02.12.2024Fachbeitrag

Update Energie Nr. 38

Die „Kundenanlage“ auf dem Prüfstand des EuGH

Die Regelungen des EnWG zur sog. Kundenanlage sind im deutschen Energierecht von erheblicher praktischer Bedeutung, denn sie erlauben es, lokal begrenzte Anlagen zur Verteilung von Strom und Gas unter bestimmten Umständen außerhalb der Regulierung für Energieversorgungsnetze zu betreiben. Der Begriff der Kundenanlage war dementsprechend seit der Einführung im Jahr 2011 immer wieder Gegenstand juristischer Diskussionen. Im Jahr 2022 reichte der BGH schließlich ein sog. Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH ein, um die Europarechtskonformität prüfen zu lassen. Nun hat der EuGH am 28. November 2024 sein mit Spannung erwartetes Urteil (Az. C 293/23) gefällt, dessen praktische Auswirkungen erheblich sein dürften.

Hintergrund

Das deutsche Energierecht ist in einer Hinsicht recht klar strukturiert: Anlagen zur Verteilung von Strom und Gas sind grundsätzlich als (öffentliche) Energieversorgungsnetze zu qualifizieren, wenn nicht ausnahmsweise ein Fall der sog. Kundenanlage vorliegt. Die Voraussetzungen hierfür sind im EnWG in § 3 Nr. 24a (allgemeine Kundenanlage) und Nr. 24b (Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung) geregelt. Um die angeschlossenen Letztverbraucher zu schützen, ist es unter anderem erforderlich, dass die Kundenanlage jedermann diskriminierungsfrei und unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird. Der Betreiber darf dementsprechend keine Netzentgelte erheben und muss den angeschlossenen Letztverbrauchern die freie Wahl des Lieferanten ermöglichen. Der entscheidende Vorteil im Gegenzug: Anders als der Netzbetreiber ist der Betreiber der Kundenanlage von den organisationsintensiven regulatorischen Vorgaben des EnWG ausgenommen. Dementsprechend gibt es in Deutschland unzählige lokale Versorgungskonstellationen, etwa Industriebetriebe, Ferienparks, Einkaufcenter, Wohnquartiere mit eigener Energiezentrale und andere Gewerbeimmobilien usw., in denen der Betreiber von dieser Ausnahme Gebrauch macht.

Problemstellung

Was spricht nun gegen diese in der Praxis bewährte Lösung? Es ist ein rechtliches Problem: Das europäische Recht, auf dessen Vorgaben das deutsche Energierecht zu weiten Teilen fußt und das mit dem EnWG in Deutschland umgesetzt wird, sieht eine solche Ausnahme vom Begriff des Energieversorgungsnetzes eigentlich nicht vor. Diese Erfahrung musste der deutsche Gesetzgeber schon einmal machen, als der EuGH im Jahr 2008 die Regelung zum sog. Objektnetz, die als „Vorgängerin“ der Kundenanlage angesehen werden kann, für nicht mit dem EU-Recht konform befunden hat, so dass die entsprechende Regelung im EnWG gestrichen werden musste.

Entscheidung des EuGH

Nun hatte der EuGH über eine vom BGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegte Frage zu entscheiden, ob das Europarecht, namentlich die Richtlinie (EU) 2019/944 (im Folgenden „Richtlinie“),

„einer Bestimmung wie § 3 Nr. 24a in Verbindung mit § 3 Nr. 16 EnWG entgegen[steht], wonach den Betreiber einer Energieanlage zur Abgabe von Energie keine Pflichten eines Verteilernetzbetreibers treffen, wenn er die Energieanlage anstelle des bisherigen Verteilernetzes errichtet und betreibt, um mittels in einem Blockheizkraftwerk erzeugten Stroms mehrere Wohnblöcke mit bis zu 200 vermieteten Wohneinheiten und mit einer jährlichen Menge an durchgeleiteter Energie von bis zu 1.000 MWh zu versorgen, wobei die Kosten der Errichtung und des Betriebs der Energieanlage als Bestandteil eines einheitlich für die gelieferte Wärme zu zahlenden monatlichen Grundentgelts von den Letztverbrauchern (Mietern) getragen werden und der Betreiber den erzeugten Strom an die Mieter verkauft?“

Diese Frage bejaht der EuGH. Als Grund dafür, dass die Richtlinie den deutschen Regelungen zur Kundenanlage in der beschriebenen Konstellation entgegensteht, führt das Gericht u. a. an, dass die im EnWG geregelten Voraussetzungen der Kundenanlage für die Frage, ob ein Verteilernetz im Sinne der Richtlinie vorliegt, keine Relevanz haben. Sie dürften daher nicht herangezogen werden, um Ausnahmen vom Netzbegriff und damit von der Regulierung zu definieren. Mitgliedstaaten seien nicht berechtigt, Anlagen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, die unstreitig zur Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch , Mittel- oder Niederspannung dienen, die zum Verkauf an Kunden bestimmt ist (vgl. Definition der „Verteilung“ nach Art. 2 Nr. 28 der Richtlinie). Ein Unternehmen, das eine solche Anlage betreibe, sei ein Verteilernetzbetreiber.

Auswirkungen und Folgefragen

Wir gehen davon aus, dass die Entscheidung des EuGH erhebliche Auswirkungen haben wird. Die meisten heutigen Kundenanlagen sind – objektiv betrachtet – Anlagen, die der Weiterleitung von Strom mit Hoch , Mittel- oder Niederspannung dienen, der zum Verkauf an Kunden bestimmt ist. In tatsächlicher Hinsicht unterscheiden sich diese Anlagen jedoch erheblich: Die übersichtliche Stromverteilung in einem Mehrfamilienhaus kann davon ebenso erfasst sein wie die industrielle Verteileranlage auf einem weiträumigen Betriebsgelände.

Vor diesem Hintergrund stellen sich zahlreiche Folgefragen, die es nun weiter zu analysieren gilt: Gelten die Ausführungen des EuGH nur für Anlagen in denen (wie im vorgelegten Fall) auch eine Erzeugung stattfindet oder für sämtliche Kundenanlagen? Sind die Aussagen des Urteils auch auf die Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung übertragbar? Welche Ausnahmenregelungen sieht die Richtlinie selbst vor und können diese im Einzelfall fruchtbar gemacht werden? Was gilt für Kundenanlagen im Gassektor? Welche Risiken drohen, wenn eine Anlage entgegen der Entscheidung des EuGH weiter als Kundenanlage betrieben wird? Wie werden die Gerichte und Behörden mit den neuen Erkenntnissen umgehen? Wie wird der Gesetzgeber reagieren?

Ausblick

Die Entscheidung des EuGH sorgt in der Branche für erhebliche Verunsicherung, denn in ihrer Allgemeinheit gehen die Aussagen des EuGH sehr weit. Zugleich ist es in der Praxis (jedenfalls unter den derzeit geltenden Regelungen) schlicht unmöglich, sämtliche Anlagen, die heute als Kundenanlagen angesehen werden, als Verteilernetze weiter zu betreiben. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich die Regulierungsbehörden positionieren. Sollte es behördenseitig nicht möglich sein, eine rechtsichere Lösung zu erarbeiten, wäre der Gesetzgeber gefordert, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der einerseits die Entscheidung des EuGH berücksichtigt und andererseits praxisgerecht ausgestaltet ist. Wir raten allen Kundenanlagenbetreibern, die weiteren Entwicklungen genau zu verfolgen. Wir werden Sie weiter informieren und stehen für Rückfragen gerne zur Verfügung.

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