IP, Media & Technology Nr. 28
Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit bei Äußerungen auf einer Social Media Plattform
Mit seinem Hinweisbeschluss vom 15. September 2020 hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (Az.: 29 U 6/20) die grundrechtliche Konkurrenzsituation zwischen der Meinungsfreiheit von Social-Media-Nutzern einerseits und der Eigentums- und Berufsausübungsfreiheit des Social-Media-Plattformbetreibers andererseits näher ausgeleuchtet und klargestellt, dass die kollidierenden Grundrechtspositionen im Wege der sog. praktischen Konkordanz in Ausgleich zu bringen seien. Konkret halten danach das in den Facebook-AGB enthaltene Verbot von Hassrede sowie die daran anknüpfenden, ausdrücklich aufgezählten und in einem Abstufungsverhältnis angeordneten Reaktionsmöglichkeiten von Facebook auf Hassrede-Postings einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand. Auf eine Strafbarkeit der Inhalte komme es dabei nicht an, ausreichend sei, dass die Inhalte dem Geschäftsmodell von Facebook zuwiderlaufen.
Der Fall
Der Kläger hatte im Jahr 2018 einen Beitrag, der von einer von einem Dritten betriebenen Facebook-Seite erstellt worden war, in dem Flüchtlinge als „Merkel-Goldstücke“ und ein jugendlicher Flüchtling als „Killer-Moslem“ bezeichnet wurden, mit einem sog. „wütenden Emoji“ kommentiert.
Die Beklagte Facebook Inc. nahm diesen als „Hassrede“ i.S.d. Facebook-Gemeinschaftsstandards eingestuften Beitrag zum Anlass, ihn aus dem Konto des Klägers so zu löschen, dass er für andere Nutzer nicht mehr sichtbar war. Zudem sperrte sie für den Kläger die Möglichkeit, über sein Facebook-Profil Kommentare oder Inhalte zu verbreiten. Der Kläger konnte sein und die Konten anderer Facebook-Nutzer daraufhin noch einsehen, aber keine eigenen Beiträge mehr posten oder versenden. Wenig später wurde das Nutzer-Konto des Klägers wieder freigeschaltet. Der Beitrag wurde jedoch gelöscht.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger insbesondere die Feststellung, dass die Sperrung seines Facebook-Profils rechtswidrig war sowie die erneute Freischaltung seines Kommentars. Gegen die erstinstanzliche Klageabweisung ging der Kläger in Berufung, auf die der vorliegende Hinweisbeschluss des OLG Hamm erlassen wurde.
Der Beschluss des OLG Hamm
Das OLG Hamm stützt die Rechtsauffassung des Landgerichts, wonach die Maßnahmen von Facebook gegen den Beitrag des Klägers und gegen dessen Profil gerechtfertigt waren.
Die Berechtigung der Beklagten zur Löschung des geteilten Beitrags und zur Beschränkung seiner Postingrechte ergebe sich aus den dem Vertrag der Parteien zugrundeliegenden Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards. Mit diesem Klauselwerk sei wirksam geregelt, dass die Beklagte beim Teilen von verbotenen Inhalten wie „Hassrede“ befugt sei, einen solchen Inhalt zu löschen und die Kontonutzung des verantwortlichen Facebook-Nutzers einzuschränken. Der vom Kläger eingestellte Beitrag sei auch als verbotene Hassrede einzuordnen, sodass die von der Beklagten getroffenen Maßnahmen berechtigt gewesen seien.
Die Facebook-AGB, die der Beklagten die ausgeübten Rechte einräumen, enthielten auch nach Sicht des OLG Hamm keine Benachteiligung des Klägers insoweit, als dass mit dem Verbot von Hassrede seine grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit verletzt werde.
Facebook sei als privates Unternehmen nur mittelbar über die Öffnungsklausel des § 307 BGB an die Grundrechte gebunden. Im Verhältnis zwischen Privaten gehe es bei der Grundrechtsbindung darum, die jeweils kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.
