Update Restrukturierung 1/2025
Der Erfolg des StaRUG hält an – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fall VARTA gibt Diskussionsanlass
Für das Jahr 2025 wird in Deutschland die höchste Zahl an Unternehmensinsolvenzen seit der Wirtschaftskrise des Jahres 2009 erwartet. So jedenfalls titelte kürzlich die Wirtschaftswoche (WiWo). Für den Januar 2025 meldete das Statistische Bundesamt (Destatis) bereits eine Zunahme der beantragten Insolvenzverfahren um rund 14 % gegenüber dem Vorjahresmonat.
Insolvenzverfahren führen nicht nur zu Forderungsausfällen bei Lieferanten und sonstigen Gläubigern, sondern häufig auch zu Arbeitsplatzverlusten und sonstigen Schäden. Vor diesem Hintergrund erlangt das am 1. Januar 2021 in Kraft getretene und in Umsetzung europarechtlicher Vorgaben geschaffene Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) als insolvenzvermeidender Restrukturierungsrahmen eine kontinuierlich wachsende Bedeutung.
Aufgrund einiger größerer Restrukturierungsfälle, namentlich der Restrukturierungsverfahren der LEONI AG und der VARTA AG, in deren Rahmen Kleinaktionäre ihre Aktien entschädigungslos verloren haben, ist das StaRUG zuletzt jedoch heftiger Kritik von Aktionärsschützern ausgesetzt. Wir beleuchten nachfolgend die Hintergründe und nehmen eine Einordnung der Diskussion vor.
Fall VARTA AG: Totalverluste von Kleinaktionären und Niederlage der Kleinaktionäre vor dem BVerfG verstärken Diskussionen um StaRUG
Die Diskussion über das StaRUG wurde jüngst durch den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 21.Januar 2025 (Az.: 1 T 12/24) im Fall VARTA AG verstärkt, mit dem die Rechtsbehelfe zahlreicher Kleinaktionäre gegen den vom Amtsgericht – Restrukturierungsgericht – Stuttgart per Beschluss gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplan zurückgewiesen und Rechtsbeschwerden zum BGH nicht zugelassen wurden. Die allein gegen diese beiden Gerichtsentscheidungen – nicht aber gegen das StaRUG selbst oder einzelne Bestimmungen des StaRUG, insbesondere nicht gegen § 66 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG oder § 64 Abs. 3 StaRUG – gerichteten Verfassungsbeschwerden von insgesamt 19 Kleinaktionären hat das Bundesverfassungsgericht kürzlich mit Beschluss vom 28. Februar 2025 (Az. 1 BvR 418/25) nicht zur Entscheidung angenommen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht jedoch auch darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit der Planbestätigung der VARTA AG noch eine weitere Verfassungsbeschwerde vorliege, über deren Annahme noch nicht entschieden sei. Dies gibt Anlass Ziele, Voraussetzungen und Auswirkungen von Restrukturierungen gemäß dem StaRUG kurz darzustellen.
A. Ziel des StaRUG: Insolvenzvermeidung durch Restrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens
Ziel des StaRUG ist es, Unternehmen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden und drohend zahlungsunfähig sind, operativ aber tragfähig erscheinen, eine Möglichkeit zu bieten, sich außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu restrukturieren und so den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung zu vermeiden.
B. Kernelemente des StaRUG: Restrukturierungsplan, Annahme mit Dreiviertel-Mehrheiten (Forderungshöhe bzw. Kapitalanteil)
Kern des Gesetzes ist der Restrukturierungsplan. In diesem werden die Beteiligten, in deren Rechte eingegriffen werden soll, nach sachgerechten Kriterien in Gruppen von sog. Planbetroffenen eingeteilt. Für die Annahme von Restrukturierungsplänen sind Dreiviertel-Mehrheiten in allen Gruppen nötig, die allein nach Forderungshöhe (Gläubiger) bzw. Kapitalanteil (Anteilsinhaber) ermittelt werden. Auch den Restrukturierungsplan ablehnende Planbetroffene sind bei dessen Annahme und gerichtlicher Planbestätigung an die Planregelungen gebunden („Cram-Down“). Durch diese Abstimmungsregeln sollen insbesondere Akkordstörer im Debt-Bereich und im Bereich der Anteilsinhaber majorisiert und eingebunden werden. In Ausnahmefällen ist zudem eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung als sog. „Cross-Class-Cram-Down“ möglich. Diese bindet auch die Planbetroffenen einer Gruppe, in der die nötige Mehrheit nicht erreicht wurde, an die Planregelungen. Voraussetzung ist, dass die Mitglieder dieser Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie im Alternativszenario ohne den Plan stünden.
