06.03.2024Fachbeitrag

Update Datenschutz Nr. 172

Neues OLG-Urteil: Unterliegt die private E-Mail-Nutzung dem Fernmeldegeheimnis?

In einem erst kürzlich veröffentlichten Urteil des OLG Thüringen vom 14. September 2021 (Az. 7 U 521/21) hat das Gericht entschieden, dass die E-Mail-Kommunikation der Beschäftigten dem Fernmeldegeheimnis unterliegt, wenn der Arbeitgeber die Nutzung von Telekommunikation für private Zwecke gestattet.

Ist damit der schon lange währende Meinungsstreit zu dieser Frage geklärt? Nein. Die eigentliche Frage ließ das Gericht offen.

Sachverhalt

Der Verfügungskläger (im folgenden Arbeitnehmer) war seit 2002 bei der Verfügungsbeklagten (im folgenden Arbeitgeberin) als Vorstandsmitglied tätig. Die private Nutzung des dienstlichen E-Mail-Postfachs, das von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellt wurde, war ausdrücklich erlaubt. Ebenso gab es eine interne Richtlinie, in der die Arbeitgeberin ihren Status als Telekommunikationsdienstanbieter selbst anerkannt und sich verpflichtet hat, das Fernmeldegeheimnis zu wahren. Am 7. Februar 2020 wurde dem Arbeitnehmer gekündigt.

Mit Schreiben vom 15. April 2020 stützte die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer die Kündigung auch auf eine erfolgte Einsicht und Auswertung des dienstlichen E-Mail-Postfachs des Arbeitnehmers und dessen Zugriffsverhalten mit Weiterleitung verschiedener E-Mails an seine private E-Mail-Adresse sowie an die seiner Ehefrau nach Ausspruch der Kündigung vom 7. Februar 2020.

Im Wege der einstweiligen Verfügung wurde der Arbeitgeberin der Zugriff auf das E-Mail-Postfach ohne Zustimmung des Arbeitnehmers, sowie die weitere Verarbeitung der dort enthaltenen Informationen untersagt. Zudem wurde die Arbeitgeberin dazu verpflichtet, die Verarbeitung der bereits erlangten Daten durch technische und organisatorische Maßnahmen zu beschränken. Die Arbeitgeberin erhob Widerspruch und das LG hob die einstweilige Verfügung daraufhin auf.

Nach Ansicht des LG bestand kein Anspruch auf Unterlassung nach § 44, 88 TKG (Telekommunikationsgesetz). Der Arbeitnehmer wendete sich mit der Berufung gegen diese Entscheidung und hatte Erfolg.

Sind Arbeitgeber dem Fernmeldegeheimnis verpflichtet?

Die Einordnung, ob ein Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Arbeitnehmern, ein Diensteanbieter im Sinne des TKG ist und somit dem Fernmeldegeheimnis verpflichtet ist, wenn dieser seinen Beschäftigten das dienstliche E-Mail-Postfach oder den Internetzugang zu privaten Zwecken erlaubt, ist in der juristischen Literatur sowie in der Rechtsprechung sehr umstritten.

Während in der arbeitsgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung in den vergangenen Jahren zu beobachten war, dass eine Tendenz dahingehend bestand, Arbeitgeber als Telekommunikationsdienstleister eher abzulehnen, war die überwiegende Literatur der Ansicht, dass Arbeitgeber Diensteanbieter seien.

Diensteanbieter ist nach dem dem Urteil zugrundeliegenden § 3 Nr. 6 TKG (a. F.), jeder, der ganz oder teilweise geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt. Die geschäftsmäßige Erbringung von Telekommunikationsdiensten ist nach § 3 Nr. 10 TKG das nachhaltige Angebot von Telekommunikation für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht.

