11.05.2023Fachbeitrag

Update Dispute Resolution 3/2023

Die geplante Reform zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat am 18. April 2023 ein Eckpunktepapier zur Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts in der Zivilprozessordnung (ZPO) vorgelegt (nachfolgend „Eckpunktepapier“, hier abrufbar). Mit der ersten umfassenden Reform seit 1997 soll das Schiedsverfahrensrecht „an die Bedürfnisse der heutigen Zeit angepasst“ werden.

I. Die wesentlichen Reformbestrebungen und Pläne

1. Wegfall des Schriftformerfordernisses

Eine wesentliche Neuerung soll der Wegfall des Schriftformerfordernisses bei Schiedsvereinbarungen werden. Nach der derzeitigen Rechtslage muss die Schiedsvereinbarung entweder schriftlich geschlossen werden, oder sonst in dokumentierbarer Form erfolgen  (§ 1031 ZPO).

Mit der Reform soll ebenfalls eine formfreie Vereinbarung einer Schiedsvereinbarung möglich werden, also auch mündlich. Das BMJ möchte sich mit dieser Liberalisierung der Formregelung dem UNCITRAL-Modellgesetz (2006) anschließen, wonach eine Schiedsvereinbarung mündlich oder konkludent geschlossen werden kann (Art. 7 (2)(3)).

Die formlose Vereinbarung einer Schiedsabrede ist unter dem Gesichtspunkt der Flexibilisierung des Schiedsverfahrensrechts und der generellen Öffnung für elektronische Kommunikationsarten nachvollziehbar, allerdings wird es dadurch vermutlich vermehrt zum Streit darüber kommen, ob überhaupt eine Schiedsvereinbarung getroffen wurde. Dies könnte auch dazu führen, dass künftig in staatlichen Verfahren häufiger die Schiedseinrede erhoben wird. An einem Nachweis durch Text festzuhalten, erscheint daher vorzugswürdig.

2. Digitalisierung des Schiedsverfahrensrechts

Die Reform soll ferner die Möglichkeit zur Nutzung von Bild- und Tonübertragung in mündlichen Schiedsverhandlungen gesetzlich verankern. Auch eine Aufzeichnung der Videokonferenz soll möglich sein. Bereits Ende 2022 hatte der Gesetzgeber mit dem Entwurf des Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten die Ausweitung von Bild- und Tonübertragungen für Verfahren vor staatlichen Gerichten angestoßen (siehe dazu unseren Fachbeitrag vom 21. Dezember 2022). Die maßgebliche Vorschrift des § 128a ZPO gilt im Schiedsverfahren bislang nicht, außer wenn die Parteien es ausdrücklich vereinbaren. Die Nutzung von Bild- und Tonübertragung wird seit der Corona-Pandemie insbesondere bei grenzüberschreitenden Verfahren tatsächlich angewandt, sodass eine gesetzliche Regelung zur Klarstellung sinnvoll ist.

3. Ausweitung der Zuständigkeit der Commercial Courts und Englisch als Verfahrenssprache

Nach dem Eckpunktepapier wird es den Ländern ermöglicht, den Commercial Courts, welche nach dem Referentenentwurf demnächst von den Bundesländern eingerichtet werden können, auch die Zuständigkeit für Anträge auf Vollstreckbarerklärung oder auf Aufhebung von Schiedssprüchen zuzuteilen. Diese schiedsrechtlichen Verfahren sollen mit Zustimmung der Parteien bei den Commercial Courts vollständig in englischer Sprache geführt werden können. Soweit die Länder hiervon Gebrauch machen, sollte das teilweise erhebliche Fachwissen bei den bisher zuständigen Senaten nicht verloren gehen, zumal pro Bundesland nur ein Commercial Court vorgesehen ist.

Soweit keine Commercial Courts zuständig sind, sollen der Schiedsspruch sowie andere Schriftstücke aus dem Schiedsverfahren auf Englisch vorgelegt werden dürfen und müssen nicht mehr ins Deutsche übersetzt werden. Das betrifft gleichermaßen Schriftstücke, die nach § 1050 ZPO für die gerichtliche Beweisaufnahme oder Vornahme sonstiger richterlichen Handlungen bedeutsam sind (dazu zudem unter Nr. 5).

