Newsletter Health Care 4/2015
Der Erwerb der Produktsparte eines Pharmakonzerns kann Dringlichkeitsfrist auslösen
Landgericht Hamburg, Urteil vom 22.9.2015 – 321 O 276/15 (einstweilige Verfügung, nicht rechtskräftig
Übernimmt ein Pharmakonzern im Wege eines Asset Deals verschiedene Produkte und andere Vermögensgegenstände eines anderen Unternehmens der Pharmabranche, kann mit dem Zeitpunkt des Vollzugs der Übernahme im Hinblick auf die von einem Wettbewerber praktizierte Werbung, die Gegenstand langjähriger heilmittelwerberechtlicher Auseinandersetzung mit dem früheren Zulassungsinhaber war, die Dringlichkeitsfrist für die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens beginnen. Dem erwerbenden Pharmakonzern steht ab diesem Zeitpunkt ein vorbeugender Unterlassungsanspruch zu, den er unverzüglich geltend machen muss, möchte er eine einstweilige Verfügung erwirken. Anderenfalls läuft er Gefahr, dass sein späterer Verfügungsantrag mangels Dringlichkeit zurückgewiesen wird.
Der Sachverhalt
Die Parteien des einstweiligen Verfügungsverfahrens streiten um die heilmittelwerberechtliche Zulässigkeit von Werbeaussagen in Bezug auf Impfstoffe der gesellschaftsrechtlich miteinander verbundenen Verfügungsbeklagten zu 1.) und 2.) (nachfolgend „Verfügungsbeklagte“), die erst kurz zuvor im Wege eines Share Deals (Erwerb von Gesellschaftsanteilen) durch die Verfügungsbeklagte zu 3.) übernommen worden sind. Die Verfügungsklägerin hatte ihrerseits erst kurz zuvor im Wege eines Asset Deals (Erwerb einzelner Vermögensgegenstände) zwei Impfstoffe nebst damit im Zusammenhang stehender Vermögensgegenstände von einem Wettbewerber der Verfügungsbeklagten übernommen, wodurch ein Wettbewerbsverhältnis zu den Verfügungsbeklagten begründet wurde. Die streitgegenständlichen Aussagen waren teils in identischer teils in hochgradig ähnlicher Form bereits Gegenstand früherer Auseinandersetzung zwischen dem früheren Zulassungsinhaber und den Verfügungsbeklagten.
Neben Fragen der heilmittelwerberechtlichen Zulässigkeit einzelner Werbeangaben ging es vor allem darum, ob der Verfügungsantrag angesichts der Streithistorie noch als dringlich anzusehen ist. Die Verfügungsklägerin behauptete, dass im Rahmen der Due Diligence-Prüfung (eine auf rechtliche und wirtschaftliche Risiken ausgerichtete Prüfung des Zielunternehmens), die im Vorfeld des Kaufs stattgefunden habe, weder ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten noch den bei ihr für die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zuständigen Personen Werbematerialien der Verfügungsbeklagten zur Kenntnis gelangt seien. Dem hielten die Verfügungsbeklagten entgegen, dass Gegenstand einer Due Diligence Prüfung stets auch frühere Gerichtsverfahren des zu erwerbendenden Unternehmens bzw. Unternehmensteils sowie eine Untersuchung der Wettbewerbssituation seien. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der nationale Markt für die streitgegenständlichen Impfstoffe einzig und allein aus den Impfstoffen der Streitparteien bestehe.
Die gerichtliche Entscheidung
Das Gericht folgte im Wesentlichen der Argumentation der Verfügungsbeklagten. Angesichts des hohen Kaufpreises und aufgrund des Umstands, dass das übernommene Portfolio lediglich aus zwei Präparaten bestand, hätte es eine konkrete Veranlassung gegeben, so das Gericht, sich mit der Frage von Rechtsstreitigkeiten bezüglich dieser beiden Produkte zu befassen. Es spreche somit viel dafür, dass sich Unterlagen zu den rechtlichen Auseinandersetzungen bezüglich der beiden Impfstoffe im Datenraum befunden hätten. Für den Käufer sei es auch bei einem Asset Deal von Relevanz, ob er ein Produkt übernehme, welches ständig in rechtliche Auseinandersetzungen involviert sei.
