Per Mehrheitsentscheidungen können in Unternehmenskrisen Rechte von Anteilsinhabern und Gläubigern beschnitten werden
StaRUG ermöglicht Eingriffe in Aktionärsrechte
Dieser Artikel wurde am 8. November 2023 in der Börsen-Zeitung erstveröffentlicht.
Anfang 2021 ist in Umsetzung einer Richtlinie der EU das StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) in Kraft getreten. Es ermöglicht zur Insolvenzvermeidung Restrukturierungen in der Unternehmenskrise mit Eingriffen in die Rechte von Beteiligten auch gegen deren Willen auf Basis von Mehrheitsentscheidungen. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit sollen von einer großen Mehrheit der Betroffenen gewünschte Restrukturierungen mit Eingriffen in die Rechte von Gläubigern und Anteilsinhabern nicht am Widerstand Einzelner scheitern. Mehrheitsbeschlüsse zu einem Restrukturierungsplan gemäß StaRUG sind daher für alle Betroffenen verbindlich, auch wenn diese gegen den Beschluss gestimmt oder nicht an der Abstimmung teilgenommen haben. Planbetroffene können insbesondere auch die Inhaber von Aktien oder Anleihen sein, die an der Börse gehandelt werden.
Anwendungsfälle nehmen zu
Nachdem im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des StaRUG kaum Anwendungsfälle des Gesetzes in der Praxis bekannt wurden, nehmen diese zuletzt zu. Im Fall der Restrukturierung der Leoni AG erfolgte z.B. im Juni 2023 ein Delisting und die Aktionäre verloren ihre Anteile. Grundkenntnisse der im Rahmen des StaRUG möglichen Eingriffe in die Rechte von Aktionären und Anleihegläubigern und ihrer Voraussetzungen sind daher für Investments in Krisenunternehmen und deren Beendigung nötig.
Kernelement einer Restrukturierung unter Nutzung des StaRUG ist ein sogenannter Restrukturierungsplan. In diesem teilt das Krisenunternehmen die Beteiligten, in deren Rechte zur Restrukturierung und Abwendung einer Insolvenz eingegriffen werden soll, in Gruppen von sogenannten Planbetroffenen ein. Die Planbetroffenen stimmen sodann über den Restrukturierungsplan ab. In jeder Gruppe ist eine Zustimmung von 75 % erforderlich, damit die Mehrheitsentscheidung auch die nicht an der Abstimmung teilnehmenden bzw. gegen den Restrukturierungsplan stimmenden Planbetroffenen bindet. Das Mehrheitserfordernis knüpft dabei an das insgesamt vorhandene Forderungsvolumen der in die entsprechende Plangruppe eingeteilten Gläubiger (z.B. Inhaber von Anleihen) bzw. bei Aktionären an das gesamte Grundkapital an. Eine fehlende mehrheitliche Zustimmung insbesondere der Gruppe der Aktionäre kann aber regelmäßig durch Gerichtsbeschluss ersetzt werden, wenn die Zustimmung anderer Gruppen von Planbetroffenen mit der nötigen Mehrheit erfolgte. Stimmen etwa die planbetroffenen Gläubiger mit der nötigen Mehrheit zu, kann eine fehlende Zustimmung der Gruppe der Aktionäre gerichtlich ersetzt und in das Aktieneigentum eingegriffen werden.
Stundung, Anpassung, Kürzung
Ein Restrukturierungsplan kann gegenüber den Gläubigern Stundungen, Zinsanpassungen, Kürzungen ihrer Forderungen und sonstige Maßnahmen vorsehen. Gegenüber den Aktionären können alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen erfolgen. Dies schließt Barkapitalerhöhungen, Sachkapitalerhöhungen, Bezugsrechtsausschlüsse, Verwässerungen, Kapitalschnitte mit Kapitalherabsetzung auf Null und sonstige Maßnahmen ein. Häufig werden Eingriffe in Rechte von Gläubigern als Planbetroffenen auch Eingriffe in die Rechte von Aktionären erfordern, da das StaRUG-Verfahren der Vermeidung einer Insolvenz bei drohender Zahlungsunfähigkeit dient und Aktionäre als Eigenkapitalgeber in der Insolvenz regelmäßig leer ausgehen, während die Gläubiger zumindest noch quotale Befriedigungsaussichten haben. Wichtig aus der Sicht der Aktionäre ist daher, dass ein StaRUG-Verfahren nur bei Vorliegen einer echten Krise im Sinne einer drohenden Zahlungsunfähigkeit genutzt werden kann. Bei Insolvenzantragspflicht aufgrund akuter Zahlungsunfähigkeit oder insolvenzrechtlicher Überschuldung ist ein StaRUG-Verfahren dagegen nicht mehr möglich. Somit liegt das Zeitfenster für eine Nutzung des StaRUG regelmäßig in der Phase zwischen 24 Monaten vor dem Eintritt einer prognostizierten Zahlungsunfähigkeit und 12 Monaten vor diesem Zeitpunkt. Bei einer zeitlich bereits näher herangerückten drohenden Zahlungsunfähigkeit wird dagegen regelmäßig die positive Fortbestehensprognose fehlen und dann häufig bereits insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegen.
