Update Restrukturierung 2/2022
Neue Hürden für die Vorsatzanfechtung gegenüber Gläubigern: BGH präzisiert geänderte Rechtsprechung
Nachdem der Bundesgerichtshof im Mai 2021 seine Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Vorsatzanfechtung zugunsten von betroffenen Gläubigern geändert hatte, setzt er mit Urteilen vom 10. Februar, 24. Februar und 3. März 2022 nun weitere Hürden für Insolvenzverwalter.
Vorsatzanfechtung schon länger in der Kritik
Die sog. Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) gilt für viele Insolvenzverwalter nach wie vor als probates Mittel der Masseanreicherung. Die im Wesentlichen subjektiven Tatbestandsmerkmale hatten über Jahre zu einer umfangreichen Kasuistik in der Rechtsprechung geführt und den Anwendungsbereich des § 133 InsO zulasten betroffener Anfechtungsgegner sehr weit ausgedehnt. Nachdem schließlich der Gesetzgeber durch ergänzende Regelungen und Änderungen im Jahr 2017 erste Schritte zu einer Eindämmung der wirtschaftlichen Risiken und zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit für Gläubiger eingeleitet hatte, hatte auch der Bundesgerichtshof (BGH) eine Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung angekündigt. Bereits das Grundsatzurteil des BGH vom 6. Mai 2021 (s. hierzu unser Newsletter vom 23. Juli 2021) hatte in Fachkreisen für Aufsehen gesorgt.
Mit seinen jüngsten Urteilen vom 10. Februar, 24. Februar und 3. März 2022 verfolgt der BGH seine Rechtsprechungsänderung weiter und präzisiert die künftig an eine Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Benachteiligung zu stellenden Anforderungen.
Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit wichtiges (weiteres) Beweisanzeichen
Unangetastet lässt der BGH die Anforderung, dass weiterhin der jeweilige Tatrichter aus einer Gesamtschau aller vorliegender objektiver Indizien die Feststellung zu treffen hat, ob der Insolvenzschuldner bei Bewirkung einer angefochtenen Rechtshandlung mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte und der begünstigte Anfechtungsgegner diesen Benachteiligungsvorsatz kannte. Dabei bleibt auch die Kenntnis von einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners weiterhin wichtiges Beweisanzeichen, auch wenn sie allerdings im Falle der Anfechtung einer kongruenten Deckung allein nicht (mehr) ausreicht.
Wiederaufnahme der Zahlungen: Sekundäre Darlegungslast des Insolvenzverwalters für fortbestehende Zahlungseinstellung
In vielen Fällen gründet die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit auf einer gesetzlichen Vermutung im Fall der Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 InsO). Eine solche wirkt nach bisheriger Rechtsprechung des BGH fort, bis der Schuldner seine Zahlungen im Allgemeinen wieder aufnimmt, was bisher der Anfechtungsgegner darzulegen und zu beweisen hatte. Mit seinem Urteil vom 10. Februar 2022 kehrt der BGH auch hiervon teilweise ab: dem Anfechtungsgegner dürfe für die volle Darlegung und Beweis der Wiederaufnahme der Zahlungen nicht zu viel abverlangt werden. Er kenne häufig nur das Zahlungsverhalten ihm gegenüber. Daher hält es der BGH für angezeigt, die Anforderungen an die Entkräftung der Vermutung der Fortdauer der Zahlungsunfähigkeit nach einmal erfolgter Zahlungseinstellung durch eine sekundäre Darlegungslast des Insolvenzverwalters zu begrenzen. Künftig wird es dem Insolvenzverwalter obliegen, zum weiteren Zahlungsverhalten des Schuldners nach einer Zahlungseinstellung gegenüber allen Gläubigern substantiiert vorzutragen und darzulegen, ob eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen zumindest als möglich erscheint.
Dauerhaft schleppendes Zahlungsverhalten weniger gewichtig
Der BGH stellt nun auch fest, dass aus einem im Wesentlichen gleichbleibenden, schleppenden Zahlungsverhalten nicht auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung geschlossen werden könne, wenn sich das schleppende Zahlungsverhalten auch auf einen Zeitraum erstreckt, in dem der Schuldner seine Zahlungen unstreitig noch nicht eingestellt hatte.
Gläubiger haben in der Regel keinen Gesamtüberblick über wirtschaftliche Lage des Schuldners
Einem Anfechtungsgegner, der nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber kenne, fehle zudem in der Regel der für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderliche Gesamtüberblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse.
Schuldner muss eigene Zahlungsunfähigkeit auch erkennen, damit diese Benachteiligungsvorsatz indiziert
Auch die eigene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners stellt nach einem weiteren Urteil des BGH vom 24. Februar 2022 künftig nur dann ein Indiz für die Annahme eines Benachteiligungsvorsatzes dar, wenn der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit auch selbst erkannt hat. Hält der Schuldner eine insoweit maßgebliche Forderung z.B. aus Rechtsgründen für nicht durchsetzbar oder nicht fällig, steht dies einer Kenntnis entgegen, sofern bei einer Gesamtwürdigung der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit nicht zwingend naheliegt. Dies soll nur dann der Fall sein, wenn sich ein redlich Denkender, der vom Gedanken auf den eigenen Vorteil nicht beeinflusst ist, angesichts der ihm bekannten Tatsachen der Einsicht nicht verschließen kann, der Schuldner sei zahlungsunfähig.
Überschuldung kann Indiz für Benachteiligungsvorsatz sein, Beweis ist aber vom Insolvenzverwalter zu führen
Demgegenüber hat der BGH am 3. März 2022 herausgestellt, dass auch die insolvenzrechtliche Überschuldung ein eigenständiges Beweisanzeichen für die Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners und für den Vollbeweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners sei. Die Stärke des Beweisanzeichens hänge aber davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Überschuldung den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erwarten lasse und wann deren Eintritt bevorstehe. Darlegungs- und beweisbelastet für tatsächliche Umstände, aus denen die Überschuldung des Schuldners folgt, sei grundsätzlich der Insolvenzverwalter. Der BGH hat dabei betont, dass die Kenntnis einer negativen Handelsbilanz (bilanzielle Überschuldung) beim außenstehenden Anfechtungsgegner nicht zugleich auch die Kenntnis einer insolvenzrechtlichen Überschuldung und damit Kenntnis eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes indiziert. In der Praxis wird der Insolvenzverwalter deshalb über eine indizierte Überschuldung in der Regel eine Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht darlegen und beweisen können.
Praxishinweis
Der BGH erschwert dem Insolvenzverwalter mit seiner geänderten Rechtsprechung die Vorsatzanfechtung und wird diese damit voraussichtlich weiter zurückdrängen. Für Gläubiger als potentielle Anfechtungsgegner erhöhen sich dadurch die Aussichten, kongruente Zahlungen auch von „Problemschuldnern“ außerhalb des Dreimonatszeitraums vor Insolvenzantragstellung künftig im Insolvenzfall nicht erstatten zu müssen.