Update Arbeitsrecht Januar 2024
Rechtsschutz gegen Arbeitskampfmaßnahmen am Beispiel des GDL-Streiks vom 08. Januar 2024
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteile vom 09. Januar 2024 – 10 LGa 15/24, 10 LGa 16/24 (bislang nur als Pressemeldung vorliegend)
Der Tarifkonflikt zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Deutschen Bahn hält das Land weiter in Atem. Versuche des Arbeitgeberverbandes der Deutsche-Bahn-Unternehmen (AGV MOVE), die Gewerkschaft auf dem Gerichtsweg zu stoppen, sind bislang gescheitert. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) wies den Antrag auf Untersagung des dreitätigen Ausstandes zu Beginn dieses Jahres zurück. Der Fall zeigt exemplarisch, warum es nur selten gelingt, Arbeitskämpfe mithilfe einer einstweiligen Verfügung zu stoppen.
Entscheidung und Einordnung; geringe Kontrolldichte
Arbeitskampfrecht ist Richterrecht. Gesetzliche Regelungen existieren kaum. Eine Stütze findet der Arbeitskampf aber im Grundgesetz. Die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet auch die Arbeitskampffreiheit als „Hilfsinstrument der Tarifautonomie“. Ohne das Recht zum Streik wären Tarifverhandlungen, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer berühmt gewordenen Entscheidung, nicht mehr als „kollektives Betteln“ der Arbeitnehmer. Da sich das Recht zum Arbeitskampf aus der Tarifautonomie ableitet, dürfen Streiks auch nur von einem tariffähigen Verband geführt werden.
Die Tariffähigkeit der GDL freilich wird nun zunehmend in Zweifel gezogen, seit die Gewerkschaft im Sommer 2023 mit der Fair train eG ein Leiharbeitsunternehmen gründete, das sich zum Ziel gesetzt hat, Lokführer von den Bahnunternehmen abzuwerben, nur um sie hiernach – zu besseren Konditionen – „zurückzuverleihen“. Doch nicht nur das: Die GDL hat mittlerweile auch Tarifverträge mit der Fair train eG abgeschlossen. Rechtlich problematisch erscheint das vor allem deshalb, weil Tariffähigkeit „Gegnerunabhängigkeit“ voraussetzt. Wer zugleich Arbeitgeber und Gewerkschaft ist, kann das, so scheint es, nicht ohne Weiteres für sich in Anspruch nehmen.
Der AGV MOVE, der die Tariffähigkeit der GDL derzeit in einem speziellen Verfahren nach § 97 ArbGG klären lässt, berief sich erwartungsgemäß auch im arbeitskampfrechtlichen Verfügungsverfahren auf die fehlende Gegnerunabhängigkeit. Das Hessische LAG ließ den Einwand jedoch nicht gelten. Eine Unterlassungsverfügung könne nur ergehen, wenn der Arbeitskampf nicht nur rechtswidrig, sondern „offensichtlich rechtswidrig“ sei. Eine offensichtliche Tarifunfähigkeit der GDL sei jedoch nicht gegeben.
Der Prüfungsmaßstab der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ ist einer der wesentlichen Gründe, warum kampfrechtliche Verfügungsverfahren nur selten Erfolg versprechen. Begründet wird er mit dem Fakten schaffenden Charakter einer Unterlassungsverfügung. Dabei gilt umgekehrt das Gleiche: Auch eine Zurückweisung des Antrags führt zu unwiederbringlichen Schäden – nur eben aufseiten des Unternehmens, nicht selten auch aufseiten der Allgemeinheit. Die Literatur lehnt das Kriterium der offensichtlichen Rechtswidrigkeit deshalb zu Recht überwiegend ab.
Wenig überraschend war denn auch, dass das Hessische LAG den Streik nicht als unverhältnismäßig ansah. Seit dem Grundsatzbeschluss des BAG aus dem Jahr 1971 wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwar als zentraler Rechtmäßigkeitsmaßstab des Streiks angesehen. Zumindest rhetorisch hält das BAG den Grundsatz auch nach wie vor hoch. Faktisch ist er jedoch weitgehend entwertet, seit das BAG der Gewerkschaft eine „Einschätzungsprärogative“ bei der Frage zugesteht, ob das Kampfmittel mit Blick auf das Streikziel geeignet und erforderlich ist. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung beschränkt sich heute deshalb im Ergebnis auf die Angemessenheitsprüfung. Handelt es sich – wie beim Bahn-Streik – um einen Arbeitskampf im Bereich der Daseinsvorsorge, gelten hier zwar verschärfte Anforderungen (etwa Vorhaltung eines Notdienstes). Dennoch sind kampfrechtliche Unterlassungsverfügungen aufgrund von Unverhältnismäßigkeit rar. Das Hessische LAG ließ eine „wirtschaftliche Überforderung“ jedenfalls nicht als Argument für einen unverhältnismäßigen Arbeitskampf gelten.
So scheiterte der AGV MOVE mit seinem Antrag auf ganzer Linie. Im Vorfeld des darauffolgenden sechstätigen Bahn-Streiks, der am 25. Januar 2024 begann, hat der Arbeitgeberverband die gerichtliche Anfechtung des Arbeitskampfes dann auch gar nicht erst versucht.
Fazit
Streiks werden letztlich im einstweiligen Rechtsschutz entschieden – und hier zumeist zugunsten der Gewerkschaft. Die Kontrolldichte von Arbeitskämpfen ist äußerst gering. Aus Sicht zahlreicher Arbeitsgerichte kann nur der offensichtlich rechtswidrige Streik untersagt werden. Hinzu kommt, dass die Gerichte die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur eingeschränkt überprüfen (dürfen).
Auf die gerichtliche Anfechtbarkeit eines Streikes kann sich ein Arbeitgeber(-Verband) also nur im absoluten Ausnahmefall verlassen. So empfiehlt es sich, Arbeitskämpfen so weit wie möglich vorzubeugen – etwa indem mit der Gewerkschaft vereinbart wird, dass vor jedem Streik ein Schlichtungsverfahren durchzuführen ist.