Update Restrukturierung 6/2022
Harmonisierung des EU-Insolvenzrechts – EU-Kommission legt Richtlinienentwurf vor
Nach der zwischenzeitlich in nahezu allen EU-Mitgliedsstaaten erfolgten Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie nimmt die EU-Kommission sich nun der weiteren Harmonisierung der teilweise unterschiedlichen Insolvenzrechtsregime der Mitgliedsländer an. Seit dem 07.12.2022 liegt dazu nun ein Richtlinienentwurf vor, der einige spannende Ideen enthält.
Neben EUInsVO und Restrukturierungsrahmen künftig auch weitere Harmonisierung des materiellen Insolvenzrechts
Am 07.12.2022 hat die EU-Kommission den Entwurf einer weiteren Richtlinie zur Harmonisierung einiger Aspekte der nationalen Insolvenzrechtsregime in der EU vorgelegt. Neben der bereits seit einigen Jahren existenten Europäischen Verordnung über Insolvenzverfahren (EUInsVO), die bereits direkte Anwendung in den Mitgliedsländern findet, sich aber vornehmlich mit Fragen der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts in grenzüberschreitenden Fällen beschäftigt, und der kürzlich erfolgten Schaffung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmens (in Deutschland: Restrukturierungsverfahren nach StaRUG) nimmt die EU-Kommission sich nun das materielle Insolvenzrecht der Mitgliedsländer vor und schlägt einige einheitliche Standards vor. Dabei ist der nun vorliegende Richtlinienentwurf im Rahmen der europäischen Richtlinienprozedur nur ein erster Aufsatzpunkt. Ab Januar 2023 werden die EU-Vertreter der Mitgliedsländer über den endgültigen Inhalt der Richtlinie verhandeln, bis dieses am Ende des Prozesses vom Europäischen Parlament verabschiedet werden wird. Im Nachgang dazu bedarf es noch der Umsetzung der dann gültigen Richtlinie in jeweils nationales Recht.
Mindestanforderungen in Teilbereichen
Der Richtlinienentwurf, der ausdrücklich als Teil eines Paketes zur Herstellung einer EU-Kapitalmarktunion verstanden werden soll, konzentriert sich auf einige Teilbereich des materiellen Insolvenzrechts, so vor allem auf die Bereiche „Insolvenzanfechtung“, „Asset Tracing“, „Pre-Pack-Verfahren“, „Geschäftsführerhaftung“ und „vereinfachtes Verfahren für Kleinstunternehmen“. Andere durchaus wesentliche Fragestellungen wie Insolvenzgründe oder Gläubigerrangstellungen, bei denen es ebenfalls erhebliche Divergenzen der nationalen Insolvenzrechtsordnungen gibt, bleiben hingegen unberücksichtigt. Bei der zu verhandelnden Richtlinie soll es sich nach dem Willen der EU-Kommission ausdrücklich um Mindestanforderungen für eine Harmonisierung handeln, die das Insolvenzrecht der einzelnen Mitgliedsstaaten in wesentlichen Teilen nicht tangieren werde, allenfalls in Details.
Dennoch soll die Richtlinie einige Neuerungen auch aus Sicht des deutschen Insolvenzverfahrens enthalten:
Verbesserung des Asset Tracing
So sieht der Richtlinienentwurf z.B. eine Stärkung der Möglichkeiten eines grenzüberschreitenden Asset Tracing vor durch Schaffung neuer Vermögensregister bzw. Erleichterung des Zugangs zu bereits bestehenden Registern (vor allem Zugang zu Bankdaten von Schuldnern). Dies soll die Möglichkeiten verstärken, zur Insolvenzmasse gehörige Vermögenswerte EU-weit aufzuspüren. Betroffen sein werden vor allem auch Katasterregister, Grundbücher, Fahrzeug-, Schiffs-, Flugzeug und Waffenregister, Spendenregister, Sicherheitenverzeichnisse, Internetdomainverzeichnisse und weitere Register.
