe dar.
Ein sog. Berechnungsdurchgriff auf eine andere Konzerngesellschaft kommt nur in Ausnahmenfällen in Betracht. Das bloße Bestehen eines reinen Ergebnisabführungsvertrages ohne eine gleichzeitige Beherrschungsvereinbarung, aufgrund derer sich spezifische Risiken für das beherrschte Unternehmen realisieren könnten, rechtfertigt es nicht, von dem Grundsatz der Fokussierung auf das verpflichtete Unternehmen abzuweichen.
Sachverhalt
Der Kläger bezog von dem beklagten Unternehmen seit mehreren Jahren eine Betriebsrente. Zwischen der Beklagten und einem demselben Konzern angehörigen Unternehmen bestand ein Gewinnabführungsvertrag. Dieser sah eine Übernahme der von der Beklagten erwirtschafteten Jahresüberschüsse und Jahresfehlbeträge durch das andere konzernangehörige Unternehmen vor. Ein Beherrschungsvertrag zwischen den beiden Unternehmen bestand daneben nicht.
Ende 2018 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass sie eine Anpassung seiner Betriebsrente zum 1.1.2019 nicht vornehmen werde. Dem widersprach der Kläger widersprach und erhob Klage auf Anpassung seiner laufenden Rente. Zur Begründung machte er geltend, dass wirtschaftliche Gründe der Anpassung nicht entgegenstünden. Aus den Bilanzen des Unternehmens mehrerer vergangener Jahre ergäben sich ausreichend hohe Eigenkapitalverzinsungen und eine insgesamt positive Tendenz. Erst seit 2017 sei eine negative Tendenz ersichtlich, die ihre Ursache aber in dem Gewinnabführungsvertrag habe. Deswegen sei ein Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage der anderen Konzerngesellschaft angezeigt.
Sowohl die Klage als auch die Berufung zum LAG blieben erfolglos.
Entscheidung des BAG
Auch die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg. Das BAG entschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf Anpassung seiner laufenden Betriebsrente nach § 16 Abs. 1 u. 2 BetrAVG hatte.
Das BAG geht von dem Grundsatz aus, dass die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung durch das verpflichtete Unternehmen jeweils insoweit gerechtfertigt ist, wie das Unternehmen dadurch übermäßig belastet und so seine Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Betriebsrentenanpassung gefährdet würde. Von einer Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit ist nach der Rechtsprechung immer dann auszugehen, wenn das Unternehmen entweder keine angemessene Eigenkapitalverzinsung erwirtschaftet oder wenn es nicht mehr über genügend Eigenkapital verfügt. Im vorliegenden Fall könne es, wie das BAG feststellte, allerdings wegen des Gewinnabführungsvertrages nie zum Auf- oder Abbau des Eigenkapitals verpflichteten Unternehmen kommen, da Gewinne abgeführt und Verluste ausgeglichen würden. Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage sei deswegen vorliegend alleine auf die ausreichende Eigenkapitalverzinsung des Unternehmens abzustellen. Eine angemessene Eigenkapitalverzinsung bestehe grundsätzlich aus einem Basiszins und einem Zuschlag für das Risiko, dem das in dem Unternehmen investierte Kapital ausgesetzt sei. Der Basiszins entspreche der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen. Der Risikozuschlag betrage 2,00 Prozent.
Zur Berechnung der Eigenkapitalverzinsung sind nach gefestigter Rechtsprechung des BAG die erzielten Betriebsergebnisse sowie die Höhe des Eigenkapitals heranzuziehen, die jeweils auf der Grundlage der nach handelsrechtlichen Rechnungsregeln erstellten Jahresabschlüsse zu bestimmen sind. Hierzu stellt das BAG in der Entscheidung unter anderem klar, dass eine aus einem Jahresabschluss abgeleitete negative Prognose nicht durch ein „Herausrechnen“ der zu bildenden Pensionsrückstellungen zu korrigieren ist. Maßgeblich für die Betrachtung sei im Übrigen eine Prognose der zukünftigen Eigenkapitalverzinsung zum Zeitpunkt der Beurteilung durch den Arbeitgeber, nicht etwa alleine die durchschnittliche Verzinsung des Eigenkapitals im Betrachtungszeitraum. Negative Tendenzen sind zu berücksichtigen. Das BAG hebt außerdem hervor, dass eine negative Prognose auch nicht durch einen etwaig positiven Ausblick im Lagebericht des Unternehmens infrage gestellt werden kann. Denn der Lagebericht nach § 289 Abs. 1 S. 4 HGB sei nicht Bestandteil des nach handelsrechtlichen Rechnungsregeln erstellten Jahresabschlusses.
Das Argument des Klägers, wegen des Gewinnabführungsvertrages sei hier nicht alleine auf das verpflichtete Unternehmen abzustellen, sondern im Wege des sog. Berechnungsdurchgriffs auf die wirtschaftliche Lage des weiteren Konzernunternehmens, ließ das BAG nicht gelten. Die Idee des Berechnungsdurchgriffes im Konzern beruhe gedanklich auf der Tatsache, dass z.B. ein Beherrschungsvertrag dem herrschenden Unternehmen die Möglichkeit verschaffe, Weisungen auch zum Nachteil der abhängigen Gesellschaft zu erteilen (vgl. § 308 Abs. 1 AktG), indem etwa dem beherrschten Unternehmen konzernspezifische Risiken aufgebürdet würden. Ein Berechnungsdurchgriff sei nach nunmehr aktueller Rechtsprechung nur dann geboten, wenn sich im Einzelfall die mit einem Beherrschungsvertrag verbundene abstrakte Gefahrenlage für das Interesse der Versorgungsberechtigten am Erhalt des realen Wertes ihrer Betriebsrente auch konkret verwirklicht habe. Da im zu entscheidenden Fall der Gewinnabführungsvertrag jedoch nicht mit einem Beherrschungsvertrag verknüpft war (sog. isolierter Gewinnabführungsvertrag), fehlte es bereits an der für einen Durchgriff nötigen Voraussetzung einer Beherrschungsmöglichkeit. Alleine eine enge wirtschaftliche Verknüpfung zweier Unternehmen ließ das Gericht nicht für die Begründung einer beherrschenden Leitungsmacht genügen.
Hinweise
Die Anpassung laufender Betriebsrenten an gestiegene Lebenshaltungskosten nach den Regelungen des § 16 Abs. 1 ff. BetrAVG und die Möglichkeiten des verpflichteten Unternehmens, einen Inflationsausgleich abzulehnen, werfen immer wieder schwierige Rechtsfragen auf. Der geradezu sprunghafte Anstieg der Inflation in Deutschland in jüngster Zeit wird die Rufe nach Betriebsrentenanpassungen nunmehr nochmals lauter werden lassen. Insoweit ist es erfreulich, dass das BAG mit dieser jüngsten Entscheidung gerade jetzt seine Rechtsprechung festigt und konkretisiert. Insbesondere in Bezug auf die konkreten Maßstäbe und Kenngrößen für die Beurteilung der finanziellen Lage des Unternehmens und im Hinblick auf die – inzwischen gesteigerten – Voraussetzungen für einen möglichen Berechnungsdurchgriff schafft die Entscheidung weitere Klarheit. An einer genauen Prüfung aller Umstände des Einzelfalls wird man weiterhin nicht vorbeikommen.