09.12.2015Fachbeitrag

Newsletter Gesellschaftsrecht Dezember 2015

Qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarungen

BGH, Urteil vom 5. März 2015 – IX ZR 133/14

Rangrücktrittsvereinbarungen sind üblicher Bestandteil vieler Unternehmensfinanzierungen. Das 2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) hat in der Praxis allerdings zu verschiedenen Unsicherheiten geführt, auch über das GmbH-Recht hinaus. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) erläutert nunmehr Voraussetzungen und Rechtsfolgen von qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarungen. Bestehende Rechtsunsicherheiten werden dadurch beseitigt.

BGH schränkt die Aufhebbarkeit von qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarungen ein


Nimmt eine Gesellschaft ein Darlehen auf, ist dieses in der Bilanz grundsätzlich zu passivieren. Mithin kann jedes der Gesellschaft gewährte Darlehen zur Überschuldung (§ 19 InsO) beitragen. Ein einfacher Rangrücktritt, wonach ein Gläubiger mit seiner Forderung hinter die Forderungen aller anderen Gläubiger zurücktritt, ändert hieran nichts. Etwas anderes gilt hingegen bei Vereinbarung eines qualifizierten Rangrücktritts, wenn also die gegen eine Gesellschaft gerichtete Rückzahlungsforderung für die Dauer der Krise der Gesellschaft nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen der Gesellschafter getilgt werden darf, dieser Rangrücktritt unbefristet ist und auch etwaige Sicherheiten erfasst. Dann wird das Darlehen wie statutarisches Kapital behandelt und die Verpflichtung zur Darlehensrückzahlung bleibt in der Überschuldungsbilanz der Gesellschaft außer Betracht, wodurch eine Insolvenz insoweit vermieden werden kann.

Forderung eines Gesellschafters oder eines außenstehenden Dritten

Der BGH hält in diesem Zusammenhang zunächst fest, dass nicht zwischen Rückzahlungsansprüchen eines Gesellschafters und eines Dritten unterschieden werde. Im Einklang mit der bisherigen herrschenden Meinung seien die maßgeblichen insolvenzrechtlichen Vorschriften (§§ 19 Abs. 2 Satz 2, 39 Abs. 2 InsO) über ihren Wortlaut hinaus auch auf einen Rangrücktritt mit einem außenstehenden Dritten anwendbar. Dies betreffe beispielsweise mezzanine (hybride) Finanzierungsformen, durch die Kapital regelmäßig ohne besondere Sicherung gewährt, dafür aber das erhöhte Risiko durch einen entsprechenden Zins vergütet werde.

Kein Entfallen der Passivierungspflicht ohne vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre

Ferner stellt der BGH klar, dass der konkret vereinbarte Rangrücktritt zur Abwendung einer Insolvenz dauerhaft auch die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen müsse (vor-insolvenzliche Durchsetzungssperre). Anderenfalls würde die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) nicht entfallen. Eine Forderung könne nicht vor Verfahrenseröffnung durchsetzbar sein, danach aber ausgeblendet werden, wenn es um die Feststellung der Überschuldung gehe. Damit hat der BGH einer nach dem MoMiG vertretenen, mit dem vermeintlich einschränkenden Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO argumentierenden Ansicht („Nachrang im Insolvenzverfahren“) eine klare Absage erteilt.

Rangrücktrittsvereinbarung ist verfügender Schuldänderungsvertrag

Der BGH erläutert zudem, dass eine Rangrücktrittsvereinbarung weder ein bedingter Forderungserlass noch eine Stundungsvereinbarung sei. Diese bisher vertretenen Auffassungen würden zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen (z. B. wegen des ungewollten Wegfalls von akzessorischen Sicherheiten). Vielmehr sei eine Rangrücktrittsvereinbarung ein verfügender Schuldänderungsvertrag. Die zugrunde liegende Forderung werde mit dinglicher Wirkung dahingehend umgewandelt, dass eine Befriedigung nur aus freiem, nicht zur Schuldendeckung benötigten Vermögen der Gesellschaft gestattet ist. Es werde somit lediglich die Rangfolge, nicht jedoch der Bestand der Forderung geändert, so dass etwaige Sicherungsrechte nicht berührt würden.