Die Unterlagen über Rechtsstreitigkeiten könnten somit nach dem normalen Lauf der Dinge den mit der Durchführung der Due Diligence-Prüfung beauftragten Anwälten nicht verborgen geblieben sein. Dementsprechend sei von einer Kenntnis (oder jedenfalls grob fahrlässigen Unkenntnis) der Verfügungsklägerin von den Rechtsstreitigkeiten durch den Bericht über die Due Diligence-Prüfung auszugehen. Darüber hinaus sei der Verfügungsklägerin auch die Kenntnis der in den Datenraum entsandten Anwälte nach § 166 BGB zuzurechnen. Vor diesem Hintergrund sei der Verfügungsklägerin eine sekundäre Darlegungslast zugekommen. Sie habe Tatsachen zu ihrer Entlastung nicht hinreichend vorgetragen und glaubhaft gemacht.
Folgerichtig hat das Gericht das Vorliegen eines Verfügungsgrunds für ein Verbot der in dem hiesigen Verfahren angegriffenen Werbung mit folgenden Erwägungen verneint: Am 1. Dezember 2014 habe die Verfügungsklägerin in einer Pressemitteilung mitgeteilt, dass die Übernahme des Impfstoff-Portfolios abgeschlossen sei. Jedenfalls ab diesem Datum sei die Verfügungsklägerin Mitbewerberin der Verfügungsbeklagten und damit aktivlegitimiert für einen Unterlassungsanspruch gewesen, was zu einem Anlaufen der Dringlichkeitsfrist geführt habe. Die Einreichung des Verfügungsantrags erfolgte indes erst am 2. Juli 2015 und sei somit verspätet gewesen.
Fazit
Anders als bei Übernahmen im Wege eines Share Deals sind bei als Asset Deal ausgestalteten Unternehmensübernahmen Gerichtsurteile und Vergleichsvereinbarung zwischen dem Target und dessen Mitbewerbern für den Erwerber nicht bindend. Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg zeigt jedoch, dass sich ein Erwerber auch mit einem Asset Deal keine wettbewerbsrechtlich „unbelastete“ Position erkaufen kann. Es ist ihm nämlich verwehrt, zunächst abzuwarten, um dann nach Übernahme der Assets nach Belieben zu entscheiden, ob er mittels einstweiliger Verfügung gegen Werbemaßnahmen vorgehen möchte, die bereits in der Vergangenheit Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen dem Verkäufer und dem Wettbewerber waren. Der Erwerber muss also bei Konzeption des Erwerbsprozesses ins Kalkül ziehen, ob er die bisherige Werbung anderer Marktteilnehmer zunächst hinnehmen wird oder ein gerichtliches Sofortverbot mittels einstweiliger Verfügung erwirken möchte. Dies erscheint auch nur gerecht, wird die auf dem Markt befindliche Werbung des Wettbewerbers bei der Bestimmung der Wettbewerbssituation des Zielunternehmens – und damit auch bei der Bemessung des Kaufpreises – oftmals eine erhebliche Rolle spielen. Aufgrund der kurzen Dringlichkeitsfristen bei Gericht müssen Erkenntnisse über entsprechende Rechtsstreitigkeiten, die in der Due Diligence-Prüfung gewonnen werden, unverzüglich umgesetzt werden. Natürlich ist ein gerichtliches Vorgehen per Hauptsacheklage auch nach Ablauf der Dringlichkeitsfrist möglich. Allerdings müsste der Erwerber dann damit leben, dass der Wettbewerber bis zur Vollstreckbarkeit eines Hauptsachetitels in der beanstandeten Art und Weise für seine Produkte wirbt. Dies kann Jahre dauern.