21.12.2022Fachbeitrag

Update Dispute Resolution 6/2022

Ein Gesetz zur Förderung von Videoverhandlungen – Ein Weg zur Beschleunigung von Verfahren und Entlastung der Gerichte?

In den letzten Jahren erfreute sich die Möglichkeit, mündliche Verhandlungen gemäß § 128a ZPO per Bild- und Tonübertragung durchzuführen, zunehmender Beliebtheit, nicht nur bei Rechtsanwälten und Mandanten, sondern auch bei den Gerichten.

Als Folge der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden Beschränkungen und Auflagen zur effektiven Verhinderung von Infektionen, waren auch die Gerichte darum bemüht, den physischen Kontakt zwischen Personen auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Sie haben während der letzten Jahre mit der verstärkten Durchführung von Videoverhandlungen wertvolle Erfahrungen gesammelt.

Dies war Anlass für den vom Bundesministerium der Justiz am 23. November 2022 vorgestellten Referentenentwurf zu einem „Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“ (nachfolgend „Referentenentwurf“). Der Referentenentwurf hat zum Ziel, die Möglichkeiten des Einsatzes von Videokonferenztechnik in den Verfahrensordnungen über die geltende Rechtslage hinaus und durch eine Änderung des bisherigen § 128a ZPO zu erweitern. Die geplanten Änderungen sollen für die Zivilgerichte, Arbeitsgerichte, Verwaltungsgerichte, Sozialgerichte und Finanzgerichte gelten.

I. Die Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a ZPO – status quo

Die Möglichkeit, mündliche Verhandlungen per Bild- und Tonübertragung als sog. Videoverhandlung durchzuführen und auch Beweispersonen auf diese Art und Weise zu vernehmen, besteht nach § 128a ZPO schon seit dem 1. Januar 2002. Die aktuelle Fassung des § 128a ZPO vom 1. November 2013 sieht vor, dass das Gericht den Beteiligten „auf Antrag oder von Amts wegen gestatten kann, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen“. Richter und Richterinnen müssen sich nach derzeitiger Rechtslage gemäß § 219 ZPO hingegen auch im Falle einer Videoverhandlung weiterhin im Sitzungssaal befinden, wo auch die Öffentlichkeit an der mündlichen Verhandlung grundsätzlich teilnehmen kann.

II. Der Referentenentwurf für ein Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten

Der Referentenentwurf sieht insbesondere folgende Neuerungen vor:

1. Neufassung des § 128a ZPO und Ausbau von Videoverhandlungen

§ 128a ZPO als zentrale Norm für Verhandlungen per Bild- und Tonübertragung soll ausweislich des Referentenentwurfs neu gefasst werden.
Damit soll zukünftig verhindert werden, dass Gerichte Videoverhandlungen pauschal und ohne weitere Angabe von Gründen ablehnen. Wörtlich soll § 128a Abs. 2 S. 2 ZPO gemäß dem Referentenentwurf zukünftig regeln: „Wenn die Parteien ihre Teilnahme per Bild- und Tonübertragung übereinstimmend beantragen, soll diese angeordnet werden.“ Die Parteien sollen somit das Recht erhalten, das Gericht übereinstimmend zur Videoverhandlung anhalten zu können.

Lehnt ein Gericht die Videoverhandlung zukünftig dennoch ab, so muss es einen Beschluss fassen und diesen sachlich begründen. Dieser Beschluss kann mittels einer sofortigen Beschwerde angegriffen werden.

Auch das Gericht soll Videoverhandlungen gegenüber den Verfahrensbeteiligten zukünftig nicht nur gestatten, sondern ausdrücklich anordnen können.
Ausnahmen von dieser verpflichtenden Anordnung sieht § 128a Abs. 3 ZPO in der Fassung des Referentenentwurfs vor. So kann ein Verfahrensbeteiligter innerhalb einer vom Vorsitzenden gesetzten angemessenen Frist und ohne Begründung beantragen, ihn von der Anordnung auszunehmen. Diese Ausnahmeregelung soll sicherstellen, dass keine Partei gegen ihren Willen zur Teilnahme an einer Videoverhandlung gezwungen werden kann.

2. Videoeinsatz bei der Beweisaufnahme

Der Referentenentwurf sieht eine Änderung des die Beweisaufnahme regelnden § 284 ZPO dahingehend vor, dass das Gericht diese nunmehr entsprechend § 128a ZPO-E per Bild- und Tonübertragung anordnen kann. Dies gilt allerdings nicht für den Beweis durch Urkunden. Zukünftig soll aber beispielsweise eine Inaugenscheinnahme im Wege der Videobeweisaufnahme möglich sein. Auch Dolmetscher/innen sollen sich per Video dazuschalten können, was deren Verfügbarkeit verbessern dürfte.

Etwaigen Bedenken gegenüber dem Einsatz von Videoverhandlungen bei Zeugenvernehmungen begegnet der Referentenentwurf damit, dass das Gericht zukünftig bei Bedarf anordnen können soll, dass sich Zeugen/innen oder Parteien während der Videoverhandlung in einer vom Gericht zu bestimmenden Geschäftsstelle eines anderen, ortsnäheren Gerichts aufzuhalten haben. Dies könnte ein guter Kompromiss sein, um die Effizienz an Ressourcen und Zeit zu steigern und zugleich den ordnungsgemäßen Ablauf einer Beweisaufnahme nicht zu gefährden. Insbesondere kann eine unrechtmäßige Einflussnahme auf Zeugen/innen oder Parteien während der Beweisaufnahme somit verhindert werden.

3. Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit und moderne Dokumentationsmöglichkeiten

Der Referentenentwurf schafft die Möglichkeit einer vollständig online stattfindenden Gerichtsverhandlung, bei der auch das Gericht nicht zwingend im Sitzungssaal anwesend sein muss gemäß § 128a Abs. 4 ZPO in der Fassung des Referentenentwurfs. Zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit gemäß § 169 Abs. 1 S. 1 GVG muss im Fall einer solchen Verhandlung die Videoverhandlung jedoch zusätzlich in Bild und Ton an einem öffentlich zugänglichen Raum im Gericht übertragen werden.

Weiterhin sieht der Referentenentwurf, zusätzlich zu der bereits zulässigen Tonaufzeichnung gemäß § 160a Abs. 1 ZPO-E, nun auch die Möglichkeit einer Bild-Ton-Aufzeichnung vor. Beantragt eine Partei dies in einem Verfahren mit einem Streitwert in Höhe von über EUR 5.000,00, verdichtet sich das Ermessen zu einer Soll-Regelung. Dies hat den Vorteil, dass die Ton- und Bildaufnahme, im Gegensatz zum gerichtlichen Protokoll, als Beweis für den gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung dienen kann.

Den Verfahrensbeteiligten und Dritten soll es hingegen untersagt sein, die Videoverhandlung aufzuzeichnen.

4. Anträge und Erklärungen zu Protokoll bei Video möglich

Weiterhin sollen Anträge und Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle per Bild- und Tonübertragung zugelassen werden. Bisher wird die persönliche Anwesenheit der Rechtssuchenden in der zuständigen Geschäftsstelle vorausgesetzt. Hierfür soll eine neue Regelung, § 129a ZPO in der Fassung des Referentenentwurfs, verabschiedet werden.

5. Videoverhandlungen werden kostengünstiger

Die Videoverhandlungen dürften zukünftig günstiger werden, da die Auslagenpauschale für eine Inanspruchnahme von Videokonferenzverbindungen entfallen soll, vgl. Nr. 9019 GKG.

III. Praktische Herausforderungen: Die IT-Ausstattung der Gerichte

Die vorgeschlagenen Regelungen schaffen mehr Rechtsklarheit hinsichtlich der Anordnung und Beantragung von Videoverhandlungen und -beweisaufnahmen und können so zu einer Verwaltungsvereinfachung beitragen. Ein wesentliches Hindernis dabei dürfte in der Praxis jedoch die sehr unterschiedliche und teilweise unzureichende technische Ausstattung der Gerichte sein. Es sind nach wie vor nicht alle Gerichte mit einer ausreichenden Anzahl an Sitzungssälen für hybride- oder vollständig online stattfindende Verhandlungen ausgestattet. Auch mangelt es oftmals an personeller technischer Unterstützung für die Richter/innen durch die Justizverwaltungen. Die Schaffung zusätzlicher Stellen für die IT-Betreuung in der Justiz ist in dem Referentenentwurf nicht vorgesehen.

Fehlende Technik wird damit wohl auch in Zukunft ein sachlicher Grund für Gerichte bleiben, eine von den Parteien beantragte Videoverhandlung abzulehnen. Hingegen wird ein Gericht aber begründen müssen, weshalb ein bestimmtes Verfahren – sofern die benötigte Technik vorhanden ist – gleichwohl für eine Videoverhandlung ungeeignet sein soll. Dies ist jedenfalls zu begrüßen.

Eine weitere (technische) Herausforderung besteht darin, dass das Beratungsgeheimnis innerhalb eines Spruchkörpers während der Unterbrechung vollständig online stattfindender Verhandlungen sichergestellt werden muss. Hierfür bietet der Referentenentwurf keine Lösungsansätze.

IV. Fazit

Der vorgelegte Entwurf ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem zukunftsfähigen Rechtsstaat und einer Modernisierung der deutschen Gerichtsbarkeit. Videoverhandlungen stellen dabei einen wesentlichen Baustein dar, um allen Beteiligten Zeit und Ressourcen zu ersparen und dabei zugleich einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit zu leisten. Während sich in der Vergangenheit Verfahrensbeteiligte von der physischen Anwesenheit im Gerichtssaal Vorteile versprachen, ist insbesondere für komplexe Verfahren mit umfangreichen Beweisdokumenten, die man unproblematisch auf dem Bildschirm zeigen kann, die Verhandlung als Videokonferenz oftmals praktikabler. Die Neuregelung des § 128a ZPO ist dabei ein überfälliger Schritt, um den im Gerichtsalltag längst etablierten Videoverhandlungen gerecht zu werden.

Es ist auch zu begrüßen, dass gemäß dem nunmehr vorgeschlagenen neuen § 227 Abs. 1 ZPO von einer Terminsänderung immer dann abgesehen werden soll, wenn der Termin als Videoverhandlung oder als Beweisaufnahme durchgeführt werden kann und die erheblichen Gründe für eine Terminsänderung dadurch entfallen. Auch dies dürfte einer Beschleunigung der Verfahren dienlich sein.

Es wäre wünschenswert, wenn mit einer Optimierung der zeitlichen Abläufe und der Terminierung von Gerichtsterminen, zugleich die durchschnittliche Dauer (zivil-) gerichtlicher Entscheidungen langfristig gesenkt werden könnte.

Der Referentenentwurf liegt den Bundesländern und Verbänden nun zur Stellungnahme bis zum 13. Januar 2023 vor. Es bleibt abzuwarten, ob er in der jetzigen Form Zustimmung finden und verabschieden werden wird.

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