Update Arbeitsrecht Oktober 2023
Kündigung eines Lehrers wegen „Impfung macht frei“-Videos
LAG Berlin-Brandenburg 15.06.2023 - 10 Sa 1143/22
Mit Urteil vom 15. Juni 2023 (Az. 10 Sa 1143/23) hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Unwirksamkeit der Kündigung eines Lehrers festgestellt, der ein YouTube-Video hochgeladen hatte, welches ein Bild des Tores eines Konzentrationslagers mit der Aufschrift „Impfung macht frei“ zeigte. Es gab jedoch dem von dem Land Berlin gestellten Auflösungsantrag statt und löste das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 72.000,00 Euro auf, da dem Land Berlin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Lehrer aufgrund des Videos nicht zumutbar sei.
Sachverhalt
Der Kläger war seit dem Jahr 2008 bei dem beklagten Land Berlin als Lehrer beschäftigt. Er veröffentlichte regelmäßig Videos und sonstige Beiträge bei YouTube und Telegram.
Im Juli 2021 veröffentlichte der Kläger ein Video bei YouTube, mit dem er die Impfpolitik der Bundesrepublik Deutschland kritisierte. Das Video zeigte zu Anfang das Tor eines Konzentrationslagers, auf dem die originale Aufschrift des Tores „Arbeit macht frei“ gegen die Aufschrift „Impfung macht frei“ ersetzt war. Zuvor hatte der Kläger seine Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert, seinem YouTube-Kanal zu folgen und hatte sich in seinen anderen YouTube-Videos als Lehrer aus Berlin vorgestellt, weshalb er bereits im Januar 2021 abgemahnt worden war. In der Folgezeit hörte das beklagte Land den Personalrat zu der beabsichtigten Kündigung an und nannte diesem dem Screenshot des Eingangsbildes des Videos mit dem Konzentrationslager und der Aufschrift „Impfung macht frei“ als Kündigungsgrund. Im August 2021 kündigte das beklagte Land Berlin sodann das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 31. März 2022 mit der Begründung, in dem Video werde das staatliche Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleichgesetzt und somit die Unrechtstaten der Nationalsozialisten verherrlicht und deren Opfer missachtet. Der Kläger vertrat dagegen die Ansicht, in der Veröffentlichung des Videos liege keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung, da es sich um ein rein privates Video ohne Bezug zu seinem Arbeitsverhältnis handele, mit dem er scharfe Kritik an der Impfpolitik der Bundesregierung äußere, mit der Folge, dass das Video durch die Meinungs- und Kunstfreiheit aus Art. 5 GG geschützt sei.
Im Juli 2022 veröffentlichte der Kläger ein weiters Video auf seinem YouTube-Kanal, in dem er äußerte, dass „die totalitären Systeme von Stalin, Mao und Hitler zusammen nicht so viel Leid und Tod verursacht [hätten] wie die Corona-Spritz-Nötiger“. Daraufhin kündigte das beklagte Land Berlin das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nochmals außerordentlich fristgerecht und hilfsweise ordentlich fristgerecht. Zu diesem zweiten Video vertrat der Kläger die Auffassung, es handele sich lediglich um ein wütendes Statement, das ausschließlich seine persönliche Meinung enthielte und dem beklagten Land als Arbeitgeber nicht zugeordnet werden könne.
Der Kläger erhob gegen beide Kündigungen der Beklagten Kündigungsschutzklage. Für den Fall der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigungen beantragte das beklagte Land hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von ca. 16.000,00 Euro aufzulösen.
Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage ab und erachtete die erste außerordentliche Kündigung für wirksam. Das erste Video stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocaust dar und sei daher nicht mehr durch die Meinungs- und Kunstfreiheit geschützt. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers könne dem beklagten Land daher nicht zugemutet werden. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein.
Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
Die Berufung des Klägers hatte zwar dahingehend Erfolg, dass das Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigungen feststellte. Gleichwohl löste das Landesarbeitsgericht das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 72.000,00 Euro zum 31. März 2022 auf.