C. Unfaire Enteignung von Kleinaktionären? StaRUG als „Börsen-Unwort des Jahres 2024“
Letztlich zu Unrecht wurde das StaRUG jüngst als Mittel einer unfairen, entschädigungslosen Enteignung von Kleinaktionären dargestellt. Die Börse Düsseldorf wählte den Begriff „StaRUG“ kürzlich gar zum Börsen-Unwort des Jahres 2024. Aktionäre seien durch die Anwendung des Gesetzes vermeintlich um werthaltige Vermögenspositionen gebracht und zwangsweise „enteignet“ worden. Dies sei insbesondere gegenüber betroffenen Aktionären unsozial, bei denen es sich um Kleinanleger handle, die zum Vermögensaufbau oder zur Aufbesserung ihrer Rente in Aktien investiert hätten.
D. Kompensationsloser Entzug von Anteilen/Aktien ist nicht der vom StaRUG vorgesehene Regelfall
Diese Kritik wird den Voraussetzungen und Folgen von Restrukturierungen gemäß dem StaRUG jedoch nicht gerecht. Sie blendet die Insolvenznähe als wirtschaftliche Situation aus, in der sich die Unternehmen befinden, die von den Restrukturierungsmöglichkeiten nach dem StaRUG Gebrauch machen. Zudem verstellt eine Beschränkung der Diskussion auf Kapital- und Schuldenschnitte im Restrukturierungsplan den Blick auf die Bandbreite der möglichen Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente.
Gegenüber den Aktionären können zwar alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen in Restrukturierungsplänen vorgesehen werden, darunter auch Kapitalschnitte und Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsauschluss. Keineswegs immer geht mit Restrukturierungsplänen gemäß StaRUG aber ein kompensationsloser Ausschluss von Altgesellschaftern einher.
I. Softline AG: Ausschluss von Aktionären unter Zahlung von Abfindungen
Soweit keine Überschuldung vorliegt und das Eigenkapital noch einen Wert hat, wie etwa im Fall der Softline AG, kann die Zahlung von Abfindungen für den Verlust von Aktien im Restrukturierungsplan vorgesehen werden. Restrukturierungspläne können auch bloße Laufzeitverlängerungen bzw. Stundungen, Anpassungen von Covenants sowie Zinsänderungen ohne Maßnahmen gegenüber den Anteilsinhabern vorsehen.
II. BayWa AG: Keine Eingriffe in Rechte von Anteilsinhabern
Ein weiteres Beispiel ist das aktuelle Restrukturierungsvorhaben der BayWa AG. Laut deren Angaben soll in Rechte der Anteilsinhaber nicht eingegriffen werden.
III. VARTA AG: Beschwerden durch das LG Stuttgart abgewiesen, wesentliche Schlechterstellung durch den Restrukturierungsplan nicht glaubhaft gemacht
Der Restrukturierungsplan der VARTA AG regelt hingegen einen Kapitalschnitt auf Null, verbunden mit einem Delisting von der Frankfurter Börse. Neue Aktien ohne Bezugsrecht der übrigen vormaligen Aktionäre erhalten lediglich der VARTA-Aufsichtsratsvorsitzende und Mehrheitsaktionär Michael Tojner sowie der künftige VARTA-Großaktionär Porsche.
Dies wollten einige vormalige Aktionäre nicht hinnehmen. Sie widersprachen dem Restrukturierungsplan und stimmten gegen dessen Annahme im Erörterungs- und Abstimmungstermin. Sodann legten sie Beschwerde beim Landgericht Stuttgart gegen die Planbestätigung ein. Erfolglos brachten sie vor, durch den Restrukturierungsplan wesentlich schlechter gestellt zu werden als in möglichen Alternativszenarien wie etwa einem Insolvenzverfahren. Eine wesentliche Schlechterstellung durch den Restrukturierungsplan sei nicht hinreichend dargelegt, so das Gericht. Den Beschwerdeführern sei es nicht gelungen, ein alternatives Fortführungsszenario der VARTA AG glaubhaft zu machen, welches überwiegend wahrscheinlich hätte realisiert werden können und bei dem die Kleinaktionäre besser gestellt gewesen wären. Die gegen den Beschluss zur Bestätigung des Restrukturierungsplans gerichteten Beschwerden hat das Landgericht Stuttgart daher durch Beschluss vom 21. Januar 2025 (Az. 1 T 12/24) als unzulässig verworfen.
