27.02.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Februar 2023

Weiterbeschäftigung nach Erreichen der Regelaltersgrenze – Handlungsoptionen nach der aktuellen Rechtslage

Zulässigkeit inhaltlicher Vertragsänderungen im Zusammenhang mit einer Hinausschiebensvereinbarung nach § 41 S. 3 SGB VI

I. Einleitung

Im dritten Quartal 2022 zählte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bundesweit 1,82 Millionen offene Stellen. Im Vergleich zum dritten Quartal 2021 lag die Zahl nach Angaben des Forschungsinstituts immer noch um 437.600 oder 32 Prozent höher. Wer jetzt eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter verliert, und sei es in die Rente, der findet zudem so schnell keinen neuen mehr. Annähernd fünf Monate vergehen laut Bundesagentur für Arbeit im Schnitt, bis Unternehmen eine Fachkraft ersetzen können. Im Sommer 2022 waren es noch gut vier Monate. Der Wirtschaftsverband DIHK schätzt, dass deutsche Unternehmen durch den Personalmangel bereits jetzt pro Jahr fast 100 Milliarden Euro an möglicher Wertschöpfung einbüßen. Bis 2035 könnten zudem bis zu sieben Millionen Arbeitskräfte verloren gehen, weil es die Älteren in den Ruhestand drängt. Gleichzeitig werden die Menschen in Deutschland nicht nur immer älter, sondern im Alter auch fitter: Im Jahr 2022 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt in Deutschland je nach Geschlecht bei 78,5 Jahren für Männer und 83,4 Jahren für Frauen. Die Anzahl der Arbeitnehmer, die trotz Erreichens des Rentenalters bei ihrem bisherigen Arbeitgeber weiterbeschäftigt werden wollen und dies gesundheitlich auch können, nimmt daher zu. Häufig wünscht auch der Arbeitgeber, dass Arbeitnehmer aufgrund ihres Fachwissens nicht automatisch mit Erreichen der Regelaltersgrenze, die zum Bezug von Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung berechtigt, aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, sondern das Beendigungsdatum noch hinausgeschoben wird und der Arbeitnehmer ohne Unterbrechung noch eine gewisse Zeit weiter beschäftigt wird. Dem steht jedoch gegenüber, dass die überwiegende Mehrheit der Tarif- und Arbeitsverträge zulässigerweise vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze endet. Um diese Situation aufzufangen, hat der Gesetzgeber den Vertragsparteien mit § 41 Satz 3 SGB VI die Möglichkeit an die Hand gegeben, das Beendigungsdatum über den Zeitpunkt, zu dem Regelaltersrente bezogen werden kann, hinauszuschieben („Hinausschiebensvereinbarung“).

Dass dies verfassungs- und europarechtskonform ist und keine Altersdiskriminierung darstellt, ist bereits seit einigen Jahren durch das BAG und den EuGH (BAG, Urt. v. 19.12.2018 – 7 AZR 70/17; EuGH, Urt. v. 28.2.2018 – C-46/17) entschieden.

Zeitgleich mit der Frage einer Hinausschiebensvereinbarung wird sich aber häufig auch ein Wunsch nach weiteren vertraglichen Veränderungen entwickeln, beispielsweise nach einer Veränderung der Arbeitszeit. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die aktuelle Rechtslage zur Zulässigkeit inhaltlicher Änderungen bei Hinausschiebensvereinbarungen aussieht und welche rechtssicheren Handlungsoptionen für Arbeitgeber bestehen, um Arbeitnehmer zu veränderten Konditionen über den Zeitpunkt, zu dem Regelaltersrente bezogen werden kann, hinaus zu beschäftigen.

II. Der Meinungsstand

Höchstrichterlich konnte diese Frage noch nicht geklärt werden. Das BAG, dem diese Frage noch Ende letzten Jahres unter dem Aktenzeichen 7 AZR 509/21 zur Entscheidung vorlag, erledigte das hierzu anhängige Verfahren durch Vergleich. Einige Parallelitäten bestehen jedoch zu bereits durch das BAG im Urteil vom 19.12.2018 - 7 AZR 70/17 entschiedenen Fragen zur sachgrundlosen Befristung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. In diesem Zusammenhang hatte das Gericht inhaltliche Änderungen nur in einer zeitlich deutlich getrennten Vereinbarung zugelassen.

1. Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg, Urteil vom 30. April 2020 – 3 Sa 98/19

Das LAG Baden-Württemberg sprach sich für die Zulässigkeit inhaltlicher Änderungen aus. Die Richter in Stuttgart setzen argumentativ am Wortlaut des § 41 Satz 3 SGB VI und einem systematischen Vergleich zu § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG an. Zwischen den beiden Normen betonte das Gericht vor allem diverse Unterschiede. In § 41 Satz 3 SGB VI wird nicht wie in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG der Begriff des „Arbeitsvertrags“, sondern der Begriff des „Arbeitsverhältnisses“ verwendet. Das Arbeitsverhältnis sei der weiter gefasste Begriff. Dieses bleibe bestehen, selbst wenn sich seine Inhalte im Laufe der Zeit ändern würden.

Überdies spricht § 41 Satz 3 SGB VI anders als § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG von einem „Hinausschieben“ des Beendigungszeitpunktes und nicht von einer „Verlängerung“. Den Begriff der Verlängerung definiert das BAG seit seinem Leiturteil vom 23. August 2006 - 7 AZR 12/06 als „Änderung der Laufzeit eines Vertrags ohne Anpassung sonstiger Arbeitsbedingungen“. Anders als die „Verlängerung“ nehme der Begriff „Hinausschieben“ nur auf den Beendigungszeitpunkt und nicht auf die Vertragsbeziehung Bezug.

Ein weiteres Argument für seine Auffassung sieht das LAG Baden-Württemberg im Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit dieser Regelung wolle es der Gesetzgeber den Arbeitsvertragsparteien ermöglichen, das Arbeitsverhältnis nach Erreichen der Regelaltersgrenze einvernehmlich für einen bestimmten Zeitraum fortsetzen zu können. Daran, dies mit Änderungen des Arbeitspensums zu verbinden, hätten oft beide Parteien ein Interesse. § 41 Satz 3 SGB VI solle hierfür die nötige Flexibilität, aber auch eine rechtssichere Grundlage schaffen und keine weitere Befristungsfalle für Arbeitgeber aufstellen. Die Situation sei schließlich eine gänzlich andere als die des § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG. Der Arbeitnehmer befinde sich bereits am Ende seines Berufslebens. Sein Arbeitsverhältnis könnte unter gewöhnlichen Umständen zulässigerweise enden. Er sei daher angesichts einer Befristung weniger schutzwürdig.

2. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14. Oktober 2021 – 4 Sa 342 öD/20

Ganz anders sieht das das LAG Schleswig-Holstein. Auch dieses stützt seine Ansicht auf den Wortlaut des § 41 Satz 3 SGB VI. Der Gesetzeswortlaut des § 41 Satz 3 SGB VI lasse eben nur das „Hinausschieben“ des Beendigungszeitpunktes und gerade keine inhaltlichen Änderungen zu.

Einen weiteren Anknüpfungspunkt sehen die Richter in der Gesetzesbegründung der Vorschrift. Dort ist festgehalten, dass sonstige Arbeitsbedingungen von der Vorschrift unberührt bleiben sollen.

Dem Umstand, dass ein Wunsch nach arbeitsvertraglichen Änderungen seitens des Arbeitnehmers bestehen könne, könne nach Auffassung der Kammer durch eine von der Hinausschiebensvereinbarung losgelöste Vereinbarung Rechnung getragen werden. So sei der Arbeitnehmer davor geschützt, dass der Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses von Vertragsänderungen abhängig mache.

III. Hinweise für die Praxis

Angesichts des offenen Diskussionsstandes kann derzeit nur zu einer Trennung der Vereinbarung über die Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen einerseits und der Vereinbarung über das Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes andererseits geraten werden. Dabei ist für die Zulässigkeit unerheblich, ob zuerst das Hinausschieben oder die inhaltliche Änderung vereinbart wird.

Beide Varianten bergen für die Vertragsparteien jedoch einige Unsicherheiten. Stimmt der Arbeitnehmer vor Abschluss der Hinausschiebensvereinbarung einer Verringerung der Arbeitszeit zu, muss er möglicherweise mehrere Monate vor der Regelaltersgrenze mit einem geringeren Einkommen überbrücken und riskiert im Extremfall sogar die volle Altersrente. Einige Zeiträume können zur Vermeidung dieses Ergebnisses gegebenenfalls mit Resturlaubszeiten überbrückt werden. Rechtlich bleibt es dem Arbeitgeber jedoch in jedem Fall unbenommen, anschließend das Hinausschieben abzulehnen. Für den Arbeitnehmer entstehen also Unsicherheiten hinsichtlich des Fortgangs seines Beschäftigungsverhältnisses.