Argumente, den Arbeitgeber nicht als Diensteanbieter anzusehen, sind z. B. die Ansicht, dass der Arbeitgeber häufig keine geschäftsmäßige Telekommunikationsdienstleistung erbringt (so u. a. zutreffend das LAG Niedersachsen mit Urteil vom 31. Mai 2010 - 12 Sa 875/09 und das LAG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 16. Februar 2011 – 4 Sa 2132/10). Des Weiteren wird teilweise aufgegriffen, dass das TKG der Umsetzung der sog. ePrivacy-Richtlinie RL 2002/58/EG diene, welche öffentliche Kommunikationsnetze regulieren soll. Kommunikationsdienste eines Arbeitgebers seien jedoch nicht öffentlich, sondern nur für Beschäftigte während der Arbeitszeit zugänglich. Mitarbeiter seien auch nicht schutzbedürftig wie der Nutzer öffentlicher Kommunikationsnetze, weil sie nicht darauf vertrauen können, dass die Inhalte der Kommunikation vertraulich bleiben. Grund dafür seien die bekannten berechtigten Interessen des Arbeitgebers wie z. B. Archivierungspflichten nach § 238 Abs. 2 HGB. Zudem liege keine Geschäftsmäßigkeit vor, weil diese „in der Regel“ gegen Entgelt erbracht werden müsse. Diese Regel werde jedoch in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man den unentgeltlich leistenden Arbeitgeber als Telekommunikationsanbieter ansehe.

Es sprechen jedoch auch Gründe dafür, den Arbeitgeber als Diensteanbieter anzusehen, so dass er dem Fernmeldegeheimnis unterliegt. Häufig werden historische Gründe für diese Ansicht genannt. So wird z. B. auf die Gesetzesmaterialien zu der Vorläufervorschrift (§ 85 TKG-1996) verwiesen in der es wörtlich heiße: „Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen damit [...] Nebenstellenanlagen in Betrieben und Behörden, soweit sie den Beschäftigten zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt sind.“ Zudem sei Sinn und Zweck des TKG auch die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses, so dass der Schutz großzügig zu gewährleisten sei. Für die Ansicht sei außerdem maßgeblich, dass sonst dem Umstand, dass bei erlaubter bzw. geduldeter privater Nutzung eines E-Mail-Accounts der Anschluss nicht mehr ausschließlich nur für eigene Zwecke des Arbeitgebers bereitgestellt werde, nicht ausreichend Rechnung getragen werde. Das Argument der fehlenden Entgeltlichkeit greife nach der Ansicht ebenfalls nicht, denn es werde verkannt, dass §§ 88 TKG, 206 StGB, 91 ff. TKG nicht auf die Legaldefinition in § 3 Nr. 24 Bezug nähmen und damit dieses Merkmal für deren Anwendung keine Rolle spielt.

Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage existiert nicht und auch die Obergerichte haben sich lange nicht damit auseinandersetzen müssen.

Auch das OLG Thüringen musste sich für keine Seite entscheiden. Die Tatsache, dass die Arbeitgeberin durch die interne Richtlinie ihren Status als Telekommunikationsdienstanbieter selbst anerkannt hat, führe nach Ansicht des Gerichts dazu, dass sie einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und daran gebunden ist.

Neue Rechtslage durch TKG-Reform

Seit dem 1. Dezember 2021 gilt das neue TKG. Danach ist die Anforderung der „Geschäftsmäßigkeit“ weggefallen. Ob der Gesetzgeber damit bewusst die Entscheidung treffen wollte, Arbeitgeber als Telekommunikationsdienstleister anzusehen, wenn sie ihren Angestellten E-Mail, Internetzugang und Telefone bereitstellen, bleibt fraglich. Die Gesetzesbegründung schweigt dahingehend.

Auch der vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr vorgelegte Entwurf zur Änderung des TTDSG (Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz; wir berichteten in unserem Update Datenschutz Nr. 171), enthält keine Antwort auf diese Frage.

Fazit

Die neue Entscheidung des OLG Thüringen verschafft der Frage der Anwendbarkeit des Fernmeldegeheimnisses auf Arbeitgeber zwar wieder mal neue Aufmerksamkeit, ändert aber inhaltlich nichts. Es sprechen weiter gute Argumente gegen die Anwendbarkeit.

Dennoch: Sollten Unternehmen die E-Mail-Postfächer ihrer Arbeitnehmer wegen z. B. konkretem Verdacht auf Missbrauch oder auf Verrat von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen einsehen wollen, sollten sie bis dahin darauf achten, dass die private Nutzung von E-Mail-Postfächern ausdrücklich nicht gestattet wird. Jedenfalls sollte in den internen Richtlinien sich der Arbeitgeber nicht als Telekommunikationsanbieter selbst anerkennen und sich nicht zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses verpflichten.

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