4. Neuerungen im Eilrechtsschutz

Die Reform sieht zudem vor, dass Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im Inland vollzogen werden können, auch wenn der Schiedsort im Ausland liegt. Ferner will das BMJ als möglichen weiteren Reformgegenstand prüfen, ob ein Eilschiedsrichter (emergency arbitrator) in die ZPO eingeführt werden könnte, wie dies in einigen internationalen Schiedsordnungen bereits der Fall ist, etwa in den ICC-Rules. Teil der Prüfung wird sein, ob auch eilschiedsrichterliche Maßnahmen mit ausländischem Schiedsort im Inland gerichtlich zur Vollziehung zugelassen werden sollen, wenn dies rechtsstaatlich abgesichert ist. 

5. Neuer Rechtsbehelf und neue Kompetenzen für die OLG-Schiedssenate

Das BMJ plant, einen außerordentlichen Rechtsbehelf einzuführen, mit welchem bestandskräftige inländische Schiedssprüche beseitigt werden können. Hierfür verweist das Eckpunktepapier auf die Restitutionsklage in § 580 ZPO, welche die Aufhebung von rechtskräftigen Entscheidungen ermöglicht, wenn das Entscheidungsergebnis durch eine Straftat beeinflusst wurde. Zwar dürfte es sich in diesen Fällen auch um ordre public-Verstöße gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO handeln (vgl. OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 7.9.2020 – 26 Sch 2/20, zum Prozessbetrug und § 580 Nr. 4 ZPO), so dass schon jetzt ein Aufhebungsantrag möglich ist. Ein Aufhebungsantrag ist allerdings innerhalb von drei Monaten nach Erlass des Schiedsspruchs zustellen (§ 1059 Abs. 3 ZPO). Sollte sich das BMJ bezüglich einer Frist des neuen Rechtsbehelfs an § 580 ZPO orientieren, wäre der Aufhebungsgrund innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung von dem Anfechtungsgrund geltend zu machen, spätestens innerhalb von fünf Jahren seit Rechtskraft des anzufechtenden Schiedsspruchs.

Das Eckpunktepapier sieht ferner vor, dass im Rahmen des Antrags nach § 1032 Abs. 2 ZPO auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens nun auch das Bestehen oder die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung entschieden werden kann. Hierdurch soll klargestellt werden, dass sich die Rechtskraft auch auf den Bestand der Schiedsvereinbarung bezieht. Dies ist zu begrüßen.

Das BMJ will zudem prüfen, ob die Kompetenz der Oberlandesgerichte in Schiedssachen ferner dahingehend erweitert werden könnte, dass die Oberlandesgerichte auch für Beweisaufnahmen und sonstige richterliche Handlungen nach § 1050 ZPO zuständig wären, was nach der derzeitigen Rechtslage gemäß § 1062 IV ZPO in die Zuständigkeit der Amtsgerichte fällt. Hierdurch soll die Kompetenz in Schiedssachen bei den Oberlandesgerichten konzentriert werden. Ob gerade Beweisaufnahmen beim Oberlandesgericht richtig verortet sind, erscheint fraglich, da in staatlichen Verfahren die Beweisaufnahme in der Regel am Amtsgericht bzw. bei höheren Streitwerten am Landgericht durchgeführt wird.

Ebenfalls soll noch geprüft werden, ob seitens der Bundesländer Bedarf besteht, über Landesgrenzen hinweg gemeinsame Spruchkörper von Oberlandesgerichten einzurichten. Hierdurch könnte die schiedsrechtliche Spezialisierung bestimmter Schiedssenate gefördert werden.

Die Befugnis des Vorsitzenden aus § 1063 Abs. 3 S. 1 ZPO, ohne Anhörung des Gegners anzuordnen, dass der Antragsteller bis zur Entscheidung über einen Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs, die Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch betreiben darf, soll auf „dringende Fälle“ beschränkt werden.

