15.12.2022Fachbeitrag

Fachbeitrag

Kaufvertrag über den „Patientenstamm“ einer (Zahn-)Arztpraxis verstößt gegen das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt

Der BGH hat mit Hinweisbeschluss vom 9. November 2021 (VIII ZR 362/19) festgestellt, dass ein Vertrag, mit dem ein Zahnarzt seinen Patientenstamm verkauft und sich vertraglich verpflichtet, auf seine Patienten einzuwirken, damit diese ihre Behandlung bei dem Käufer fortsetzen, unwirksam ist.

Der beklagte Zahnarzt und Verkäufer war Inhaber einer Zahnarztpraxis in Bayern, die über einen Stamm von ca. 600 Patienten verfügte. Im Hinblick auf die geplante Aufgabe seiner Praxis schloss er mit einem anderen Zahnarzt, dem späteren Kläger, einen Kaufvertrag über den Patientenstamm sowie die Domain und die Telefonnummer seiner bisherigen Praxis (sog. „Goodwill“). Nach erfolgter Einwilligung der Patienten sollte die Patientenkartei mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum und den Besitz des Käufers übergehen; eine entsprechende Regelung wurde auch für die elektronischen Patientenunterlagen getroffen. Gleichzeitig verpflichtete sich der Verkäufer dazu, seine Patienten per Rundschreiben über seine Praxisaufgabe und eine „Übernahme der Patienten“ durch den Käufer zu informieren. In diesem Schreiben sollten die Patienten gebeten werden, dem Käufer künftig ihr Vertrauen zu schenken. Außerdem sollte der Verkäufer die Telefonanrufe als auch die Aufrufe seiner Internetseite auf den Telefonanschluss und die Domain des Käufers umleiten. Als Kaufpreis wurde ein Betrag in Höhe von EUR 12.000,00 vereinbart. Nach Vertragsunterzeichnung informierte sich der Verkäufer bei der Landeszahnärztekammer über die Zulässigkeit des Vorhabens und verweigerte sodann auf Grundlage der behördlichen Auskunft die Vertragserfüllung. Der Käufer klagte sodann auf Erfüllung des Vertrages.

Isolierter Verkauf eines Patientenstamms mit Empfehlungsabrede verstößt gegen gesetzliches Verbot

Nachdem der Kläger erst- und zweitinstanzlich keinen Erfolg gehabt hatte, hielt auch der BGH den Kaufvertrag für unwirksam. Der Kaufvertrag sei bereits wegen § 134 BGB nichtig, weil die isolierte Veräußerung des Patientenstamms eindeutig gegen die berufsrechtliche Standesvorschrift des § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte verstoße. Danach sei es dem Zahnarzt nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt oder eine sonstige wirtschaftliche Vergünstigung zu fordern, sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.

Tatbestandsmerkmale der berufsrechtlichen Verbotsnorm sind erfüllt

In dem vom Verkäufer versprochenen Rundschreiben sei laut BGH unzweifelhaft eine Zuweisung zu sehen, da sich der Verkäufer damit verpflichtet habe, seinen Patienten eine Fortsetzung ihrer Behandlung durch den Käufer zu empfehlen. Auch die Umleitung der Anrufe und der Aufrufe der Internetseite zielten auf eine Verhaltens- und Entscheidungsbeeinflussung der Patienten des Verkäufers ab und seien damit als Zuweisung anzusehen. Die Vorschrift des § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte gelte aufgrund ihres Schutzzwecks – dem Schutz der Wahlfreiheit der Patienten – auch in dem Fall, in dem ein Zahnarzt seine Praxis aufgibt und lediglich eine Empfehlung eines Nachfolgers ausspreche. Mit der Vorschrift werde laut BGH nämlich auch bezweckt, dass sich der Zahnarzt in seiner Entscheidung, welchem anderen Zahnarzt er Patienten zuweist, nicht von vornherein gegen Entgelt bindet. Die Entscheidung einer Empfehlung solle vielmehr allein aufgrund medizinischer Erwägungen im Interesse des Patienten getroffen werden. Zahnärzte sollen sich durch das Gewähren von Vorteilen keine ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Berufskollegen verschaffen dürfen. Der vereinbarte Kaufpreis in Höhe von EUR 12.000,00 stelle schließlich das Entgelt im Sinne der Vorschrift dar.

Anwendung der Vorschrift des § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte verstoße auch nicht gegen verfassungsrechtliche Vorschriften
Der BGH hat auch keinen Anlass gesehen, die Vorschrift des § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte zum Schutze der Berufs- (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) einschränkend auszulegen. Insbesondere die Eigentumsfreiheit sei bei einer entsprechenden Lesart der berufsrechtlichen Vorgabe nicht verletzt, da es sich bei einem Patientenstamm von vornherein nicht um eine geschützte Rechtsposition des Verkäufers handele. Vielmehr liege mit dem Patientenstamm eine von der Eigentumsfreiheit nicht geschützte bloße Umsatz- und Gewinnchance vor.

Bedeutung für die Praxis

Durch diese Entscheidung hat der BGH ausdrücklich klargestellt, dass es Zahnärzten in Bayern aufgrund der Verbotsnorm des § 8 Abs. 5 nicht möglich ist, ihren Patientenstamm isoliert zu verkaufen und für die Fortsetzung der Behandlung durch den Käufer zu werben. Da sich entsprechende Verbotsvorschriften – dem § 2 Abs. 8 der Musterberufsordnung für Zahnärzte nachgebildet – auch in den meisten anderen Berufsordnungen der Zahnärztekammern finden und zudem auch für Ärzte in § 31 Abs. 1 MBO-Ä ein Verbot der Zuweisung gegen Entgelt normiert ist, beansprucht diese Entscheidung für nahezu sämtliche Leistungserbringer im (zahn-)ärztlichen Bereich der Bundesrepublik Deutschland Bedeutung.
Eine Mitveräußerung der Patientendaten als wesentlicher Teil des Goodwills im Rahmen eines Asset Deals bleibt jedoch weiterhin möglich. Der entsprechende Praxiskaufvertrag sollte dabei das sog. Zwei-Schrank-Modell vorsehen, bei dem die übergebenen Patientenakten so lange in einem gesonderten Schrank aufbewahrt werden, bis die betreffenden Patienten der Nutzung ihrer Patientendaten durch den neuen Praxisinhaber zugestimmt haben. Mit Blick auf die seit dem 25. Mai 2018 geltende DSGVO ist dem abgebenden (Zahn-)Arzt und dem Erwerber zu empfehlen, zusätzlich einen sog. Auftragsverarbeitungsvertrag zu schließen, um auch die datenschutzrechtlichen Vorgaben für die Übertragung von Patientendaten in jedem Fall einzuhalten. Erst recht steht der Hinweisbeschluss des BGH einer Veräußerung von Anteilen an einer Praxis im Wege eines Share Deals nicht entgegen, da hier keine isolierte Übertragung der Patientendaten, sondern lediglich ein Gesellschafterwechsel erfolgt.

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