Wird indes zunächst das Hinausschieben vereinbart, muss dem Arbeitgeber bewusst sein, dass er dies nicht an die Bedingung knüpfen kann, dass sich der Vertrag auch tatsächlich wie besprochen inhaltlich ändern wird. Sofern der Arbeitnehmer später die Vertragsänderung ablehnt, weil sich Umstände geändert haben, wird das Vertragsverhältnis daher im Zweifel unter den bisherigen Bedingungen bis zum Zeitpunkt des Endes des Hinausschiebens fortgesetzt. Planungssicherheit, insbesondere hinsichtlich einer Nachbesetzung, ist so nicht hergestellt.

Da die Dauer des Hinausschiebenszeitraums durch das Gesetz nicht festgesetzt ist und auch ein mehrfaches Hinausschieben möglich ist, könnte eine denkbare Option sein, die erste Hinausschiebenszeitspanne nur auf einige wenige Monate anzulegen und später unter den geänderten Vertragsbedingungen auf einen weiteren Zeitraum zu verlängern. An all dem lässt sich freilich kritisieren, dass diese Vertragskonstellation einer Umgehung des Befristungsrechts nahekäme. Hiergegen spricht jedoch, dass § 41 Satz 3 SGB VI gerade diese Möglichkeit als Ausnahme vom sonst sehr strengen Befristungsrecht eröffnet.

Wie weit die Vereinbarungen zeitlich mindestens auseinanderfallen müssen, ist außerdem auch noch nicht geklärt. Das BAG hielt in seinem Urteil vom 21.3.2018 – 7 AZR 428/16 einen Abstand von zwei Monaten für ausreichend. In einem weiteren Urteil vom 19.12.2018 hielt es sogar einen Abstand von sechs Wochen für ausreichend, wobei die betreffende Regelung rückwirkend zu einem Zeitpunkt zehn Tage nach der Vereinbarung in Kraft treten sollte. Hierzu führte der Senat aus: „Entscheidend ist, ob die Änderung der sonstigen Arbeitsbedingungen gleichzeitig oder im zeitlichen Zusammenhang mit der Änderung der Vertragslaufzeit vereinbart wird.“ Zu der gleichlaufenden Frage des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBG ist in einem Orientierungssatz zum BAG Urteil vom 26. 7. 2006 - 7 AZR 514/05 sogar zu lesen: „Vereinbaren die Parteien während der Laufzeit eines für ein Jahr sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags dessen Verlängerung um ein Jahr und treffen sie wenige Tage danach eine Vereinbarung über die Änderung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit und der Vergütung, nimmt dies der zuvor getroffenen Abrede nicht den Charakter einer Vertragsverlängerung i.S. von § 14 II 1 TzBfG. Erfolgt die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht im Zusammenhang mit der Vertragsverlängerung, sondern davor oder danach, ist dies befristungsrechtlich nicht von Bedeutung.“ Im dort entschiedenen Fall war der Abstand jedoch in Wahrheit erheblich größer als nur einige Tage und betrug mehrere Monate.

Die aufgeworfene Frage wird in den nächsten Jahren angesichts des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels auf dem Arbeitsmarkt eine sehr wichtige Rolle spielen, denn Arbeitnehmer jenseits der Regelaltersgrenze werden immer häufiger als wertvolle Arbeitskräfte benötigt. Im Zweifel sogar eher mit einem größeren als kleineren Arbeitsvolumen. Bis die Richterinnen und Richter in Erfurt klare Vorgaben zum Inhalt von Hinausschiebensvereinbarungen machen, empfiehlt es sich in der Praxis, die Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen einerseits und das Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes andererseits in getrennten Dokumenten zu vereinbaren. Weiter sollte eine zeitliche Zäsur zwischen beiden Vereinbarungen liegen, so dass dokumentiert wird, dass der Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht von der Änderung sonstiger Arbeitsvertragsbedingungen abhängig macht und die Entschlussfreiheit des Arbeitnehmers nicht beeinträchtigt ist.

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