Rangrücktrittsvereinbarung ist Vertrag zugunsten Dritter


Außerdem qualifiziert der BGH Rangrücktrittsvereinbarungen explizit als Vertrag zugunsten Dritter. Dies wurde bisher teilweise mit Verweis darauf bezweifelt, dass die Begünstigung der übrigen Gläubiger lediglich ein Reflex des eigentlichen Zwecks der Rangrücktrittsvereinbarung sei, eine Insolvenz der Gesellschaft zu vermeiden. Für den BGH ist der Parteiwille bei Abschluss der Rangrücktrittsvereinbarung demgegenüber notwendigerweise auch auf eine Begünstigung der übrigen Gläubiger der Gesellschaft gerichtet. Die Begründung eines selbständigen Rechts der weiteren Gläubiger werde bei einem Rangrücktritt deshalb stets miterklärt. Unerheblich sei insoweit, dass diese weiteren Gläubiger gegebenenfalls erst nachträglich bestimmt werden könnten.

Eingeschränkte Möglichkeit zur Aufhebung der Rangrückrittsvereinbarung

Konkret erlangten die weiteren Gläubiger durch die Vereinbarung eines Rangrücktritts eine gesicherte Rechtsposition. Diese sei für die Suspendierung der Insolvenzantragspflicht erforderlich. Aus diesem Grund könne eine Rangrücktrittsvereinbarung gegebenenfalls auch nicht mehr frei ohne Mitwirkung sämtlicher, durch die Rangrücktrittsvereinbarung begünstigten Gläubiger aufgehoben werden. Allerdings gehe das durch den Rangrücktritt begründete Recht des Dritten nur soweit, wie es sich aus der konkreten Rangrücktrittsvereinbarung ergebe. Im entschiedenen Fall zog der BGH insoweit die durch Auslegung bestimmte Abrede der Parteien heran, dass die von der qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarung erfasste Forderung aus freiem (ungebundenen) Vermögen der Gesellschaft zurückgezahlt werden dürfe. Hieraus folgerte der BGH, dass ein Recht der weiteren Gläubiger nicht begründet worden sei, solange das Vermögen der Gesellschaft sämtliche Verbindlichkeiten gedeckt habe. Mithin wäre eine bilaterale Aufhebung der Rangrücktrittsvereinbarung ohne Mitwirkung der weiteren Gläubiger möglich gewesen, sofern eine Krise der Gesellschaft noch nicht vorgelegen hätte oder bereits beseitigt gewesen wäre. Im entschiedenen Fall hätten diese Voraussetzungen allerdings nicht (mehr) vorgelegen.

Empfehlung für die Praxis

In der Praxis ist bei der Gestaltung von Rangrücktrittsklauseln deshalb darauf zu achten, dass sich aus den gewählten Formulierungen auch durch Auslegung keine weitergehenden Rechte Dritter ergeben, welche die freie Aufhebbarkeit von qualifizierten Rangrücktrittserklärungen vor der Krise weiter einschränken. Nur dann ist außerhalb einer Krise auch weiterhin die Aufhebung von qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarungen ohne die Mitwirkung sämtlicher weiterer Gläubiger der Gesellschaft möglich.

Rückzahlung in der Krise führt zu Bereicherungsanspruch und Schenkungsanfechtung

Schließlich folgert der BGH aufgrund der erforderlichen vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre des vertraglichen Rangrücktritts konsequent, dass ein Rückzahlungsanspruch in der Krise der Gesellschaft nicht bestehe und eine Rückzahlung deshalb auch nicht verlangt werden könne. Zahlungen in dieser Phase erfolgten daher ohne Rechtsgrund und seien mithin als Leistungen auf eine Nichtschuld zu qualifizieren. Diese könnten somit grundsätzlich bereicherungsrechtlich zurückgefordert werden (§§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 814 BGB). Aus demselben Grund führe eine Rückzahlung während der Krise der Gesellschaft im späteren Insolvenzfalle außerdem zu einem Anfechtungsrecht wegen unentgeltlicher Leistung, für das eine Anfechtungsfrist von vier Jahren ab Insolvenzantragstellung gilt (§ 134 InsO).

Fazit

Die Klarstellungen zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen von qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarungen sind zu begrüßen. Wegen der Einordnung als Vertrag zugunsten Dritter ist künftig ein besonderes Augenmerk auf die durch die Vereinbarung des qualifizierten Rangrücktritts zugleich begründeten Rechte anderer Gläubiger zu legen. Zudem müssen sich die Beteiligten künftig bewusst sein, dass die Aufhebung einer qualifizierten Rangrücktrittserklärung in der Krise der Gesellschaft der Mitwirkung aller weiterer Gläubiger der Gesellschaft bedarf.

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