Planvergleichsrechnung
Wichtiger Bestandteil des Restrukturierungsplans ist die sogenannte Planvergleichsrechnung. Diese vergleicht die wirtschaftlichen Auswirkungen des Restrukturierungsplans für die Planbetroffenen mit dem nächstbesten Alternativszenario. Dieses wird regelmäßig ein Insolvenzverfahren sein, in dem aufgrund der Nachrangigkeit der Rechtsposition der Aktionäre gegenüber den Gläubigern meist kein Wert der Beteiligung mehr gegeben ist, selbst wenn die Aktien zunächst noch einen Kurswert an der Börse erzielen. Hat das Eigenkapital in einem Alternativszenario ohne Restrukturierungsplan dagegen noch einen positiven wirtschaftlichen Wert, so muss der Restrukturierungsplan grundsätzlich auch Abfindungszahlungen vorsehen, wenn Eingriffe in das Aktieneigentum erfolgen.
Information der Betroffenen
Die Veröffentlichung gerichtlicher Ladungen, insbesondere zu Abstimmungen über Restrukturierungspläne, erfolgt unter www.restrukturierungsbekanntmachung.de. Diese Vorgehensweise ist zulässig, da bei börsengehandelten Anteilen der Restrukturierungsplan den Aktionären - anders als den dem Krisenunternehmen bekannten Gläubigern - nicht persönlich zugestellt werden kann. In der Praxis veröffentlichen Unternehmen die wesentlichen Inhalte von Restrukturierungsplänen auch auf ihrer Website. Zudem sind börsennotierte Krisenunternehmen bei Nutzung des StaRUG gehalten, die Einleitung eines Verfahrens ad hoc zu publizieren.
Gleichbehandlungsgebot
Bedeutsam ist zudem die Beachtung des Gleichbehandlungsgebots. Die Aktionäre befinden sich bei Eingriffen in ihre Rechte gemeinsam in einer Gruppe von Planbetroffenen. Innerhalb dieser Gruppe gilt das Gleichbehandlungsgebot. Ein Entzug von Aktien durch Übertragung auf einen Investor oder deren Erlöschen durch Kapitalherabsetzung muss alle Aktionäre gleichermaßen betreffen, ebenso die Gewährung oder der Ausschluss von Bezugsrechten. Häufig wird ein Investor die Finanzierung des Restrukturierungsplans von der Übernahme der bestehenden Aktien oder neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung abhängig machen. Angesichts der Krise in Form einer drohenden Insolvenz ist der Bezugsrechtsausschluss in StaRUG Fällen regelmäßig gerechtfertigt. Dies gilt auch dann, wenn der Investor selbst zu den bisherigen Aktionären zählt, da er das alleinige Bezugsrecht als rettender Investor erhält und hinsichtlich des Ausschlusses des Bezugsrechts und des Verlustes seiner bisher gehaltenen Aktien ebenso behandelt wird wie die übrigen Aktionäre.
Effektiv und schnell
Schließlich ist wichtig, dass die Einleitung eines StaRUG-Verfahrens keines vorherigen Hauptversammlungsbeschlusses bedarf. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Restrukturierung mittels des StaRUG mit dem Ziel effektiver und schneller Verfahren zur Insolvenzvermeidung ausdrücklich unter Einbeziehung der Gesellschaftsanteile geschaffen. Er wollte vor dem Hintergrund der Zugangsvoraussetzung in Form drohender Zahlungsunfähigkeit angesichts der insolvenzrechtlichen Nachrangigkeit der Eigenkapitalposition der Aktionäre gegenüber den Gläubigern nicht, dass gleichsam ein Vetorecht der Aktionäre in Form des ErforderBörsen-Zeitung, 8.11.2023 nisses eines Hauptversammlungsbeschlusses für die Einleitung des Verfahrens besteht.
Kaum Rechtsmittel
Betroffene Aktionäre und Anleihegläubiger können zwar versuchen, die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans zu verhindern, die Voraussetzung von dessen Bindungswirkung gegenüber allen Planbetroffenen ist. Die Rechtsmittel sind aber stark beschränkt. Voraussetzung ist, dass der Planbetroffene gegen den Restrukturierungsplan stimmt, diesem widerspricht und zudem glaubhaft macht, dass er durch den Restrukturierungsplan schlechter gestellt wird als in dem hypothetischen Alternativszenario ohne Restrukturierungsplan. Diese Glaubhaftmachung ist außerordentlich schwierig. Sie ist in der Praxis, soweit ersichtlich, bisher noch nicht gelungen. Zudem sind Anträge auf Versagung der gerichtlichen Planbestätigung abzuweisen, wenn der Restrukturierungsplan für den Fall des Nachweises einer entsprechender Schlechterstellung Mittel zur Kompensation des Antragsführers bereitstellt. Da in der Praxis Restrukturierungspläne entsprechende Klauseln enthalten, ist die Verhinderung der gerichtlichen Planbestätigung und damit der Verbindlichkeit des Restrukturierungsplans durch einzelne Aktionäre bzw. Anleihegläubiger nahezu ausgeschlossen. Fazit: Das StaRUG bietet effektive Möglichkeiten zur finanziellen Restrukturierung in der Unternehmenskrise unter Vermeidung eines Insolvenzverfahrens. Eingriffe in die Rechte von Aktionären und Anleihegläubigern sind möglich, bis hin zum Entzug der Rechtsposition. Werden mehrere Gruppen von Planbetroffenen gebildet, so gilt dies auch im Falle der Ablehnung bzw. Nichterreichung der grundsätzlich nötigen Mehrheit von 75% in der Gruppe der planbetroffenen Aktionäre bzw. Anleihegläubiger. Vorherige Hauptversammlungsbeschlüsse zur Einleitung des StaRUG-Verfahrens sind nicht erforderlich. Anleger werden auch im Falle der Börsennotierung ihrer Aktien bzw. Anleihen künftig bei Unternehmenskrisen mit StaRUG-Verfahren rechnen müssen und sollten dies bei ihren Entscheidungen berücksichtigen.