Pre-Pack-Verfahren
Auch soll die Möglichkeit eines Pre-Pack-Verfahrens in jeder nationalen Insolvenzordnung verankert werden; eine Möglichkeit, bereits im Geheimen vor förmlicher Einleitung eines Insolvenzverfahrens einen Unternehmensverkauf zu den Bedingungen eines ansonsten nur im eröffneten Insolvenzverfahren möglichen Assetdeals unter Ausschluss der Übernahme von Altverbindlichkeiten an einen Meistbietenden vorzubereiten. Ziel ist hier eine Minimierung des „Insolvenzstigmas“, ein Schutz des Unternehmenswertes und der -fortführung sowie vor allem geringere Insolvenzkosten. Der Richtlinienentwurf enthält insoweit teilweise sehr detaillierte Vorgaben zu den vorzusehenden Verfahrensphasen, der Einbindung von Gerichten und Verfahrensbegleitern („Monitor“), Verkaufsgrundsätzen, zu Aussetzungen von Durchsetzungsmaßnahmen, Möglichkeiten der Zwischenfinanzierung und Besicherung, der Einbindung der Gläubiger und der Umsetzung des Verkaufs und der Liquidation im anschließenden Insolvenzverfahren. Im Rahmen eines solchen Pre-Pack-Verkaufs soll nach dem Richtlinienentwurf auch eine Übertragung betriebsnotwendiger Verträge ohne Zustimmung des Vertragspartners möglich sein, es sei denn, es erfolgt ein Verkauf an einen direkten Konkurrenten des Vertragspartners.
Vereinfachtes Verfahren für Kleinstunternehmen
Auch ein neues vereinfachtes Insolvenzverfahren für Kleinstunternehmen stellt sich die EU-Kommission vor. Dieses soll sich vor allem dadurch auszeichnen, dass es schnell und kostengünstig, grundsätzlich in Eigenverwaltung ohne Insolvenzverwalter durchgeführt wird und auch trotz Fehlens einer verfahrenskostendeckenden Vermögensmasse eröffnet werden kann. Als Kleinstunternehmen („Microenterprise“) sollen nach dem Richtlinienentwurf Unternehmen gelten, die weniger als 10 Mitarbeiter beschäftigen bei jährlichen Umsätzen von nicht mehr als € 2 Mio. oder einer Bilanzsumme von nicht mehr als € 2 Mio. Für solche Unternehmen soll künftig bei Zahlungsunfähigkeit (nicht auch bei Überschuldung) ein vereinfachtes Liquidationsverfahren auf Kosten des Fiskus und vornehmlich standardisiert auf elektronischem Wege möglich sein. Die Bestellung eines Insolvenzverwalters soll in diesen Fällen nur erfolgen, wenn Schuldner, Gläubiger oder eine Gläubigergruppe dies beantragen und die Kosten aus der vorhandenen Masse gedeckt werden können bzw. vom Antragsteller vorgeschossen werden. Auch die Verfahrensab-wicklung als solche soll nach dem Richtlinienentwurf einige Besonderheiten gegenüber den bekannten Regelverfahren aufweisen, so z.B. eine Fiktion der Forderungsfeststellung, eine Insolvenzanfechtung nur auf Betreiben von Gläubigern oder durch einen Verwalter, eine Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens ohne Verwertung und eine Verwertung an-sonsten im Regelfall über eine Onlineversteigerung.
Deutsches Recht der Insolvenzanfechtung kaum betroffen
Im Bereich der Insolvenzanfechtung sieht der Richtlinienentwurf Mindestanforderungen vor, die vor allem die Insolvenzanfechtungsregime anderer Mitgliedsstaaten betreffen werden. Tatsächlich orientiert sich der Richtlinienentwurf insoweit vornehmlich an einem Vorschlag zweier deutscher Hochschullehrer für eine Harmonisierung der Anfechtungsvorschriften innerhalb der EU, die Grundprinzipien formuliert hatten, die in der deutschen Insolvenzordnung bereits enthalten sind.
Vorgaben zu Gläubigerausschüssen entsprechen deutscher Rechtslage und Praxis
Der Richtlinienentwurf enthält sodann auch zum Teil sehr detaillierte Regelungen bzw. Vorgaben zur Einrichtung von Gläubigerausschüssen, die aber auch insoweit größtenteils der geltenden deutschen Rechtslage und Praxis bereits entsprechen.
Fazit
Es bleibt abzuwarten, in welcher Form und in welchem Um-fang der Richtlinienentwurf aus den nun folgenden Beratungen der EU-Mitgliedsstaaten hervorgehen wird. Mit einigen Änderungen und Anpassungen wird zu rechnen sein. Spannend bleibt auch die Frage, wie sodann der deutsche Gesetzgeber die teilweise gegebenen Gestaltungsspielräume bei der Umsetzung der späteren Richtlinie nutzen wird.