27.02.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Februar 2024

Warte-/Probezeitkündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers bei fehlendem Präventionsverfahren

ArbG Köln, 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23

Das Arbeitsgericht Köln hat in seinem Urteil vom 20. Dezember 2023 zu der Unwirksamkeit einer Kündigung während der sechsmonatigen Wartezeit bei einem nicht zuvor durchgeführten Präventionsverfahren Stellung genommen. Damit reagiert es auf das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 10. Februar 2022, C-485/20. 

Sachverhalt

Der Kläger war seit dem 1. Januar 2023 bei der beklagten Kommune im Bauhof angestellt. Zum Zeitpunkt der Kündigung im Juni 2023 hatte er einen anerkannten Grad der Behinderung von 80, unter anderem resultierend aus einem frühkindlichen Hirnschaden. Der Kläger wurde bei der Beklagten in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt, wobei er in einzelnen Kolonnen besser zurechtkam als in anderen. Ende Mai 2023 riss sich der Kläger beim Fahrradfahren das Kreuzband und war infolge dessen über den Zeitpunkt der Kündigung hinaus krankgeschrieben. 

Die Beklagte hörte vor Ausspruch der Kündigung Personalrat, Schwerbehindertenvertretung sowie die Gleichstellungsbeauftragte zur beabsichtigten „Kündigung in der Probezeit“ an.
Keine der drei Stellen erhob Einwände gegen die Kündigung, so dass die Beklagte dem Kläger zum 31. Juli 2023 ordentlich und fristgerecht kündigte. 

Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund einer Diskriminierung wegen der Behinderung 

Das Arbeitsgericht Köln hat die Kündigung in der Wartezeit gem. § 134 BGB i.V.m. § 164 Abs. 2 SGB IX als rechtsunwirksam aufgrund einer Diskriminierung des Klägers wegen seiner Behinderung betrachtet. Der Arbeitgeber sei auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. 

§ 164 Abs. 2 S. 1 SGB IX verbiete Arbeitgebern jede Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter wegen ihrer Behinderung. Die Vorschrift diene dabei u.a. der Umsetzung der europäischen Richtlinie 2000/78 zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

Art. 5 RL 2000/78 und Art. 27 Abs. 1 S 2 Buchstabe a VN-BRK  sollen dabei sicherstellen, dass Arbeitgeber geeignete und im konkreten Fall erforderliche Maßnahmen ergreifen, um Menschen mit Behinderung – unter anderem – den Zugang zur Beschäftigung und die Ausübung eines Berufes zu ermöglichen. Dies gelte nur dann nicht, wenn diese Maßnahmen den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten würden. 

§ 167 Abs. 1 SGB IX enthalte eine Vorschrift zu Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen. Ein Verstoß gegen derartige Vorschriften begründe grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. 

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweise sich die Kündigung aufgrund einer Diskriminierung des schwerbehinderten Menschen als rechtsunwirksam. Ab dem Zeitpunkt, als der Arbeitgeber gemerkt habe, dass sich der Arbeitnehmer nicht bewährt, hätte er frühzeitig Präventionsmaßnahmen ergreifen müssen und notfalls mit der Schwerbehindertenvertretung sowie dem Integrationsamt alle verfügbaren Hilfen, Beratungen und finanziellen Unterstützungen erörtern müssen. 

Unionsrechtskonforme Auslegung notwendig

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vorgängernorm sei der Arbeitgeber auch schon während der Wartezeit des § 1 KSchG verpflichtet, Präventionsmaßnahmen nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies ergebe sich aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 167 Abs. 1 SGB IX. 

Wortlaut und Systematik sprechen für eine Anwendbarkeit von § 167 Abs. 1 SGB IX bereits ab dem Beginn des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen und nicht erst nach Ablauf der ersten sechs Monate. 
Auch historische und teleologische Erwägungen führen nicht zu einer einschränkenden Auslegung von § 167 Abs. 1 SGB IX. 
Dass das Integrationsamt erst nach sechs Monaten beteiligt werden müsse bedeute nicht, dass diese Frist auch für das Präventionsverfahren aus § 167 Abs. 1 SGB IX gelte.  Dass der Kündigungsschutz aus § 168 SGB IX erst nach sechs monatigem Bestand greife, lasse nicht den Schluss zu, dass Schutzpflichten und die Teilhabe schwerbehinderter Menschen ebenfalls erst nach sechs Monaten greifen sollen. 
Die Gesetzesbegründungen sprechen ebenfalls für die Verpflichtung zu frühzeitigen Präventionsmaßnahmen. 

Im Ergebnis könne nur eine solche Auslegung die sich aus Art. 5 RL 2000/78 und Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a VN-BRK ergebende Pflicht zur Sicherung des Rechts Schwerbehinderter auf Arbeit und auf Zugang zur Beschäftigung erfüllen. Abstrakte gesetzliche Vorgaben zu den durch den Arbeitgeber im Einzelfall zu treffenden Maßnahmen werden nicht aufzustellen sein, so dass das Bestimmen von Verhaltenspflichten zur Identifizierung der im Einzelfall notwendigen Fördermaßnahmen dem Gebot der möglichst wirksamen Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben (effet utile) diene. 

Fazit

Arbeitgeber sollten künftig beachten, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer auch in der Warte-/ Probezeit grundsätzlich Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben können, solange der Arbeitgeber hierdurch nicht unverhältnismäßig belastet wird. Ab wann von einer unverhältnismäßigen Belastung die Rede sein kann, bleibt noch abzuwarten. Mit Blick auf die Erwägungsgründe der Richtlinie 2000/78 werden wohl insbesondere der mit der Maßnahme verbundene finanzielle Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt.

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