Update Gesellschaftsrecht Nr. 26
Virtuelle Hauptversammlungen bleiben auch nach der Pandemie möglich
Deutsche Aktiengesellschaften haben während der Pandemie gute Erfahrungen mit der virtuellen Hauptversammlung gemacht. Was ursprünglich als vorübergehende Notlösung gedacht war, um die Hauptversammlungssaison nicht zum Superspreader-Event werden zu lassen, hat nicht nur Infektionen vermieden, sondern den Gesellschaften auch erhebliche Kosten erspart und die Teilnahme internationaler Aktionäre erleichtert – allerdings teilweise auf Kosten der Aktionärsrechte. Das Bundesjustizministerium hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, um das Novum dauerhaft im Aktiengesetz zu verankern, wobei die Rechte der Aktionäre wieder stärker berücksichtigt, teilweise aber auch überraschend modifiziert werden.
Übergangsregelung und auf 5 Jahre befristete Satzungsgrundlage
Für Hauptversammlungen, die bis einschließlich 31. August 2023 einberufen werden, soll der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschließen können, dass die Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre nach den neuen Regelungen abgehalten wird. Danach soll bei Bedarf eine auf höchstens fünf Jahre befristete Satzungsregelung die virtuelle Hauptversammlung generell oder auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des Vorstands ermöglichen.
Wird eine virtuelle Hauptversammlung abgehalten, ist die gesamte Versammlung mit Bild und Ton zu übertragen. Aktionäre müssen das Recht haben, ihr Stimmrecht im Wege elektronischer Kommunikation (elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl) sowie durch Erteilung von Vollmachten auszuüben und während der Hauptversammlung Verfahrensanträge zu stellen sowie Widerspruch gegen gefasste Beschlüsse zu erheben.
Vorab-Veröffentlichung des Vorstandsberichts
Der Bericht des Vorstands an die Hauptversammlung oder dessen wesentlicher Inhalt ist spätestens sechs Tage vor der Versammlung zugänglich zu machen.
Aktionärsstellungnahmen zur Tagesordnung im Wege der elektronischen Kommunikation
Die Gesellschaft muss den Aktionären die Möglichkeit geben, sich vor der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation zu den Tagesordnungspunkten zu äußern. Entsprechende Stellungnahmen sind bis spätestens vier Tage vor der Versammlung einzureichen.
Redebeiträge von Aktionären per Videoübertragung
Aktionäre, die ihre Redebeiträge spätestens vier Tage vor der Versammlung angemeldet haben, erhalten die Möglichkeit, in der Versammlung per Videoübertragung zu sprechen. Fragen zur Tagesordnung und Gegenanträge (einschließlich Wahlvorschläge) dürfen – anders als in der Präsenzhauptversammlung - in einem Redebeitrag nicht gestellt werden
Fragen zur Tagesordnung müssen ggf. vorab eingereicht werden
Der Vorstand kann vorsehen, dass Fragen der Aktionäre zur Tagesordnung spätestens vier Tage vor der Versammlung auf elektronischem Wege eingereicht werden müssen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in den Pandemie-Hauptversammlungen die Vorabübermittlung von Aktionärsfragen in vielen Fällen zu einer Verbesserung der Antwortqualität geführt hat. Die hektische Arbeit im Backoffice während der Versammlung entfällt. Die Gesellschaft muss rechtzeitig gestellte Fragen dann allen Aktionären vor der Versammlung zugänglich machen, z. B. durch Veröffentlichung auf ihrer Internetseite. Nachdem der Vorstand die vorab eingereichten Fragen in der virtuellen Versammlung beantwortet hat, haben die Aktionäre das Recht, Anschlussfragen im Wege der elektronischen Kommunikation zu stellen. Fragen, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der vorab eingereichten Frage und den Antworten des Vorstands stehen, müssen allerdings nicht beantwortet werden.
Fazit
Der Entwurf ist für die Praxis der Hauptversammlung ein Meilenstein. Wenn das so umgesetzt wird, wird sich das Bild der Hauptversammlung dauerhaft grundlegend ändern. Hitzige Diskussionen mit dem Versammlungsleiter, Panik im Backoffice bei der Beantwortung überraschender Spontanfragen, physische Störungen – all das wird dann weitgehend Vergangenheit sein, wenn die virtuelle Versammlung von den Gesellschaften gerade für kritische Hauptversammlungen gewählt wird. Auf der anderen Seite kann damit auch ein gutes Stück Diskussions- und Aktionärskultur entfallen. Denn bei aller Kritik an der Art und Weise, wie bisher viele Präsenzhauptversammlungen abgelaufen sind, gibt es auch zahlreiche Fälle von konstruktivem Dialog mit den Aktionären und sogar Vorstände, die in den letzten Jahren den persönlichen Kontakt zu den Aktionären vermisst haben. Hier kann künftig jede Gesellschaft für sich den richtigen Weg suchen.