28.11.2019Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht November 2019

Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei einer stufenweisen Wiedereingliederung

BAG, Urt. v. 16.05.2019 – 8 AZR 530/17

Arbeitgeber können dazu verpflichtet sein, an der stufenweisen Wiedereingliederung schwerbehinderter Arbeitnehmer in das Erwerbsleben mitzuwirken. Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht kann Schadensersatzansprüche des betroffenen Arbeitnehmers begründen. Ausnahmsweise können Arbeitgeber jedoch berechtigt sein, ihre Mitwirkung zu verweigern und eine Beschäftigung des schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Beschäftigten abzulehnen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer der jeweilige Arbeitgeber davon ausgehen durfte, dass dem Arbeitnehmer aus der Wiedereingliederungsmaßnahme nachteilige gesundheitliche Folgen entstehen. 

Sachverhalt

Der Kläger, der mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 Prozent als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist, war bei der Beklagten seit 1991 beschäftigt, zuletzt in der Position des Bauleiters. Von August 2014 bis Anfang März 2016 war er arbeitsunfähig erkrankt. In einem Gespräch Ende Mai 2015 erklärte der Kläger, dass er bei Rückkehr nach Ende seiner Arbeitsunfähigkeit wieder an seinem bisherigen Arbeitsplatz als Bauleiter eingesetzt werden wolle. Eine im Oktober 2015 ausgestellte betriebsärztliche Beurteilung befürwortete eine stufenweise Wiedereingliederung zur vorsichtigen Heranführung an die Arbeitsfähigkeit, jedoch nur unter erheblichen Einschränkungen in der Tätigkeit. Der von dem Arzt ausgestellte Plan sah die Wiedereingliederung in die zuletzt ausgeübte Tätigkeit vor, ohne jedoch Angaben zu etwaigen Einschränkungen zu machen. Die Beklagte lehnte den Antrag auf stufenweise Wiedereingliederung des Klägers ab dem 16. November 2015 bis zum 15. Januar 2016  unter Hinweis auf diese Einschränkungen ab. Dem erneuten Antrag des Klägers auf stufenweise Wiedereingliederung ab dem 4. Januar 2016 bis zum 4. März 2016 stimmte die Beklagte zu, nachdem dieser Antrag zusätzliche Informationen zum Genesungsverlauf des Klägers enthielt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz seines Verdienstausfalls für die Zeit der unterbliebenen Beschäftigung. Das ArbG wies die Klage ab, das LAG gab der Berufung im Wesentlichen statt. Hiergegen wendete sich die Beklagte mit ihrer Revision zum BAG.

Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei schwerbehinderten Beschäftigten

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das BAG entschied, dass die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, den Kläger entsprechend der Angaben seines ersten Antrages auf Wiedereingliederung zu beschäftigen. Aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX a.F. könne sich eine arbeitgeberseitige Verpflichtung ergeben, an einer stufenweisen Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Beschäftigten mitzuwirken und den Beschäftigten entsprechend eines ärztlichen Wiedereingliederungsplans zu beschäftigen. Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht könne einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers begründen. Voraussetzung für einen solchen Anspruch sei jedoch, dass der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vorlege, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, mögliche Beschäftigungsbeschränkungen, Umfang der Arbeitszeit sowie Dauer der Maßnahme ergeben. Diese Voraussetzungen habe der Kläger durch Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung erfüllt.

Ausnahmsweise: Arbeitgeber war berechtigt, die Wiedereingliederung abzulehnen

Der Arbeitgeber sei in dem vorliegenden Fall jedoch aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise dazu berechtigt gewesen, den ersten Wiedereingliederungs-Antrag des Klägers abzulehnen. Aufgrund der ärztlichen Beurteilung und der darin enthaltenen weitreichenden Einschränkungen habe der Arbeitgeber begründete Zweifel daran haben dürfen, dass der Gesundheitszustand des Klägers eine Wiedereingliederung zulassen würde bzw. er habe sogar befürchten müssen, dass dem Kläger hierdurch nachteilige gesundheitliche Folgen erwachsen könnten. Ein Schadensersatzanspruch scheide demnach aus.

Fazit

Die Entscheidung des Senats reiht sich nahtlos in die bisherige Rechtsprechung des BAG zur Wiedereingliederung schwerbehinderter Beschäftigter ein. Sofern die vorgelegte ärztliche Bescheinigung gewisse Voraussetzungen erfüllt, kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, an einer stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken. Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflicht verpflichtet dem Grunde nach zum Schadensersatz. 

Neu ist, dass das BAG erstmals über die in § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX a.F. geregelten Fälle hinaus ein Weigerungsrecht des Arbeitgebers anerkennt, aufgrund besonderer Umstände seine Mitwirkung an einer stufenweisen Wiedereingliederung abzulehnen. Es wird in Zukunft also stets zu prüfen sein, ob begründete Zweifel daran, dass die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben im konkreten Fall mit nachteiligen gesundheitlichen Folgen für den betroffenen Arbeitnehmer erfolgen kann, ausgeräumt sind. 

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