Update Restrukturierung 1/2023
Kein Kleinbeteiligtenprivileg bei koordinierter Finanzierung mehrerer Gesellschafter
Der Bundesgerichtshof (BGH) klärte mit Urteil vom 26.01.2023 (Az. IX ZR 85/21) hinsichtlich des Kleinbeteiligtenprivilegs dessen bisher bestrittene Anwendbarkeit bei einer Beteiligung von exakt 10 Prozent am Haftkapital sowie die Zusammenrechnung mehrerer Gesellschafterbeteiligungen bei koordinierten Finanzierungen.
Nachfolgend stellen wir die Zusammenhänge dar und ordnen die Auswirkungen der Entscheidung für die Praxis ein.
Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz der Gesellschaft:
Gerät eine haftungsbeschränkte Gesellschaft (insbesondere GmbH, AG, GmbH & Co. KG) in Insolvenz, so muss ein Gesellschafter im letzten Jahr vor der Insolvenzantragstellung erhaltene Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen an die Insolvenzmasse der Gesellschaft zurückgewähren (Anfechtung gem. §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 143 InsO). Hat der Gesellschafter noch offene Darlehensforderungen gegen die insolvente Gesellschaft, so sind diese nachrangig. Die Folge ist meist der vollständige Ausfall dieser Forderungen. Gleiches gilt für Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen.
Kleinbeteiligtenprivileg bei Beteiligung von maximal 10% ohne Geschäftsführungsfunktion
Eine Ausnahme von der Pflicht zur Rückgewähr im letzten Jahr vor der Antragstellung erhaltener Rückzahlungen und dem Nachrang offener Forderungen regelt das sogenannte Kleinbeteiligtenprivileg (auch "Zwerganteilsprivileg") des § 39 Abs. 5 InsO. Forderungen von nicht geschäftsführenden Gesellschaftern mit einer Beteiligung von 10 Prozent oder weniger am Haftkapital sind nicht nachrangig und Zahlungen auf diese Forderungen sind nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.
Entscheidung des BGH:
In der Fachliteratur wurde bislang teilweise eine einschränkende Auslegung des § 39 Abs. 5 InsO dahingehend befürwortet, dass das Kleinbeteiligtenprivileg keine Anwendung auf Gesellschafter mit einer Beteiligung von exakt 10 Prozent finden soll. Dies wurde mit deren an exakt diese Beteiligungsquote als Mindestquote anknüpfende Informations- und Mitwirkungsrechte innerhalb der Gesellschaft begründet. Der BGH stellte nun klar, dass eine einschränkende Auslegung wegen der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, die für das Kleinbeteiligtenprivileg maßgebliche Schwelle auf "10 Prozent oder weniger am Haftkapital" festzulegen, nicht in Betracht kommt. Zugunsten von Gesellschaftern mit einer Beteiligung von genau 10 Prozent findet das Privileg somit Anwendung.
Zurechnung von Beteiligungen bei koordinierter Finanzierung
Handelt es sich jedoch um eine von mehreren Gesellschaftern koordiniert gewährte Finanzierung, so sind deren Beteiligungen gemäß der Entscheidung des BGH vom 26.01.2023 in Ansehung des Kleinbeteiligtenprivilegs zusammenzurechnen. Maßgebliches Kriterium für das Zusammenrechnen von Beteiligungen und ggf. das Entfallen des Privilegs für an koordinierten Finanzierungen beteiligte Kleingesellschafter sei die Übernahme einer überschießenden unternehmerischen Verantwortung. Der BGH überträgt damit die Rechtsprechung aus Zeit der Geltung des sogenannten Eigenkapitalersatzrechts vor Inkrafttreten des MoMiG auf die im Jahr 2008 eingeführte Regelung des § 39 Abs. 5 InsO.
Merkmale koordinierter Finanzierung:
Ob in einer koordinierten Finanzierung die Übernahme einer überschießenden unternehmerischen Verantwortung liegt, bedarf der Prüfung im Einzelfall. Im konkreten Fall bejahte der BGH dies wegen der wechselseitigen Verpflichtung zur Stellung und Aufrechterhaltung der Finanzierungsbeiträge und der Vereinbarung eines Innenausgleichs im Rahmen einer Konsortialvereinbarung der Gesellschafter sowie auch wegen der Bestellung einer gemeinsamen Sicherheit.
Zurechnung unabhängig vom zeitlichen Kontext
Gemäß der Entscheidung des BGH ist nunmehr (im Unterschied zur Rechtslage vor Inkrafttreten des MoMiG) unerheblich, ob die Finanzierung im Zusammenhang mit einer Krise der Gesellschaft gewährt wurde. Eine koordinierte Finanzierung steht der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs ggf. aufgrund wechselseitiger Zurechnung der Anteile der koordiniert finanzierenden Gesellschafter auch dann entgegen, wenn sie außerhalb der Krise und außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 135 InsO erfolgt ist.
Fazit und Praxishinweis:
Die Entscheidung des BGH zum Kleinbeteiligtenprivileg schafft Klarheit hinsichtlich einiger bisheriger Zweifelsfragen. Sie entspricht dem Willen des Gesetzgebers und dem Wortlaut des Gesetzes bezüglich der Ablehnung einer einschränkenden Auslegung der 10%-Schwelle. Auch die Zurechnung der Anteile im Wege eines „Acting in Concert“ koordiniert als Konsortialpartner finanzierender Gesellschafter einer später insolventen Gesellschaft untereinander, mit der Folge einer Nichtanwendbarkeit des Privilegs zum Schutz von Kleinbeteiligten, erscheint sachgerecht.
Für die Praxis folgt hieraus, dass im Falle einer koordinierten Finanzierung durch Gesellschafter – unabhängig vom Bestehen einer Krise im Zeitpunkt der Finanzierung – einzelfallbezogen die vertragliche Ausgestaltung und deren Auswirkung auf eine andernfalls etwaig vorhandene Privilegierung der Finanzierungsbeiträge zu prüfen ist. Die entscheidenden Merkmale einer koordinierten Finanzierung mit einer daraus folgenden überschießenden unternehmerischen Verantwortung der Gesellschafter und einer etwaigen Nichtanwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs sind noch nicht abschließend konturiert. Die Vorteile einer koordinierten Finanzierung und deren Risiken im Insolvenzfall aufgrund Entfallens des Kleinbeteiligtenprivilegs (Anfechtbarkeit von Rückzahlungen im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung, Nachrang offener Forderungen, Anfechtbarkeit von Sicherheiten) sind sorgsam abzuwägen. Spezialisierte Beratung bei der Ausgestaltung von Gesellschafterfinanzierungen ist geboten.