23.07.2021Fachbeitrag

Update Restrukturierung 9/2021

Neuerungen bei der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO – BGH, Urt. v. 6.5.2021 – IX ZR 72/20

Die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO war in den letzten 20 Jahre Gegenstand zahlreicher höchstrichterlicher Entscheidungen und Gesetzesvorhaben. Auch ihre wirtschaftliche Bedeutung ist hoch. So ist sie in massearmen Verfahren nicht selten der einzige Weg zur Verfahrenseröffnung und -durchführung und stellt in größeren Sanierungen eine erhebliche Gefahr für sanierungswillige Gläubiger dar. Nunmehr hat der BGH hierzu eine weitere, möglicherweise richtungsweisende Entscheidung veröffentlicht (BGH, Urt. v. 6.5.2021 – IX ZR 72/20).

Historische Entwicklung des § 133 InsO – vom Schattendasein zur Generalklausel

Die Vorsatzanfechtung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer wenig beachteten Randerscheinung zu einer Allzweckwaffe der Insolvenzverwalter entwickelt. Dies ist insbesondere der anfechtungsfreundlichen Rechtsprechungslinie des BGH zu verdanken, die bis zur Reform der Anfechtungstatbestände im Jahre 2017 zu einer deutlichen Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 133 Abs. 1 InsO führte. Im Rahmen der Reform versuchte der Gesetzgeber diese Entwicklung zu begrenzen und die zunehmend herabgesetzten Anforderungen an den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zumindest in Teilbereichen zu korrigieren. Am Ende stand eine halbherzige Reform, die ihr anvisiertes Ziel jedoch verfehlte.

Die aktuelle Entscheidung des BGH

Mit der aktuellen Entscheidung wendet sich der BGH von seinem bisher anfechtungsfreundlichen Kurs ab und erhöht die Anforderungen an den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes im Rahmen des § 133 InsO. In ständiger Rechtsprechung konnte bisher aus der nachgewiesenen (drohenden) Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners geschlossen werden.

Erhöhte Anforderungen an den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes

An diesem Punkt setzt die aktuelle Entscheidung des BGH an. Zukünftig reicht es nicht mehr aus, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung seine drohende oder gar schon eingetretene Zahlungsunfähigkeit kennt. Entscheidend ist, dass er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er auch zukünftig nicht in der Lage sein wird, alle seine Gläubiger zu befriedigen.

Kenntnis der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit hat nur noch Indizwirkung

Die Kenntnis der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit ist daher lediglich noch ein Indiz für die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes. Die Stärke dieses Indizes hängt allerdings von der Tiefe und Dauer der Zahlungsunfähigkeit sowie den Aussichten, diese in akzeptabler Zeit zu überwinden, ab. Entscheidend ist demnach das Ausmaß der bestehenden Deckungslücke. Lässt diese, selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, eine vollständige Befriedigung der vorhandenen und noch hinzutretenden Gläubiger nicht erwarten und befriedigt der Gläubiger in dieser Lage einzelne Gläubiger, ist regelmäßig ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz anzunehmen. Besteht dagegen – abhängig von der vorhandenen Deckungslücke – Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit, rückt der hierfür erforderliche Zeitraum sowie das Verhalten der (übrigen) Gläubiger in den Mittelpunkt der Betrachtung. Besteht erheblicher Mahn- und Vollstreckungsdruck, begrenzt dies den für eine Beseitigung der bestehenden Deckungslücke zur Verfügung stehenden Zeitraum.

Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit alleine nicht mehr ausreichend

Entgegen der alten Rechtsprechungslinie stellt nunmehr auch die drohende Zahlungsunfähigkeit alleine kein ausreichendes Indiz für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz dar. Somit bedarf es zukünftig anderer, weiterer Indizien, um Rechtshandlungen des Schuldners im Stadium nur drohender Zahlungsunfähigkeit anzufechten. Neben der inkongruenten Deckung (d.h. Erbringung der Leistung anders als vereinbart, z.B. vor Fälligkeit, nur Teilzahlungen etc.) erwähnt der BGH hier explizit die Befriedigung von Altgläubigern außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs.

Gesteigerte Darlegungs- und Beweisanforderungen für den Insolvenzverwalter

Darlegungs- und beweisbelastet für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers von diesem ist auch weiterhin der Insolvenzverwalter. Dieser muss nunmehr – im Falle fehlender anderer Indizien für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz – neben der Zahlungsunfähigkeit auch nachweisen, dass keine begründeten Aussichten auf Beseitigung der Deckungslücken bestanden. Dies sei, so der BGH, regelmäßig dann anzunehmen, wenn die Ursache für die Entstehung der Zahlungsunfähigkeit nicht beseitigt war oder absehbar beseitigt werden würde.

Fazit: Überfällige Neujustierung mit Unsicherheiten für die Zukunft

Mit der Entscheidung vom 06.05.2021 nimmt der BGH eine überfällige Neujustierung der Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung vor. Wie weit die Änderung allerdings in der Rechtspraxis geht, hängt insbesondere von der näheren Ausgestaltung des zukünftig vom Insolvenzverwalter geforderten Beweismaßes für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ab. Schon bisher war anerkannt, dass ein Sanierungskonzept nach Rechtsprechungsregeln dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz entgegensteht. Das wird zukünftig nicht in jedem Fall gefordert werden können. Wieviel „weniger“ aber reicht, bleibt abzuwarten.

 

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