Auch hierbei dürfte es sich eher um eine Klarstellung handeln. Die Befugnis des Vorsitzenden, die „einstweilige Vollstreckbarkeit“ eines Schiedsspruchs anzuordnen, bevor eine Vollstreckbarerklärung durch den Senat erfolgt ist, wird bereits länger kritisiert. So wird eingewandt, es bestehe die Gefahr, der Vorsitzende würde seinen Senat „präjudizieren“ und es sei ohne Anhörung des Gegners nicht ersichtlich, ob für eine einstweilige Vollstreckung überhaupt eine Notwendigkeit gegeben sei, etwa weil der Schuldner eine Verzögerungstaktik verfolge (vgl. MüKoZPO/Münch, 6. Aufl. 2022, ZPO § 1063 Rn. 32). Der Frankfurter Schiedssenat hat in einer Entscheidung zur Anordnung nach § 1063 Abs. 3 ZPO das Vorliegen von „besonderen Umständen“ geprüft, die an die Kasuistik zum Arrestgrund aus § 917 ZPO erinnern (OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 14.8.2017 – 26 Sch 6/17). Auch sonst knüpft die ZPO Befugnisse des Gerichts zur einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung an „dringende Fälle“ (z. B. §§ 937 Abs. 2, 942 Abs. 1 ZPO, so dass sich eine entsprechende Kasuistik herausbilden wird.

6. Mehrparteienschiedsverfahren

Mit der Reform möchte das BMJ ferner Regeln für Mehrparteienschiedsverfahren einführen. So soll eine Regelung für die Bestellung von Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern eingeführt werden, wenn sich die Parteien auf kein anderes Verfahren zur Bestellung des Schiedsgerichts geeinigt haben. Ferner soll ein eigenes dispositives Verfahren für die gerichtliche Ersatzbestellung für den Fall geschaffen werden, dass sich mehrere Parteien auf einer Verfahrensseite nicht auf eine Schiedsrichterin oder einen Schiedsrichter einigen können. Das BMJ möchte berücksichtigen, dass das Zweiparteienschiedsverfahren nicht (mehr) die Regel darstellen.

7. Veröffentlichung von Schiedssprüchen

Die Reform soll zudem eine gesetzliche Verankerung dafür schaffen, dass Schiedsgerichte Schiedssprüche veröffentlichen können, wenn die Schiedsparteien zustimmen. In einigen Schiedsgerichtsordnungen ist dies bereits geregelt, etwa in den ICC-Rules. Mit diesem Reformvorhaben möchte das BMJ die Transparenz im Schiedsverfahren stärken und die Rechtsfortbildung ermöglichen. Ob diese Regelung großen Mehrwert hat, wird sich zeigen, denn in der Regel scheitert die Veröffentlichung des Schiedsspruchs an der Zustimmung der Parteien, die häufig das Schiedsverfahren gerade deshalb gewählt haben, weil es unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt. 

8. Aufhebung von Schiedssprüchen wegen Dissenting Opinion

Ebenfalls prüfen möchte das BMJ, ob eine gesetzliche Regelung zur Zulässigkeit von Sondervoten (dissenting opinions) geregelt werden soll. Das BMJ zielt dabei auf das Problem ab, dass bei der Veröffentlichung von Sondervoten in Schiedssprüchen vereinzelt ein Verstoß gegen das Beratungsgeheimnis angenommen wird, so das Oberlandesgericht Frankfurt/M. in einem obiter dictum im Jahr 2020 (OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 16.1.2020 – 26 Sch 14/18; siehe dazu Bickmann/Wagner, Das Sondervotum (dissenting opinion) im deutschen Schiedsverfahrensrecht, GWR 2020, 295). Die Niederlegung eines Sondervotums ist auch der deutschen Rechtsprechung nicht fremd (§ 30 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). In internationalen Schiedsverfahren, zumal in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, ist die Aufnahme eines Sondervotums sehr gebräuchlich. Eine klarstellende Regelung hierzu im deutschen Schiedsverfahrensrecht ist daher zu befürworten.

II. Fazit

Es ist zu begrüßen, dass sich der Gesetzgeber einer Reform des Schiedsverfahrensrechts widmet. Er hat erkannt, dass das deutsche Schiedsverfahrensrecht mit anderen staatlichen sowie privaten Schiedsordnungen in einem globalen Wettbewerb steht und dass der Stand von 1997, als das Schiedsverfahrensrecht im 10. Buch der ZPO zuletzt umfassend reformiert wurde, nicht mehr zeitgemäß ist. Im Dialog mit Schiedsinstitutionen, Schiedsexperten und Schiedspraktikern wird das BMJ sicherlich ein gutes „Finetuning“ der Regelungsgegenstände erzielen.

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