Für das Verhältnis der Parteien bedeute dies, dass in den Vertragsbedingungen vorgesehene Eingriffe in das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht allein an den Schranken aus Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sowie an den kollidierenden Grundrechten Dritter zu messen sei, sondern auch daran, inwieweit Grundrechte der Beklagten durch Meinungsäußerungen ihrer Nutzer betroffen sind
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Im vorliegenden Fall seien auf Seiten Facebooks die grundrechtlich geschützte Eigentumsfreiheit sowie die Berufsausübungsfreiheit betroffen. Die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG könnten nach Sicht des OLG Hamm für die Beklagte auch betroffen sein, wenn Inhalte auf ihrer Plattform verbreitet werden, die zwar nicht strafbar seien, aber ihrem Geschäftsmodell zuwiderlaufen. Es sei allgemein bekannt, dass die Geschäftstätigkeit der Beklagten auf die Erzielung von Werbeeinnahmen abziele, die daraus herrührten, dass sie Werbung auf ihrer Plattform aufgrund der von ihren Nutzern bereitgestellten Daten passgenau platzieren und effizient verbreiten könne. Die Beklagte habe damit ein geschäftliches Interesse daran, sowohl für einen möglichst großen Kreis ihrer Nutzer als auch für möglichst viele Werbekunden ein attraktives Umfeld zu bieten, um weiter Daten erheben und Werbeplätze verkaufen zu können.
Sie habe außerdem ersichtlich ein Interesse daran, in dieser Geschäftstätigkeit möglichst frei von staatlichen Vorgaben agieren zu können. Die Diskussion um Hasskommentare im Netz und insbesondere auf Social Media Plattformen wie Facebook habe indes gezeigt, dass diese nicht nur staatliche Beschränkungen für die Betreiber von Social Media Plattformen mit sich bringen (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) und die Beklagte dem Risiko einer Störerhaftung betroffener Dritter aussetze, deren grundrechtlich geschützte Positionen ihrerseits durch Hassbotschaften verletzt werden. Insbesondere minderten digital verbreitete Hasskommentare die Attraktivität der betroffenen Plattformen sowohl für Nutzer als auch für werbetreibende Unternehmen. So laufe die Beklagte aufgrund der allgemein bekannten aktuellen Boykottmaßnahmen namhafter deutscher und internationaler Konzerne effektiv Gefahr, wichtige Werbekunden zu verlieren, wenn sie gegen Hasskommentare auf ihrer Plattform nicht wirksam vorgehe.
Die Beklagte sei danach berechtigt, gegen Hasskommentare vorzugehen, soweit damit ein angemessener Ausgleich mit der auf Seiten der Facebook-Nutzer betroffenen Meinungsfreiheit und den eigenen Grundrechten geschaffen werde. Dies setze voraus, dass sie für die ihr vorbehaltenen Eingriffe in die Meinungsfreiheit ihrer Nutzer sachliche Gründe benenne, die geeignet, erforderlich und auch angemessen seien, um die kollidierenden Grundrechte zu wahren.
Diesen Vorgaben werden die Regelungen in den Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards nach Ansicht des OLG Hamm gerecht. Mit dem Verbot von Hassreden und den flankierenden Eingriffsbefugnissen in den Nutzungsbedingungen habe die Beklagte geeignete Mittel gewählt, um bestimmte Formen der Meinungsäußerung unterschiedslos für alle Nutzer und alle gesellschaftlichen Meinungsströmungen zu unterbinden ohne damit in der Sache eine Auseinandersetzung über in der Diskussion stehende Themen unmöglich zu machen und die freie Meinungsäußerung so gänzlich zurückzudrängen. Damit werde nicht jegliche sachbezogene Kritik an den geschützten Personenkreisen untersagt, sondern bestimmte Formen der Auseinandersetzung (gewalttätige oder entmenschlichende Sprache) sowie Aussagen der Minderwertigkeit mit Blick auf die geschützten Eigenschaften. Damit habe die Beklagte die auf ihrer Plattform verbotenen Inhalte ersichtlich auf einen kleinen und klar definierten Ausschnitt von Inhalten begrenzt und damit das mildeste ihr zur Verfügung stehende Mittel gewählt, um die Hasskommentare auf ihrer Plattform zu unterbinden, die eine sachliche Diskussion von gesellschaftlich relevanten Themen behindern. Ebenso habe sie ihre Sanktionsmöglichkeiten am Maßstab der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet, indem sie diese nicht etwa in ihr Ermessen stellt, sondern die ihr eingeräumten Befugnisse ausdrücklich benennt und an der Schwere des Verstoßes ausrichtet, der sich aus den beispielhaft erläuterten Schweregraden eines Angriffs ergibt.
Im Ergebnis gibt allein die Berufung auf die Meinungsfreiheit Social-Media-Nutzern demnach keinen Freibrief, unterhalb der Schwelle strafbarer Äußerungen sämtliche Inhalte auf der Plattform posten zu können.