I. Unwirksamkeit der Kündigungen
Grund für die Unwirksamkeit der Kündigungen sei die fehlerhafte Anhörung des Personalrates gewesen. Dieser sei von dem beklagten Land nicht umfassend, sondern lediglich über einzelne Aspekte der im gerichtlichen Verfahren erhobenen Vorwürfe unterrichtet worden, indem ihm lediglich der Screenshot des Eingangsbildes des ersten Videos vorgelegt und als Kündigungsgrund genannt wurde. Auch teilte das beklagte Land dem Personalrat nicht mit, worin es den konkreten Bezug der Äußerungen des Klägers zu dessen Arbeitsverhältnis sah.
Nach § 128 BPersVG muss der Arbeitgeber dem Personalrat diejenigen Gründe mitteilen, die aus seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind. Diesen Sachverhalt muss er unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Personalrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann. Teilt der Arbeitgeber objektiv erhebliche Tatsachen dem Personalrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung nicht oder zunächst nicht stützen will, dann ist die Anhörung ordnungsgemäß, da eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Anhörung und Unwirksamkeit der Kündigung nach 128 BPersVG führt. Für die Kündigung wesentliche Aspekte, die dem Personalrat nicht mitgeteilt worden sind, begründen jedoch eine unvollständige und damit fehlerhafte Anhörung und können im Kündigungsschutzprozess daher nicht verwendet werden (vgl. BAG Urt. v. 24.3.2011 - 2 AZR 790/09).
So lange nicht durch Tatsachen tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten festgestellt werden könne, dass es dem Kläger mit seinen Videos einzig und alleine um die Verharmlosung der Unrechtstaten sowie der Politik des Nationalsozialismus mit den Auswirkungen auf die Opfer des Nationalsozialismus gehe, seien die von dem Kläger in seinen Videos gemachten Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Zwar handele es sich bei dem von dem Kläger verwendeten Bild des Konzentrationslagers um einen nicht nur geschmacklosen, sondern unsäglichen, völlig unangemessenen Vergleich, was an seiner Eignung als Lehrer erheblich zweifeln lasse. Jedoch habe der Kläger letztlich einen Vergleich zwischen dem damaligen Werben der Bundesrepublik für eine Impfbereitschaft in der Pandemie und dem System der Konzentrationslager im Nationalsozialismus gezogen. Die Videos stellten zwar eine massive Verharmlosung der Unrechtstaten sowie der Politik des Nationalsozialismus dar, seien jedoch gleichermaßen als geschützte Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG anzusehen. Denn auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik sei vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt. Außerhalb der Schule unterlägen die Meinungsäußerungen von Lehrkräften keinem anderen Grundrechtsschutz als die Meinungsäußerungen sonstiger, nicht als Lehrer tätiger Menschen.
II. Begründetheit des Auflösungsantrages
Allerdings hielt das Landesarbeitsgericht den von dem beklagten Land gestellten Auflösungsantrag für begründet. Dem beklagten Land sei die Fortsetzung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses aufgrund der Äußerungen in seinen YouTube-Videos nicht zumutbar. Daher löste das Landesarbeitsgericht das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gemäß §§ 9 und 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 72.000,00 Euro zum 31. März 2022 auf.
Praxishinweis
Dem Landesarbeitsgericht ist dahingehend zuzustimmen, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit als zentraler Bestandteil einer demokratischen Verfassung grundsätzlich für jedermann Geltung beansprucht.
Bei der Deutung des Urteils ist jedoch Vorsicht geboten:
So sieht das Landesarbeitsgericht in erster Linie die fehlerhafte Anhörung des Personalrates als Grund für die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen an. Aufgrund der fehlerhaften Personalratsanhörung konnte die Behauptung des Klägers, bei seinen Videos handele es sich um eine Kritisierung der Impfpolitik der Bundesregierung und damit letztlich um eine Meinungsäußerung, nicht mit der erforderlichen Sicherheit widerlegt werden.
Die Äußerungen des Klägers sind daher grundsätzlich sehr wohl dazu geeignet, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dies räumt das Landesarbeitsgericht auch selbst ein und sieht daher eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für das Land als unzumutbar an.
Wäre die Anhörung des Personalrates daher vollständig vorgenommen worden, hätte möglicherweise bereits die erste Kündigung Erfolg gehabt.