Newsletter Health Care, Pharma & Life Sciences 2/2020
Vergaberecht in Zeiten von Corona
Der Corona-Virus stellt v.a. Kliniken nicht nur medizinisch vor Herausforderungen. Es gibt zahlreiche Engpässe bei der Lieferung medizinischen Verbrauchsmaterials, wie zum Beispiel Schutzkleidung und Hygienemittel, aber auch bei der Lieferung medizinischer Geräte. Zur Deckung des alltäglichen (Klinik-) Bedarfs stellt sich nun v.a. die Frage: Wie kann nun schnell beschafft werden, ohne gegen Vergaberecht zu verstoßen? Durch die jetzigen Erfahrungen werden zudem nun vermehrt Stimmen laut, ob und wie Produktionskapazitäten z. B. für Arzneimittel und Verbrauchsmaterial mindestens nach Europa, besser aber noch nach Deutschland zurückverlagert werden könnten, um künftig anders aufgestellt bzw. unabhängiger zu sein.
Fällt der Auftragnehmer bzw. seine Leistung aus, weil Lieferketten unterbrochen sind oder seine Belegschaft in Quarantäne ist, muss der öffentliche Auftraggeber seinen Beschaffungsbedarf schnell bei einem Dritten decken. Vergaberechtlich zulässig ist es, übergangsweise Interimsaufträge im beschleunigten Vergabeverfahren zu vergeben.
Nach § 14 Abs. 4 Nr. 4 VgV darf im Oberschwellenbereich auch ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Nach den Vorschriften können öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn äußerst dringende, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind. Vergleichbare Regelungen gibt es auch im Unterschwellenbereich für die sog. Verhandlungsvergabe nach § 8 Abs. 4 UVgO.
Maßgeblich ist, dass eine besondere „Dringlichkeit“ vorliegt. Aufgrund des Ausnahmecharakters werden an die „Dringlichkeit“ hohe Anforderungen gestellt. Seit dem 19.03.2020 kann zur Begründung der erforderlichen Dringlichkeit nunmehr auf das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichte „Rundschreiben zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2“ zurückgegriffen werden.
Namentlich nennt das Rundschreiben die Beschaffung von Heil- und Hilfsmitteln wie etwa Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Masken, Schutzkittel, Verbandsmaterialien, Tupfer, Bauchtücher und medizinisches Gerät, Beatmungsgeräte sowie auch für IT-Leitungskapazitäten. Die Aufzählung ist aber ausdrücklich nicht abschließend.
Nach dem Rundschreiben gilt:
- Verhandlungsverfahren bzw. Verhandlungsvergaben ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb sind zulässig.
- Die Fristen für die Angebotserstellung können auf bis zu 0 Tage verkürzt werden.
- Es müssen keine Vergleichsangebote eingeholt werden.
Alternativ ist gestattet - statt neu zu beauftragen - bestehende Verträge ohne Verfahren auszuweiten, wenn der Bedarf „Corona-bedingt“ kurzfristig entstanden ist.
Der Runderlass gilt nur für die Dauer der Corona-Pandemie. Sobald der Erlass außer Kraft tritt, gelten die gewohnten strengen Regelungen. Durch die Erfahrungen der letzten Wochen werden daher nun immer mehr Stimmen laut, das Vergaberecht – langfristig – in einigen Aspekten anzupassen. Dies betrifft vor allem den Wunsch, künftig unabhängig vom Ausland die eigene Bevölkerung medizinisch versorgen zu können ohne auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen zu sein.
In der Vergangenheit hat v.a. die wettbewerbliche Ausschreibung von Arzneimittellieferverträgen (Rabattverträgen) mit alleinigem Wertungskriterium „Preis“ dazu geführt, dass Pharmaunternehmen ihre Produktion in das außereuropäische Ausland verlagert haben. Im Ergebnis ist auch Deutschland von der Zulieferung von Arzneimitteln aus außereuropäischen Produktionsstandorten abhängig. Spürbar wurde dies bereits, nachdem Verunreinigungen der Wirkstoffe während der Herstellung zu Lieferengpässen geführt haben.
Der Entwurf für ein Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) scheiterte jedoch Ende 2019. Der Entwurf sah vor, § 130a SGB V (Arzneimittelrabattverträge) um die Vorgabe zu ergänzen, dass europäische Produktionsstandorte bei der Ausschreibung dieser Verträge zu berücksichtigen sind, um Versorgungsengpässe bei Rabattarzneimitteln zu verhindern. Gescheitert ist die Initiative am Vergaberecht. Es wurde Argumentiert, dass das Vergaberecht eine Bevorzugung nach geografischem Standort gerade nicht vorsehe und eine solche Regelung den Wettbewerb einschränke.
Nach den „Corona-bedingten“ Erfahrungen bleibt im Rahmen der Beschaffung von Arzneimitteln oder für medizinische Verbrauchsmaterialien daher bis einer neuen Gesetzesinitiative nur die Möglichkeit, europäische Produktionsstandorte im Rahmen der Eignung zu berücksichtigen. Vorgaben an die Eignung müssen einen konkreten Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen. Die erforderliche Verknüpfung kann über das hochrangige Ziel der Versorgungssicherheit und die Möglichkeit der Kontrolle der Herstellung innerhalb der EU begründet werden. Vergleichbare Kontrollen bzw. Kontrollmöglichkeiten gibt es im außereuropäischen Ausland nicht. Möglich ist auch, über die Zuschlagskriterien auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung einer Leistung abzustellen.