Newsletter Arbeitsrecht Oktober 2015
Elternzeit: Keine Kürzung des Urlaubs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
BAG, Urteil vom 19.5.2015 – 9 AZR 725/13
Gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Voraussetzung ist, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat.
Ein Arbeitnehmer erwirbt seinen Jahresurlaubsanspruch auch dann, wenn er im Urlaubsjahr tatsächlich keine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Urlaubsanspruch hängt alleine vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses ab. Da das Arbeitsverhältnis während einer Elternzeit zwar hinsichtlich seiner Hauptpflichten ruht, aber ansonsten fortbesteht, entsteht auch während der Elternzeit zu Gunsten des jeweiligen Arbeitnehmers ein Urlaubsanspruch.
Sachverhalt
In Anbetracht der ruhenden Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis während der Elternzeit ist es gerechtfertigt, dass der Arbeitgeber den Jahresurlaubsanspruch des Arbeitnehmers für die Zeit der Elternzeit nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG anteilig kürzen kann. Danach kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen.
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall befand sich die Klägerin ab Mitte Februar 2011 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. Mai 2012 in Elternzeit. Am 24. Mai 2012 verlangte die Klägerin von dem beklagten Arbeitgeber ohne Erfolg die Abgeltung ihrer Urlaubsansprüche aus den Jahren 2010 bis 2012. Nachdem die Klägerin ihren Urlaubsabgeltungsanspruch klageweise geltend machte, erklärte die Beklagte im September 2012 die Kürzung des Erholungsurlaubs wegen der Elternzeit (§ 17 Abs. 1 BEEG).
Das BAG bestätigt die Vorinstanz, die den Arbeitgeber dazu verurteilte, eine Urlaubsabgeltung auch für die Zeit während der Elternzeit zu zahlen. Das BAG stellt zunächst klar, dass der Arbeitgeber den Urlaub kürzen kann, aber nicht zwingend muss. Will er seine Befugnis ausüben, ist eine rechtsgeschäftliche Erklärung erforderlich, um den Urlaubsanspruch herabzusetzen. Diese Erklärung muss dem Arbeitnehmer zugehen.
Kürzung von Urlaub während der Elternzeit setzt Erklärung des Arbeitgebers voraus
Die bisherige BAG-Rechtsprechung sah den Urlaubsabgeltungsanspruch als Äquivalent zum Erholungsurlaub. Danach teilte der Urlaubsabgeltungsanspruch das rechtliche Schicksal des Urlaubsanspruchs (sog. Surrogatstheorie). Dies hatte zur Folge, dass die Kürzungsbefugnis des § 17 BEEG auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden konnte. Nachdem das BAG die Surrogatstheorie aufgab, stellt der Urlaubsabgeltungsanspruch einen – vom Urlaubsanspruch grdsl. losgelösten – reinen Geldanspruch dar. Folgerichtig geht das BAG im vorliegenden Fall davon aus, dass die Erklärung der Kürzung des Urlaubs während der Elternzeit einen überhaupt noch bestehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers voraussetzt. Daran fehlt es aber, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht zu Gunsten des Arbeitnehmers ein Urlaubsabgeltungsanspruch. Die Kürzung des Abgeltungsanspruchs sieht § 17 BEEG aber gerade nicht vor. Insoweit besteht auch kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandene Zahlungsansprüche von Arbeitnehmern kürzen zu dürfen.
Rechtsprechungsänderung des BAG: Kürzung von Urlaub während der Elternzeit nur bei noch bestehenden Urlaubsanspruch möglich
Folglich konnte der Arbeitgeber in dem vom BAG zu entscheidenden Fall nicht mehr mit Erfolg die Kürzung des Urlaubs während der Elternzeit nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG erklären. Das Arbeitsverhältnis zur Klägerin endete am 15. Mai 2012. Zu diesem Zeitpunkt entstand zu ihren Gunsten ein Abgeltungsanspruch. Die im September 2012 und damit knapp vier Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärte Kürzung erfolgte zu spät.
Fazit
Arbeitgeber sollten nicht vergessen, von ihrem Kürzungsrecht des Urlaubs während der Elternzeit Gebrauch zu machen. Dies erfordert eine rechtsgeschäftliche Erklärung gegenüber dem jeweiligen Arbeitnehmer. Der nachweisliche Zugang der (am besten schriftlichen) Erklärung sollte sichergestellt werden. Den möglichen Kürzungsumfang erfahren Arbeitgeber bereits auf Grund des schriftlichen Verlangens nach Elternzeit von Seiten der Arbeitnehmer (vgl. § 16 Abs. 1 BEEG). Wichtig ist bei einer in der Praxis häufig vorkommenden nachträglichen Verlängerung der Elternzeit, eine erneute Kürzung des Erholungsurlaubs entsprechend der verlängerten Elternzeit zu erklären. Wird das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt, können Arbeitgeber noch während der einzuhaltenden Kündigungsfristen (vgl. § 19 BEEG) bzw. vor dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages von ihrer Kürzungsbefugnis Gebrauch machen.