E. BVerfG: Verfassungsbeschwerden in Sachen VARTA als unzulässig abgewiesen. Weitere Verfassungsbeschwerde noch anhängig
Verfassungsbeschwerden gegen die Planbestätigung in Sachen VARTA blieben ebenso wie zuvor in Sachen LEONI erfolglos. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch die beiden angegriffenen gerichtlichen Beschlüsse des Amtsgerichts Stuttgart (Planbestätigung) und des Landgerichts Stuttgart (Zurückweisung der Beschwerden) sei nicht hinreichend dargelegt worden. Die Verfassungsbeschwerden seien nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nicht ausreichend begründet wurden und daher unzulässig seien (BVerfG vom 28.02.2025 – 1 BvR 418/25).
Erfolgreiche Beschwerden gegen gerichtliche Bestätigungen von Restrukturierungsplänen begegnen hohen Hürden. Insbesondere darf eine wesentliche Schlechterstellung durch den Restrukturierungsplan zum nächstbesten Alternativszenario keineswegs allein mit generalisierenden Ausführungen behauptet werden. Beschwerdeführer müssen sowohl die wesentliche Schlechterstellung als auch die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Realisierbarkeit des vorgebrachten nächstbesten Alternativszenarios hinreichend substantiiert darlegen und glaubhaft machen.
F. Forderungen nach Änderungen des StaRUG begegnen europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken
Forderungen nach Änderungen des StaRUG durch den Gesetzgeber begegnen europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken. Die dem StaRUG zugrundeliegende EU-Richtlinie gibt ein schnelles und effektives Verfahren zur Insolvenzvermeidung vor, dass keinen Blockademöglichkeiten durch Anteilsinhaber ausgesetzt sein darf. Zudem besteht der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums gemäß Art. 14 GG nicht schrankenlos. Das Eigentum unterliegt einer Sozialbindung. Insolvenzvermeidende Eingriffe in Aktionärsrechte durch Restrukturierungspläne können bei insolvenznähe und wirtschaftlicher Entwertung des Aktieneigentums daher vor dem Hintergrund der Rechte anderer Betroffener gerechtfertigt und geboten sein. Dies gilt dann, wenn der Restrukturierungsplan die Situation für die Aktionäre im Vergleich zum nächstbesten Alternativszenario nicht verschlechtert, für andere Stakeholder wie Gläubiger, Lieferanten, Kunden und Arbeitnehmer aber verbessert. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei dem nächstbesten Alternativszenario regelmäßig um ein Insolvenzverfahren handelt. In diesem gehen Aktionäre als Eigenkapitalgeber aufgrund der Nachrangigkeit ihrer Rechtspositionen gegenüber den Gläubigern ebenfalls meist leer aus.
Daher sind wesentliche Änderungen des aus Sicht der Restrukturierungspraxis sehr gelungenen StaRUG durch den Gesetzgeber nicht veranlasst und u. E. auch nicht zu erwarten.
Praxistipp aus Anlegersicht: Wachsamkeit und rasche Reaktion auf StaRUG-Verfahren sind angeraten
Aus Sicht der Aktionäre sind folglich besondere Wachsamkeit in der Beobachtung des Marktes und die Überprüfung von Anlageentscheidungen bereits bei ersten Anzeichen einer Krise des jeweiligen Emittenten angeraten. Soweit Aktionäre von StaRUG-Verfahren betroffen sind, sollten sie die drohende Zahlungsunfähigkeit des Emittenten als Voraussetzung der Restrukturierungsanzeige und das Alternativszenario nebst Vergleichsrechnung genau überprüfen.
Fazit
Das StaRUG ist ein effektives Restrukturierungsinstrument, welches Insolvenzen vermeidet und in der Gesamtbetrachtung aus Sicht der Stakeholder positive Wirkungen entfaltet. Das Gesetz ist rechtsformneutral und zielt nicht auf Aktiengesellschaften. Es richtet sich nicht gegen Aktionäre, ermöglicht aber ggf. gebotene Eingriffe in – aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit wirtschaftlich entwertete – Rechte von Anteilsinhabern und damit auch von Aktionären. Diese Eingriffe sind regelmäßig gerechtfertigt. Bei einem Entzug (noch) werthaltiger Rechtspositionen sind ggf. Abfindungen zu leisten. Europarechtliche Vorgaben stehen einer Abschaffung des StaRUG und Gesetzesänderungen entgegen, welche Blockademöglichkeiten für Anteilsinhaber eröffnen würden. Aktionären ist zu raten, das Marktgeschehen genau zu beobachten und Anlageentscheidungen bei Krisenanzeichen des jeweiligen Emittenten umgehend zu hinterfragen.